Sie werden es gemerkt haben: Es gibt gerade fast täglich neue Meldungen über Hilfen. Für Gasverbraucher wie für Stromkunden, und für kriselnde Gasanbieter. Gegen Corona-Ausfälle sowieso. Und für Industriekunden. Dazu noch das neue Bürgergeld. Und ein 49-Euro-Ticket. Alles irgendwie vom Staat. Und subventioniert.
Schon beginnt es zu unken, das könne ja alles nicht sein – der Staat könne nicht alle Risiken auffangen. Das komme, war zu lesen, von der schlimmen deutschen Vollkasko-Mentalität. Wozu orthodoxe deutsche Ökonomen gewohnt spaßfeindlich noch anfügen, all die Hilfen könnten sowieso die Kosten von Corona und kriegsbedingter Energiekrise nicht wettmachen. Sprich: Da sei wahres Leid nötig.
Ist das so? Bei genauerem Hinsehen wirken solche Diagnosen nicht nur reichlich zynisch. Sie drohen auf fahrlässige Weise auch jene Art von Krise fehlzudeuten, in der die liberalen Demokratien gerade stecken – und die sich nach Rechtsruck in Italien, eskalierender britischer Dysfunktionalität und möglicherweise gerade wieder nahenden Desastern in den USA bald auch in Deutschland auswirken könnten.
Für die Hilfen gibt es zum einen ja nicht nur unmittelbar humane, sondern auch ernste wirtschaftliche Gründe, die am Ende auch eine humane Wirkung haben. Wenn die damalige Bundesregierung auf den Corona-Schock mit atemberaubenden Hilfspaketen reagiert hat, war das ja nicht der sorgsamen Berücksichtigung einer vermeintlichen deutschen Vollkasko-Mentalität geschuldet. Vielmehr hat sie damit auf die berechtigte Befürchtung reagiert, dass die angstgetrieben-abrupte Unterbrechung des Geldausgebens eine dramatische Kettenreaktion hätte auslösen können – in der unzählige Firmen mangels Umsatz pleitegegangen wären und es massenhaft Arbeitslose gegeben hätte. Das hat eine Menge Leid vermieden.
Gleiches galt einst auch, als das Bankensystem 2008 kurz vor dem Kollaps stand. Oder eben jetzt, seit Wladimir Putin auf Kriegskurs gegangen ist – und dies für einen bis dahin undenkbaren Energieschock gesorgt hat. Was wiederum das orthodox-ökonomische Geunke ad absurdum führt, wonach Corona und der Krieg nun mal Wohlstand kosten – egal wie viel der Staat da auszugleichen versucht. Es macht – selbst wenn das stimmen würde – schon einen Unterschied, ob die Kosten jetzt inmitten einer ohnehin dramatisch labilen konjunkturellen Lage zu tragen sind, in der das Risiko einer Abwärtsspirale hoch ist – oder erst irgendwann, wenn die Situation wieder stabiler und Krieg wie Energiepreiskrise vorüber sind.
Wenn dank Hilfen für die Kaufkraft eine solche Kettenreaktion hier und jetzt vermieden wird, ist der Wohlstandsverlust deutlich geringer, als er es sonst wäre (wenn es jenseits vorübergehender Einschränkungen überhaupt so einen großen gibt). Nach dem unmittelbaren Angstschock wegen des Coronavirus im Frühjahr 2000 hat sich die deutsche Wirtschaft rapide wieder erholt – warum auch nicht? Das ist jetzt in der Energiekrise womöglich nicht ganz vergleichbar, weil es um Umbrüche bei der Energieversorgung geht. Auch hier gilt aber: Die Preise für Gas und Öl können schnell auch wieder sinken. Und die Hilfen tragen schon jetzt dazu bei, dass der ganz große Absturz ausbleibt. Schon weil die Deutschen einen Teil der Kaufkraftverluste über Neun-Euro-Tickets, Tankrabatte und Energiepauschalen erstattet bekommen haben – und noch bekommen.
Gefahr für die liberale Demokratie
Was das Gerede von der Vollkasko-Mentalität noch gefährlicher macht, ist noch etwas anderes: Es geht ja nicht darum, die üblichen Unwägbarkeiten des Lebens aufzufangen – und Risiken auszuschließen. Sondern darum, die Folgen einer Pandemie einzudämmen, wie es sie alle hundert Jahre gibt. Oder die eines Krieges, dessen indirekte Folgen die Menschen zu verarmen drohen. Diese Pein lässt sich als Anlass für hehren Verzicht intellektualisieren. Doch für die Menschen, die täglich über die Runden kommen müssen, klingt das irre. Und es droht ein tumbes Gefühl zu verstärken, das schon seit Jahren zum Verlust an Vertrauen in die liberalen Demokratien beiträgt – und zu allerlei Querdenkertum, Brexit-Irrsinn, Trumpismus und anderem geführt hat: jenes Gefühl, zwar für alles irgendwie verantwortlich zu sein, die eigenen Geschicke in Wahrheit aber nur sehr bedingt beeinflussen zu können. Zumindest in Krisenzeiten wie diesen.