Jeder hat eine, jeder weiß, was er von ihr hat. Und trotzdem scheint die Gießkanne gerade eine etwas unglückliche Imagekrise zu erfahren. Zumindest, wenn es um Hilfen gegen teures Gas und hohe Inflation geht. Da ist fast täglich plötzlich zu lesen oder zu hören, dass die Regierung jetzt bloß »nicht mit der Gießkanne« vorgehen dürfe.
Womit in der Regel gemeint ist, dass nicht alle Menschen im Land zum Ausgleich für hohe Energiepreise Geld bekommen sollten – anders als, klar, beim Gießkannenprinzip, wo halt aus jedem Loch etwa gleich viel Wasser kommt. Vor allem dann nicht, wenn die Betreffenden genug Geld (Wasser) haben. Besser sei, so ein beliebter Rat, (nur) den Ärmsten etwas zukommen zu lassen.
Das klingt menschlich ehrenwert, klar. Nur: Ob das Anwenden oder Nicht-Anwenden von der Gießkanne deshalb ein guter Maßstab für (gute oder) schlechte Krisenpolitik ist, ist etwas anderes. Auch für die, denen damit angeblich so gezielt geholfen wird. Viel spricht sogar dafür, dass das ein gefährlicher Maßstab für gute Hilfe ist – und der eifrige Ratschlag, das Gießkannenprinzip unbedingt zu vermeiden, von sinnvolleren Maßstäben ablenkt.
Dass auffällig viele eher konventionelle Ökonomen statt der Gießkanne derzeit solche »gezielten« Pauschalen für die Ärmsten empfehlen, löst dabei schon kognitive Dissonanz aus. Wären nach konventionell-wirtschaftsliberaler Lehre nicht über Jahre Billigjobs für toll befunden worden, hätte Deutschland heute nicht einen der anteilsmäßig größten Niedriglohnsektoren unter den reichen Nationen, wie Anke Hassel von der Hertie School in Berlin kürzlich treffend sagte. Dann bräuchte es auch nicht bei jeder Krise so existenziell dringend viele Hilfen für Leute, die sich das Leben mit ihrer Arbeit auch so schon kaum leisten können.
Real vier Prozent weniger Einkommen
Nach Schätzungen führender Forschungsinstitute muss Deutschland dieses und nächstes Jahr auf Anhieb jeweils mehr als 100 Milliarden Euro zusätzlich für Energieimporte zahlen. Das ist ein ökonomischer Schock. Zieht man den Kaufkraftverlust ab, der derzeit durch die entsprechende Inflation entsteht, werden die Menschen im Land 2023 real vier Prozent weniger Einkommen haben als dieses Jahr. Das hat es so außerhalb von wirklichen Kriegszeiten noch nicht gegeben. Schon das kann für viele Einzelhändler und Gastronomen in der Praxis zum Desaster werden. Es droht aller Erfahrung nach auch dramatische gesamtwirtschaftliche Folgen nach sich zu ziehen – wenn bei den einen die Umsätze fehlen und Leute entlassen werden, zieht das auch andere herunter. Mit der Folge, dass in der Regel als Erstes jene ihre Arbeit verlieren, die ohnehin eher in prekären Verhältnissen leben.