Gehirnforscher sagen, dass der Mensch zu glauben neigt, Unvorhergesehenes geahnt zu haben – selbst wenn das nachweislich nicht so war. Das liegt offenbar daran, dass unser Gehirn sich an neue Lagen schnell anpasst. Und dann denkt, dass es nie anders war.
Das Phänomen könnte erklären, warum es sich auch bei plötzlichen Wirtschaftskrisen oft so verhält. So wie in diesen Wochen mit recht hartnäckig wirkender Inflation. Dass es so gekommen ist wie 2021, hat in dieser Form in Wirklichkeit keiner vorhergesagt.
Dass das so mancher gerade fälschlich behauptet, dürfte im vorliegenden Fall nicht nur mit dem Hang unseres Gehirns zur Selbstüberschätzung zu tun haben – sondern in Deutschland auch damit, dass es halt doch eine Menge Stabilitätswächter und Bundesbank-Nostalgiker gibt, die über Jahre prophezeiten, die laxe Politik und Geldflut der Europäischen Zentralbank (EZB) werde in die Inflation führen. Was dann Jahr für Jahr ausblieb. Bis jetzt, wo das allerdings bei näherem Hinsehen gar nicht an der EZB und ihrer Politik liegt.
Das ist ein zentraler Unterschied: Denn bei einer Fehldiagnose der aktuellen Inflationsraten drohen auch falsche Schlüsse abgeleitet zu werden – und Maßnahmen, die die eigentlichen Ursachen nicht beheben, aber starke Kollateralschäden anzurichten drohen.
Wenn der neue Bundesbank-Chef zum Antritt orakelt, die Bundesbank habe ja immer vor den Nebenwirkungen der EZB-Krisenpolitik gewarnt, ist das schon ein sehr großzügiges Verständnis von Richtigliegen. Ende 2020 prognostizierte die deutsche Währungshüterbehörde amtlich nicht einmal zwei Prozent Inflation – und hat damit die Teuerung 2021 selbst völlig unterschätzt. Ähnliches gilt für den Sachverständigen Volker Wieland, der sich dieser Tage für seine Inflationsnase loben ließ: Der Mann orakelte zwar Anfang 2021 tatsächlich mal etwas von drei bis vier Prozent Inflation – allerdings sollten die erst in drei bis fünf Jahren kommen, und dann auch noch eher unwahrscheinlich. Für 2021 sagte der Sachverständigenrat, in dem Wieland für geldpolitische Fragen zuständig ist, selbst im März noch keine höhere Inflation voraus.