Man könnte meinen, Deutschland habe ein Abo auf Gruselgeschichten. Alle paar Jahre laufen hierzulande jene düsteren Propheten zu Hochtouren auf, die das Land am Abgrund sehen und den Wohlstand am Ende – vor allem die Industrie steht immer kurz vor dem Tod. Talkshows werden zu Horrorshows, in denen Hans-Werner Sinn, Gabor Steingart und Kumpane unken, warum der Standort endgültig abgewirtschaftet habe. Und warum diesmal wirklich geschehe, was bisher nie eingetreten ist. Als Steingart 2005 den »Abstieg des Superstars« prophezeite, folgte die längste Wachstumsphase seit Ewigkeiten. So schön kann man danebenliegen.
Kann sein, dass es doch irgendwann zum Untergang kommt. Womöglich steht er kurz bevor. Die Inflation ist zurück, die deutsche Wirtschaft muss viel mehr für Energie zahlen – und überhaupt ist bei uns ja alles viel zu bürokratisch (was im Aufschwung offenbar nicht so störte). Kann aber auch sein, dass sich die deutsche Lust am eigenen Untergang gerade mal wieder verselbstständigt – und wir auf Dauer gar nicht so viel Wohlstand verlieren. Deshalb hier und jetzt: ein Absturz-Check.
Richtig ist, dass die deutsche Industrie derzeit viel mehr für Energie zahlen muss als etwa die US-amerikanische, die viel weniger von russischem Gas abhing, weshalb die Preise dort kaum gestiegen sind. Ob das reicht zur Schmelze der gesamten deutschen Industrie (oder ihres Kerns, was auch immer das heißt), ist allerdings fraglich. Der Großteil der Konkurrenz wirtschaftet zum einen nach wie vor in Europa – und die Energiekosten sind hier fast überall ähnlich gestiegen. Wenn es für alle Wettbewerber teurer wird, kann kein Wettbewerbsnachteil entstehen.
Kaum Auswirkungen auf die meisten Produkte
Dazu kommt zum anderen, dass ein paar Großnutzer den allergrößten Teil jener Energie benötigen, den die Wirtschaft insgesamt verbraucht. Wie eine Studie im Auftrag des Sachverständigenrats herausarbeitete, gehen 90 Prozent des gesamten Gasverbrauchs der deutschen Industrie für die 300 gasintensivsten Produkte drauf. Oder anders ausgedrückt: Selbst in der Industrie fällt Energie als Kostenfaktor für die allermeisten Betriebe kaum ins Gewicht – pro Euro Wertschöpfung liegt der Verbrauch im Schnitt fast überall unter einer Kilowattstunde. Das ist nur in ein paar Branchen deutlich anders – etwa bei allen, die Glas, Keramik, Papier, Pappe oder Metalle herstellen. Selbst in diesen Branchen ist nicht gesagt, dass Firmen deshalb vor der Schmelze stehen. Immerhin, so die Sachverständigen, hänge Überleben oder Siechen auch davon ab, wie stark die Branche außereuropäischer Konkurrenz ausgesetzt sei – und wie gut sie bisher verdiene, was so manchem ja ermögliche, höhere Kosten wegzustecken.