Es hat schon etwas urig Groteskes. Da wurde über Monate gestritten, ob es in Deutschland eine Gaspreisbremse geben solle – oder nicht. Und ob die so heißen darf, weil der Staat ja nach heiliger marktwirtschaftlicher Orthodoxie eigentlich Preise nicht bremsen darf. Und ob sie nicht doch schlecht ist, weil bei gebremsten Preishöhenflügen dann ja der Anreiz zum Energiesparen zu schwinden droht.
Jetzt soll die Bremse mit viel Zeitverzug zu wirken beginnen. Just zu einem Zeitpunkt, wo die Gaspreise an den Finanzmärkten wieder so rapide gefallen sind, dass es bei einigermaßen freundlicher Umsetzung durch die Stadtwerke gar keine Bremse mehr bräuchte. Schon reift die Sorge, die Preise könnten zu niedrig werden – um noch als großer Anreiz zum Energiesparen zu taugen. Was das Gros der Ökonomen ja als oberstes Heilmittel gegen den Klimawandel preist.
In Wirklichkeit könnte das Preis-Jojo der vergangenen Monate vor allem eins zeigen: wie fatal es ist und enden kann, die Rettung des Klimas von Preissignalen abhängig zu machen – zumal, wenn die von Flatter-Märkten gesetzt werden.
Natürlich lassen sich für das Auf und Ab der Preise per se erst mal Gründe finden: Erst war es die Panik davor, dass es in Europa im Winter zur Gasmangellage kommt und der Krieg eskaliert – was im August zu Höchstpreisen am europäischen Gasmarkt von rund 350 Euro je Megawattstunde führte. Dann die Aufeinanderfolge eifrig aufgestockter Gasreserven, des Verzichts auf Gas-intensives Produzieren sowie langes Duschen – und vor allem des milden Winterwetters. Wodurch das Risiko Mangellage erst mal abgeräumt ist. Jetzt liegen die Großhandelspreise mit weniger als 60 Euro plötzlich niedriger als kurz vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine.
Der Haken an der Wärmepumpe
Natürlich bleibt so ein Preishoch nicht ohne (gewünschte) Wirkung. Die Nachfrage nach Wärmepumpen ist 2022 hochgeschnellt. Die Sache hat nur gleich mehrere Haken.
Erstens geht das Umstellen auf Alternativen bei der Energie umständehalber einfach nur langsam – wenn die Gasanlage im Keller steht, kann man nicht am nächsten Tag mal schnell auf Wärmepumpe umstellen. Rechnet man das milde Wetter als schönes Geschenk mal raus, dürfte die wahre preisbedingte Energieeinsparung bei den Haushalten im niedrigeren Prozentbereich liegen. Nicht so viel – bei einer zwischenzeitlichen Vervielfachung der Preise. Und: jetzt schwindet der Druck schon wieder.
Die Idee mit den Anreizen wirkt umso weniger, wenn die Preise nur vorübergehend extrem steigen – und anschließend fast ebenso stark wieder fallen, sodass es jetzt überall Artikel zu lesen gibt, wann und wie schnell die Stadtwerke ihre Preise wieder senken; und wer überhaupt höhere Preise noch zu spüren bekommt. So eine Investition in, sagen wir, eine Wärmepumpe, braucht eine einigermaßen belastbare Kalkulationsgrundlage, wann sie sich rechnet. Und die hängt auch vom Vergleich mit den tatsächlichen Gaspreisen ab. Womit sich die Frage stellt, welche Gaspreise denn? Die vom August? Oder die jetzt? Oder die in ein paar Wochen, wenn die Preise vielleicht noch mal deutlich niedriger sind – und sich eine neue Wärmepumpe um etliches weniger auszahlt als noch vor ein paar Wochen.
Wer im Sommer auf die klimarettend glorreichen Märkte gesetzt hat, als dort in Panik die Preise für Gas hochschossen, steht jetzt doof da, wo ebendiese glorreichen Märkte Preis und Anreiz wieder kollabieren lassen. Tschüss, Klima! Wobei ein Teil des Dramas schon in der Logik der Preiswirkungen steckt: Wenn hohe Preise zu geringerer (Energie-)Nachfrage führen, trägt dies im nächsten Moment dazu bei, dass die Preise wieder fallen – und bei günstigeren Preisen steigt die Nachfrage wieder. Logisch. Was nur eben nicht zum klimapolitisch gewünschten Ergebnis stetig steigender Preise für schädliche Energie führt. Selfdefeating, wie der Engländer sagt. Schießt sich selbst ins Knie.
Die Richtung des Preis-Auf-und-Abs der vergangenen Monate mag erklärbar wirken. Die Ausschläge fallen an solchen Finanzmärkten gerade in unsicheren Zeiten allerdings schnell exzessiv aus. Ein Switch von 300 auf weniger als 60 Euro je Megawattstunde in so kurzer Zeit ist durch reale Bewegungen von Angebot und Nachfrage schwer zu begründen. Das passiert, weil an solchen Märkten viel virtuell gehandelt und entsprechend heftig spekuliert wird. Nicht immer gut.
Schlimmer: Wer Gaspreisbremsen ablehnt und stattdessen auf die Märkte setzt – weil die mal so klimapolitisch schön hohe Preise machen –, dem fehlt umgekehrt das schlagende Argument, einzugreifen, wenn die Preise klimapolitisch widersinnig stark fallen. Dann wird der Kampf gegen den Klimawandel zum Spekulations- und Lotteriespiel – je nach mehr oder weniger sinnvollen Kapriolen an Gas- oder Rohölmärkten.
Der Preis für ein Fass Öl schwankte innerhalb der vergangenen zehn Jahre zwischen 130 und 25 Dollar und ist auch jetzt binnen wenigen Wochen erst auf 130 Dollar hoch und dann wieder auf 80 runter gesaust. An dem Befund ändert auch wenig, dass die Gaspreise selbst jetzt noch höher sind als vor langer Zeit. Auch das kann sich an so flatterhaften Märkten mit ihren Herdentrieben schnell ändern.
Ein Schnäppchen für den Finanzminister
Es ergibt schon Sinn, in Zeiten exzessiver Ausschläge Gaspreisbremsen zu machen. Nur sollten die dann natürlich nächstes Mal auch in Kraft treten, wenn die Preise hoch sind – und nicht wie jetzt in Gaspreisbremsenschneckentempo-Deutschland, wo die Ausschläge sich schon wieder verkehrt haben. Faustregeln zufolge könnte Gas für Verbraucher gemessen an den aktuellen Marktpreisen bald bei (nur noch) 10 Cent je Kilowattstunde liegen – das wären zwei Cent weniger als der in der Gaspreisbremse festgelegte Höchstpreis, ab dem der Staat eingreift und Geld ausgleicht. Nach aktuellem Stand wird das für den Finanzminister mangels Anlass und hoher Marktpreise zum Schnäppchen.
Es wäre nur gut und konsequent, die Bremsen auf Dauer dann auch beiderseits wirken zu lassen: Wenn die Preise so hochzuschießen drohen, dass es ökonomisch wie gesellschaftlich unerträglich zu werden droht; und nach unten, wenn die Preise so stark fallen, dass aller Anreiz zu schwinden droht, sparsam mit Energie umzugehen. Auch, wenn das jetzt noch nicht der Fall ist. Dann braucht es auch mal eine Preissturz-Bremse.
Das Klima zu retten benötigt mehr langfristig kalkulierbare Preise und Kosten. Weniger Spieltrieb ausgelassener Finanzmarktjongleure.