So schnell kann’s gehen. Über Wochen schien der Trend nur nach oben zu gehen und die Inflation stetig zuzunehmen, prophezeiten Endzeitvorhersager auf Dauer jetzt fünf und mehr Prozent Geldentwertung jährlich. Während immer neue Ängste um die Energieversorgung für immer neue Schübe bei Gas- und Strompreisen sorgten. Jetzt melden Beobachter plötzlich, dass die Gasfrachter um Europa herum im Stau stehen. Weil die Speicher voll sind – und gar nicht so viel Gas gelagert werden kann wie bestellt.
Und weil jetzt auch noch gefühlter Spätsommer ist und die Heizungen saisonunüblich aus bleiben, stürzen die Preise an den stark spekulativ getriebenen Gasmärkten – diese Woche im extrem kurzfristigen Handel sogar teils kurz mal unter null. Das heißt: Die Anbieter des guten Gases zahlten – virtuell – zeitweise sogar drauf, um das Zeug loszuwerden.
Natürlich war das nur ein neuer irrer Moment an den Märkten. Und natürlich heißt das nicht, dass plötzlich auch für unsereins alles wieder billiger würde. Im Schnitt wird Gas selbst an den hibbeligen Märkten noch mit 100 Euro pro Megawattstunde gehandelt. Allerdings ist das schon nur noch ein Drittel von dem, was kurzzeitig im August verlangt wurde. Und die jüngsten Abstürze könnten ein Signal dafür sein, wie schnell sich die Richtung bei den Preisen wieder ändern kann.
Noch scheint der Hype um die schlimmste Prognose zu laufen. Und noch sehen sich vor allem die bestätigt, die schon immer gegen die Notenbanken wetterten – und in den Niedrigzinsen der vergangenen Jahre den wahren Grund für die Inflation dieser Monate sehen. Das hieße, dass die Teuerungswelle auch ohne Gaspreisanstiege noch über Jahre weiterginge.
Ob das die treffende Deutung ist, ist nur alles andere als sicher. Die Inflation ist ja nicht zufällig genau zu dem Zeitpunkt so stark gestiegen, als Wladimir Putin auf einen Krieg in der Ukraine zuzusteuern – und die Abhängigkeit vom russischen Gas als Kriegsmittel auszunutzen begann. Wenn hier und in den Nachwirkungen der Coronapandemie auf etliche Lieferketten der entscheidende Treiber für unsere derzeitige Inflation liegt, hängt die Dauerhaftigkeit des Übels auch mehr von Gasangebot und Gasnachfrage, von Putin und Spekulationstrieben ab als von, sagen wir, der Rabiatheit, mit der die Zinsen steigen.
Und dann stehen die Chancen auf ein Ende der Extremteuerung womöglich besser, als es gängige Dauerinflations-Propheten derzeit noch behaupten.
Dafür spricht, dass die viel zitierten Lieferengpässe seit Monaten nachlassen und es Unternehmen wieder zunehmend einfacher fällt, ihre Vorprodukte zu beziehen – während Verbraucher zunehmend mit Kaufzurückhaltung auf hohe Preise reagieren; was es Firmen wiederum zunehmend schwer macht, die Preise noch weiter anzuheben. Laut Umfragen schränken zwei Drittel der Deutschen ihren Konsum bereits ein . Und: Der Eifer der Wirtschaft, Preise (weiter) anzuheben, hat seit den Hochs im Frühjahr wieder nachgelassen, wie Ifo-Umfragen ergeben.
Die Preisbremsen wirken
Wie es um die Lieferengpässe von allen möglichen Waren weltweit steht, ermittelt monatlich die New York Fed, ein regionaler Teil der US-Notenbank. Der entsprechende Index lag im September so niedrig wie seit zwei Jahren nicht. Dazu trägt jetzt auch die Rezession bei, die bei vielen Unternehmen in den USA wie in Europa die Preissetzungsspielräume ebenfalls wieder schwinden lässt.