Neues aus dem Forum New Economy – der Newsletter #67
Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,
es dürfte zu den plausibelsten Deutungen vieler Wirren unserer Zeit gehören: wenn demokratisch-freie Gesellschaften und die Globalisierung so derart unter Druck stehen, dann liegt das auch daran, dass ein lange währendes Leitmotiv gescheitert ist – jenes von den allheilenden Märkten – ohne dass es ein neues gibt, das ein Mindestmaß an Urvertrauen in Politik und Eliten sichert. Wozu das führen kann, ist derzeit nirgendwo so spürbar wie in Frankreich, wo am Sonntag die Präsidentschaftswahl startet – und rund die Hälfte der Menschen für Kandidaten und Kandidatinnen wählen werden, die das Vakuum mit Lösungen zu füllen versuchen, die eher die emotionalen Reflexe und Sündenbockinstinkte bedienen als wahre Probleme zu lösen. Das gilt für die beiden rechtsextremen Marine Le Pen und Eric Zemmour wie auf andere Art auch für den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon.
Die einen poltern nur mehr gegen Islam und Einwanderer, der andere gegen das böse Kapital und die Deutschen. Der amtierende Emmanuel Macron scheint derweil immer noch dem marktliberalen Glauben zuzuneigen – wonach etwa die Entlastung für Reichere am Ende allen zugute komme. Spätes Trickle-down auf Französisch. Das löst die großen Probleme nicht. Dass Sozialisten, Grüne und Konservative keine umwerfende Antwort gefunden haben, lässt ihr mickriges Abschneiden in den Umfragen vermuten. Da wirkt ein Populist wie Mélenchon mit seinem Versprechen etliche Milliarden für alle ausgeben zu wollen dann doch zu attraktiv. A disaster in the making. Ein Desaster, das – wenn unsere Grunddiagnose stimmt – wahrscheinlich erst gestoppt wird, wenn es ein überzeugendes neues Leitmotiv mit vielen guten Lösungen für Klimadesaster, Ungleichheit und Globalisierungskrise gibt.
Über Frankreichs Drama vor den Wahlen haben wir vergangene Woche in unserem New Economy Short Cut diskutiert – eine Stunde mit Cornelia Woll, Shahin Vallée, Ann-Laure Delatte und Moritz Schularick. Im Re-live hier.
Ein schönes Wochenende,
Thomas Fricke