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Thomas Fricke: Globalisierung und Krieg – Der Abschied aus dem deutschen Wirtschaftswundertraum

2. April 2022

Fast blind hat sich Deutschland in die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen begeben. Dahinter steckt das Vertrauen, dass die Welt vor allem lukrativer Absatzmarkt und günstige Bezugsquelle ist. Wie naiv.

Katastrophale Abhängigkeiten

All das hat rasch drastische Folgen in einer fortgeschrittenen Globalisierung, in der es lange Zeit als schickes Management galt, die Produktion am besten »real time« zu organisieren – also immer ad hoc schnell irgendwo auf der Welt die Teile zu bestellen, die gerade benötigt werden. Das Prinzip erweist sich in nicht so schönen Zeiten als eine eher katastrophale Abhängigkeit.

Nun lässt sich nicht jede Krise und Pandemie vorhersehen, klar. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre sprechen allerdings stark dafür, die allzu naive Vorstellung wirtschaftlich optimaler Globalisierung abzulegen – und sehr viel mehr darüber nachzudenken, bei welchen strategisch wichtigen Produkten es ähnlich fatale Abhängigkeiten gibt, die sich künftig rächen könnten. Ob bei Medikamenten, Nahrungsmitteln oder Rohstoffen.

Nach Auswertungen von Dalia Marin hat die Coronakrise dazu geführt, dass sich in international agierenden Unternehmen jener Trend bereits verstärkt hat, einst etwa nach Asien ausgelagerte Produktion teils wieder zurückzuholen – schon, weil die Sicherung der Lieferketten seit dem Schock der Finanzkrise zu teuer geworden ist. Andere haben ihre Produktion wieder so umgestellt, dass sie nicht in Realzeit von der Lieferung abhängig sind.

Das allein wird für eine stabilere Globalisierung nicht reichen. Und da hilft auch der Appell an die Märkte wenig. Es ergibt im Zweifel eben doch auch Sinn, die Ansiedlung etwa einer eigenen großen Chip-Produktion politisch zu fördern. So wie es schon länger Sinn ergeben hätte, politisch alles dafür zu tun, nicht zu 55 Prozent von russischem Gas abzuhängen. Und es ergibt auch Sinn, wirtschaftspolitisch gegenzuhalten, wenn der vermeintlich freie Wettbewerb dazu führt, dass ein Land wie Deutschland dauerhaft zu hohe Handelsüberschüsse einfährt – was am Ende zu Krisen oder Vergeltung zu führen droht.

Atemberaubend naiv

Da helfen die schönsten ordnungspolitischen Sonntagsreden wenig, wonach doch die Politik hier nicht eingreifen dürfe – wenn all das zu so drastischen Verwerfungen führt; oder dazu, dass Länder politisch erpressbar werden oder zumindest stark unter Druck kommen. Weil etwa die Gasversorgung auf Anhieb gar nicht mehr anders zu gewährleisten ist.

Dann wirkt atemberaubend naiv, wenn der deutsche Finanzminister als Reaktion auf die aktuelle Abhängigkeit von russischem Gas mal wieder Freihandelsabkommen mit den USA verhandeln will – was mit einiger Wahrscheinlichkeit in dem Fall zu noch mehr deutschen Exportüberschüssen führen würde. Und zu noch mehr Unmut. Mal abgesehen davon, dass es sich auch als tückisch erweisen könnte, mehr auf die USA zu setzen, wenn dort im Zweifel 2024 wieder jemand wie Donald Trump mit seinem Nationalgedröhne gewählt wird.

Es könnte also im ureigenen deutschen Interesse sein, bald sehr viel systematischer Kriterien dafür zu entwickeln, welche Produkte strategisch für Deutschland und Europa so wichtig sind, dass die Versorgung damit nicht zu, sagen wir, mehr als einem Drittel von einem Anbieter abhängen darf. Und dann aktiv dafür zu sorgen, dass entweder das betreffende Produkt künftig auch bei uns hergestellt wird – oder der Bezug auf sehr viel mehr Länder verteilt wird. Da können dann gezielte Freihandelsabkommen und Subventionen im Zweifel helfen. Ebenso hilfreich wäre es, viel stärker dafür zu sorgen, dass die Deutschen auch so viel importieren können, wie sie exportieren.

In der EU wird an solchen Konzepten seit einer Weile bereits gearbeitet – als Beitrag dazu, dass die Region auf künftige Krisen besser vorbereitet ist. Die G7-Staats- und Regierungschefs haben derweil eine Expertengruppe Konzepte dafür entwickeln lassen, wie künftig Brüche in den Wertschöpfungsketten vermieden werden können. Auch in der deutschen Industrie kursieren bereits ähnliche Gedanken – ein Abschied von der Fetisch-Idee aus Zeiten der Agenda 2010, dass Auslagern immer gut ist.

Bis vor Kurzem war es noch gang und gäbe, aus tiefer wirtschaftsliberaler Überzeugung über Franzosen zu schimpfen, die mit viel Subventionen ihre Landwirtschaft aufrecht halten. Dabei war das am Anfang einmal dafür gedacht, nach den wiederholten deutschen Angriffen bloß nie wieder in Abhängigkeit zu geraten. Ebenso wie es eine Reaktion auf den Ölpreisschock und die Abhängigkeit von Anbietern aus dem Nahen Osten war, die französische Atomenergie auszubauen – ob man das aus anderen Gründen nun gut findet oder nicht.

Jetzt wirken eher die Deutschen naiv. Und es wäre höchste Zeit, sich von der Schönwettervorstellung von Globalisierung zu verabschieden. Zumal der eine oder andere Schock des globalen Wettbewerbs zum Aufstieg von Populisten beigetragen hat – ob in den USA, Großbritannien, Frankreich oder Deutschland.

Es führt in die Irre, solche Reformen gleich zu verteufeln, weil sie zum Ende der wirtschaftlich doch per se so großartig wirkenden Globalisierung führen könnten – und vor allem die Exportnation Deutschland träfen. Es spricht im Gegenteil ja viel dafür, dass sich mit dem geläuterten Verständnis einer besser regulierten Globalisierung und klareren Definition strategisch wichtiger Produkte Schlimmeres vermeiden ließe: dass Politiker im Eifer von Krieg und Krisen ad hoc auch den großen Teil der internationalen Arbeitsteilung gefährden, der tatsächlich für Wohlstand gesorgt hat.

Es ist besser, die Globalisierung aktiv neu zu gestalten, als sie inmitten der nächsten Krisen mittels Populisten und Panik kollabieren zu sehen.

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