Seit fast täglich neue Meldungen über hohe Inflationsraten kommen, scheint sich ein Trend festzusetzen: Wer irgendwie kann, macht mit beim Preiseerhöhen. Da kündigt ein Wohnungsunternehmen an, die Mieten jetzt mal anheben zu müssen – wegen der Inflation. Was eine merkwürdige Umkehrung der Wirkungskette ist. Und die Ölkonzerne nutzen die Umrechnungsphase des Tankrabatts, um die ohnehin schon hohen Preise noch mal anzuheben. Damit die Inflation bloß nicht zu sehr nachlässt.
Klar: Wenn alle das machen, steht man nicht als so böse da, wenn man mitmacht.
Was für Mieter und Verbraucher bitter ist, ist auch ökonomisch ein heikles Phänomen dieser Krisen- und Kriegszeit. Wenn etliche Unternehmen die Notlage ausnutzen, um gerade solche Produkte zu verteuern, die nicht so schnell zu ersetzen sind, droht ein fataler Absturz in die wirtschaftliche Krise.
Nach alt-orthodoxer Lehrbuchformel galt und gilt in Sachen Inflation als höchster Gefährdungsgrad eigentlich ja, dass es zur viel zitierten Lohn-Preis-Spirale kommt – und die Inflation sich so verselbständigt. Wobei die Spiralen-Warnung nach konservativer Lesart vor allem dahin ging, dass bloß Arbeitnehmer und Gewerkschafter jetzt nicht auf die Idee kommen, einen Ausgleich für höhere Preise zu fordern. Sodass die Preise dann eben auch immer weiter steigen müssen – als gäbe es dafür einen Automatismus; und als gehe das Drama von Lieschen Müller aus.
Wie sich derzeit aber zeigt, tragen zur besagten Lohn-Preis-Spirale bisher gar nicht die Löhne bei, sondern eher die Preise, die ja nicht vom Himmel fallen, sondern von Unternehmen gesetzt werden – aus ökonomisch guten oder weniger guten Gründen.
Das macht politisch einen großen und ebenso heiklen Unterschied. Weil die jüngsten Bekundungen von Wohnungsunternehmen und Ölkonzernen womöglich nur die Fortsetzung eines Trends sind, bei dem etliche Firmen die kritische Mischung aus Pandemie-Nachwirkungen, Krieg und generellem Inflationsambiente nutzen, um die eigenen Verkaufspreise anzuheben. Zur Verbesserung der eigenen Bilanz.
Die Gewinne springen nach oben
Was schon seit Monaten auffällt, ist, dass die Preise gerade in jenen Fällen besonders stark steigen, wo Unternehmen von der Krise profitieren – etwa dort, wo für Verbraucher angesichts der Lieferengpässe infolge der Lockdowns die Alternativen fehlen; und die Menschen keine Möglichkeit haben, auf billigere Anbieter umzusteigen. Beispiel Pauschalreisen. Oder Benzin. Oder bald vielleicht Mieten.
Zufall oder nicht: Im zweiten Halbjahr 2021 haben die Unternehmen in den USA mit fast 15 Prozent Gewinnquote nach Steuern so viel Profit gemacht wie seit Anfang der Fünfzigerjahre nicht. Nach Berechnungen des Economic Policy Institutes ist mehr als die Hälfte des Anstiegs der Preise in den USA auf eine Ausweitung der Profite in den Unternehmen zurückzuführen. Heißt: Hätten die Firmen ihre Gewinne nicht ausgeweitet, wäre die Inflation rein rechnerisch nicht einmal halb so hoch ausgefallen. Ein Drittel des Preisanstiegs lässt sich darüber hinaus durch höhere Kosten jenseits der Lohnzahlungen erklären, etwa die viel zitierten Energiekosten – und nur knapp acht Prozent durch gestiegene Gehälter.
Ähnliches gilt offenbar für die Wirtschaft diesseits des Atlantiks. Nach Schätzungen der Europäischen Zentralbank (EZB) kam auch im Euroraum der größte Beitrag zur Inflation Ende 2021 vom Hochschnellen der Unternehmensprofite. Den kleinsten Beitrag machten die Lohnkosten je produzierter Einheit aus.
Und auch die Dax-Konzerne in Deutschland haben trotz aller Krisen in den vergangenen Monaten auffällig viel Gewinn gemacht – und dabei neue Rekorde eingefahren. Irre.
Der Markt funktioniert nicht
Für die Ökonomin Isabella Weber von der University of Massachusetts Amherst lässt sich all das nur dadurch erklären, dass eben doch eine Menge Unternehmen die Krise genutzt haben, um in der Not die Preise noch stärker anzuheben, als es steigende Kosten allein gerechtfertigt hätten – und dass daraufhin, anders als in Normalzeiten und gängigen Standardmodellen der Ökonomie vorgesehen, die Nachfrage mangels Alternative nicht sank beziehungsweise sinken konnte. Sonst hätten die Gewinne nicht ebenso atemberaubend hochschießen können. Die Inflation der Profite.
Keine Frage: Gewinne zu machen ist eigentlich großartig – wenn ein Unternehmen wie der derzeit oft als Beispiel bemühte Impfstoffhersteller Biontech eine gesellschaftlich so wichtige Sache gemacht hat (auch wenn da mit viel Steuergeld nachgeholfen wurde). Weit weniger großartig ist es aber, wenn Unternehmen solche Gewinne machen, obwohl sie weder tolle Dinge erfunden haben, noch dank besonderer Leistung höhere Nachfrage bekommen. Sondern nur, weil gerade der Wettbewerb umständehalber nicht funktioniert. Das steht so auch in keinem Lehrbuch. Im Gegenteil: Wenn der Markt gut funktioniert, müsste das Erzielen hoher Profite sofort weitere Anbieter anziehen, die auch Gewinne machen wollen – solange, bis keiner mehr Gewinne macht, sagt die Theorie des perfekt wirkenden Marktes. Pustekuchen zu Zeiten von Krieg und Pandemie.
Auch wenn das ebenfalls nur ein Teil der Gesamtwahrheit zur Erklärung des enormen Inflationsschubs der vergangenen Monate ist: Es macht für die Lösung des Problems einen gewaltigen Unterschied.
Wenn ein so wichtiger Teil der Inflation durch einen Mix aus teils panikbedingter Spekulation an den Rohstoffmärkten und notfallbegünstigter Gewinninflation kommt, ist es atemberaubend heikel, das Phänomen durch höhere Leitzinsen beheben zu wollen, wie es die EZB am Donnerstag angekündigt hat. Höhere Zinsen mögen manchen Sparer trösten, der gerade seine Ersparnis real schrumpfen sieht. Normalerweise wirkt so eine Zinserhöhung allerdings so, dass sie eine zuvor überhitzende und somit preistreibende Konjunktur dämpft – solange bis den Unternehmen in der Rezession und mangels Nachfrage nichts mehr anderes übrigbleibt, als das eigene Angebot preislich wieder attraktiver zu machen. Dann sinkt die Inflation.
Jetzt steigen die Zinsen in einer Zeit, in der die Konjunktur zumindest in Europa und in Deutschland wegen Pandemie und Krieg ohnehin schon gefährlich schwächelt – was eine Rezession tatsächlich wahrscheinlicher macht. Das würde zwar auch die Unternehmen zur Mäßigung bringen, die derzeit die Not zur Gewinnsteigerung nutzen. In den USA sei das bei Firmen wie der Supermarktkette Walmart schon spürbar, berichtet Isabella Weber. Diese Methode hat nur den Nachteil, dass sie auch jene Teile der Wirtschaft trifft, die gar nicht den Vorteil hatten. Und dass so eine Rezession menschlich und wirtschaftlich ziemlich teuer ist – zumal dann, wenn es gar keine vorangegangenen Überhitzungen auszugleichen gilt. Und ohne dass man weiß, ob nicht krisen- und kriegsbedingt die Energie- und Nahrungspreise in den nächsten Monaten trotzdem wieder hochschnellen.
Die Alternative? Ist alles andere als einfach, klar. Für jeden, der an die wichtige Funktion unternehmerischer Innovation glaubt, muss schon der Gedanke heikel wirken, die Gewinne von Unternehmen wegzusteuern. Und es mag auch tückisch sein, genauer zu bestimmen, welche Gewinne marktwirtschaftlich rein und legitim sind – und welche nur durch Krisen, Krieg und Marktversagen entstehen.
Das Phänomen aus ideologischen Motiven deshalb wegzudenken, weil ja Gewinne tabu sind, wäre allerdings genauso gefährlich. Wenn im Prinzip richtig ist, davor zu warnen, dass sich über stetig hochschraubende Lohnforderungen eine Lohn-Preis-Spirale entwickeln könnte, ist es mindestens so legitim, vor dem zweiten Part zu warnen: dass Unternehmen die Inflation per Gewinnexzess treiben – nur weil Verbraucher kaum Ausweichmöglichkeiten haben. Mit dem Unterschied, dass es für die Lohninflation bei uns bisher wenig Belege gibt – für die pathologische Inflation der Profite aber schon.