Noch mag die Gefahr eher abstrakt wirken. Noch melden Statistiker, dass die Beschäftigung von Monat zu Monat zunimmt. Noch verkünden Konzerne Gewinnrekorde. Der Schein könnte allerdings schon trügen – und Amerikaner wie Europäer könnten unter dem Eindruck von Energiekrise, Inflation und Kriegsängsten gerade auf dem Weg in eine ungewöhnliche Rezession sein. Eine Rezession, auf die es ziemlich dringend ebenso ungewöhnliche politische Antworten bräuchte – und auf die gerade die Deutschen als Gastgeber des G7-Gipfels kommende Woche bisher nur schlecht vorbereitet scheinen.
Klar: Bisher setzten die Konjunkturauguren noch auf ein glimpfliches Szenario. Demnach würden Inflation und Lieferengpässe zwar dazu führen, dass weniger produziert und (real) weniger Geld ausgegeben wird. Dagegen stand aber eben auch der eine oder andere Hoffnungswert: etwa dass – anders als in klassischen Rezessionen zuvor – weder zu viel investiert noch konsumiert wurde. Und auch, dass weder Banken noch Industrie in größeren finanziellen Schwierigkeiten stecken. Was auch den Korrekturbedarf begrenzt, der in anderen Rezessionen oft fatale Abwärtsspiralen auslöste. Für 2022 erwarteten etwa die Forscher vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) vor zehn Tagen noch ein Wirtschaftswachstum von gut zwei Prozent in Deutschland – und 2022 sogar mehr als drei Prozent. Halb so wild.
Die Manager sind pessimistisch geworden
Doch seither nehmen Gefahren wie Warnsignale zu – und die Wahrscheinlichkeit für einen glimpflichen Ausgang scheint rapide zu schwinden. Nach den Juni-Umfragen unter Einkaufsmanagern von Unternehmen ist für Deutschland schon jetzt ein Schrumpfen der Wirtschaft zu vermuten. Die Managerbefragungen des Ifo-Instituts zum Geschäftsklima ergaben, dass die Erwartungen für die nächsten sechs Monate alles in allem so pessimistisch sind wie sonst nur in, eben, Rezessionen.
Was die Abwägungen jetzt in Richtung Alarm kippen lässt, sei zum einen, wie aggressiv die US-Notenbank zuletzt auf die erneut gestiegene Inflation von mittlerweile fast neun Prozent reagiert – mit so stark steigenden Zinsen, dass dies nicht mehr ohne ebenso herbe Folgen für die Realwirtschaft bleiben werde, schreiben die Ökonomen der Berenberg Bank in ihrer neuen Prognose von dieser Woche. Da werden etliche Investitionen zu teuer – und jetzt gekappt. Dazu komme vor allem für die Europäer, dass auch die Gaspreise in der jüngsten Eskalation mit Russlands Präsident Wladimir Putin erneut hochschnellen – und damit die Chance auf ein nahendes Ende des Kaufkraftentzugs dahin ist. Und das in einem Moment, wo die nächste Coronawelle läuft – und nicht absehbar scheint, wie lange die vielen Lieferengpässe noch bleiben, die etliche Lockdowns und andere Hemmnisse hinterlassen haben.
Die Corona-Rezession war vergleichsweise leicht
In solch kritischen Phasen drohe die Angst zu noch mehr Angst und Zurückhaltung zu führen – was den Ausgang schwer berechenbar mache, so Berenberg-Chefökonom Holger Schmieding: »Da kann sich ein Abschwung rasch verselbstständigen.«
Mit steigender Arbeitslosigkeit rechnen die Ökonomen in jedem Fall. Anders als in der Pandemie, wo der Absturz vor allem durch den anfänglichen Angstschock kam und alle Beteiligten mit baldiger Erholung rechnen konnten, ist die Lage diesmal weit schwieriger: Es gibt noch viel schwerwiegendere Unwägbarkeiten, wie den Fortgang von Putins Krieg; dazu das große Experiment, die etablierte Energieversorgung einer ganzen Volkswirtschaft in kurzer Zeit ziemlich grundlegend umzustellen – begleitet durch einen historischen Inflationsschub. Da war die Corona-Kurzrezession zwar kurzzeitig heftiger, aber an sich sehr viel leichter.
Wie stark die nun drohende Rezession am Ende wird, lässt sich umso schwieriger vorhersagen. Einigermaßen sicher ist nur, dass es fatal wäre, noch lange auf Belege zu warten. Wenn die Spirale sich einmal dreht, ist sie umso schwerer zu stoppen – und ist es zu spät, um Schlimmeres noch zu verhindern.
Sich dabei auf die Notenbanker zu verlassen, hätte etwas Tragisches. Die höheren Zinsen wirken ja vor allem so, dass sie die Wirtschaft dämpfen – und damit eben auch die Rezession verstärken. Suboptimal. Wichtiger wäre, alles zu versuchen, was auf anderem Weg gegen hohe Preise wirkt. Dazu zählen die Ideen, über sinkende (Mehrwert-)Steuern direkt für niedrigere Preise zu sorgen. Ebenso wie alles, was womöglich auch per Gesetz für stabilere Preise sorgt – so ungewöhnlich und verboten das in einer Marktwirtschaft erst einmal wirken mag. Es sind eben keine gewöhnlichen Zeiten. Da könnte es helfen, die Gaspreise für Verbraucher zu deckeln. Oder gleich bei spekulativ getriebenen Weltmarktpreisen einen Stopp einzubauen – so wie es die US-Finanzministerin Janet Yellen jetzt für russische Ölexporte vorschlägt .
Was sonst, wenn nicht ein Treffen der mächtigsten Regierungen in den Stunden und Tagen einer wahrscheinlicher werdenden Rezession, könnte dafür der Ort und die Zeit sein – wenn es um etwas geht, das nur funktioniert, wenn auch ein Großteil der Beteiligten mitwirkt. Der G7-Gipfel, der am Sonntag auf Schloss Elmau beginnt, ist ohnehin die größte Gelegenheit, dem Verdacht einmal entgegenzuwirken, dass diese Treffen doch nur Show ohne Wirkung sind.
Es hat angesichts der wachsenden Gefahren etwas Gruseliges, wie leichtfertig der deutsche Finanzminister diese Krise jetzt mit ein paar alten ökonomischen Lehrsätzen kontern will. Etwa dadurch, dass es jetzt angeblich hilft, staatlich zu sparen und neue Schulden zu vermeiden. Weil man sonst angeblich die Inflation anheizt. Das mag in den USA noch ansatzweise richtig sein, wo die Wirtschaft tatsächlich sehr viel näher an einer Überhitzung war (und jetzt rezessionsbedingt sehr schnell nicht mehr sein wird) – für die Eurozone ist das grotesk und gefährlich, weil es hier überhaupt keine Überhitzung gab. Das ist einfach schlecht. Wie die Berenberg-Experten in ihrer Alarmprognose schreiben, wird es bei der Frage, ob eine schlimmere Rezession noch zu vermeiden ist, in den nächsten Wochen darauf ankommen, dass die Regierungen in der Krise mehr ausgeben, nicht weniger.
Vor zehn Jahren haben deutsche Regierende schon einmal dramatisch danebengelegen, als sie nach alter Hausmannsart die Eurokrise bewältigen wollten – und Griechen und anderen empfahlen, inmitten von Rezession und Panik möglichst zu kürzen. Und höhere Zinsen verlangten. Gut gemeint – Patient tot. Das Ergebnis war, dass die Wirtschaft noch stärker abstürzte und die Krise nur noch schlimmer wurde – und hat dazu geführt, dass heute kein ernst zu nehmender Ökonom so etwas mehr fordern würde.
Auf die jetzt drohende Rezession schlicht mit höheren Zinsen und eifrigem Kürzen von Ausgaben zu reagieren, wäre das beste Rezept für die große Katastrophe. Es wäre gut, wenn unsere Regierenden in den nächsten Tagen erkennen ließen, dass auch sie auf der Höhe der Zeit sind.