Über Jahre haben Leute wie Jörg Krämer stoisch manisch prophezeit, dass die Inflation unmittelbar bevorsteht – und deshalb die Zinsen steigen müssen. Über Jahre lag der oberste Ökonom der lange kriselnden Commerzbank eben damit daneben, und die Zinsen stiegen nicht. Dann kam die Inflation, und die Zinsen sind gestiegen. Und plötzlich meldet die Commerzbank, dass sich die hauseigenen Gewinne nach den vielen Krisenjahren wundersam verdreifacht haben. Was, so sagen Analysten, vor allem an einem lag: den gestiegenen Zinsen. Zufälle gibt’s.
Jetzt wollen wir dem Bankenökonomen nicht unterstellen, dass er nur deshalb so penetrant höhere Zinsen gefordert habe, weil das am Ende vor allem einem hilft: dem eigenen Haus. Der Mann ist ein typisch konservativer deutscher Ökonom, was früher einmal üblich war. Und die neigen glaubensbedingt bekanntlich dazu, unter jedem Steinchen Inflation zu sehen – und eigentlich immer höhere Zinsen zu fordern. Zumal das ja denen besonders zugutekommt, die – logisch – mehr Vermögen als ärmliche Schulden haben. Freuen wird’s die Chefs trotzdem, wenn der geldpolitische Eifer des eigenen Manns so gut zum Geschäftsabschluss passt. Und das gilt nicht nur für die Commerzbank.
Wie wundersam melden alle möglichen Bankhäuser just ein paar Monate nach Wiederanstieg der Zinsen (endlich) wieder stattliche Gewinne – und sei es, weil sie die höheren Zinsen nicht so schnell auch an die eigene Sparkundschaft weitergeben. Das Glück der Commerzbank ist da lediglich noch größer als das mancher anderer Institute, weil ihr Geschäftsmodell mehr als bei anderen abhängt von: den Zinsen. Eben.
Zu lange im Zinsglück?
Man muss auch gönnen können, klar. Die Frage ist nur, ob das, was für die Bank gut ist, es automatisch auch für uns alle ist. Also inflationspanisch steigende Zinsen. Ist ja nicht auszuschließen, dass der eine oder andere vor lauter Zinsglück auch die Sorge vor der Inflation am liebsten noch ein bisschen länger (als nötig) aufrechterhalten möchte. Womit wir bei der Frage wären, wie lange die Inflation noch bleibt – und ob die Rekordrate von 2022 doch gar nicht (so sehr) mit Krieg, Gaskrise und Energiepreisexplosion zu tun hatte; und viel mehr mit Notenbanken, weil die ihre Zinsen zu lange zu niedrig gehalten haben. So wie es sich als These in den Monaten seit Kriegsbeginn kurios festgesetzt hat. Nicht nur bei Banken.
Richtig ist, dass die Preise schon vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar vor einem Jahr anzogen. Allerdings taugt das bei näherem Hinsehen gar nicht als Beleg für die These, dass die Inflation wegen lotternder Notenbanken schon lange schwelte. Im Gegenteil. Zum einen gab es auch in den Monaten davor eine Menge Sonderfaktoren – da es durch Jahrhundertpandemie und Lockdowns in vielen Branchen (vorübergehend) Engpässe gab. Oder nach Öffnung hier und da (vorübergehend) aufgestauten Nachholbedarf, etwa beim Urlaub. Was die Preise für Pauschalreisen zeitweise hochschnellen ließ und auf den Weltmärkten bereits im Laufe des Jahres 2021 zu steigenden Rohstoffpreisen führte.
Vor allem aber begann die Sorge um eine Eskalation des Konflikts um die Ukraine nicht erst am 24. Februar. Das Säbelrasseln des russischen Präsidenten Wladimir Putin hatte bereits Monate zuvor etliche Panikschübe an Öl- und Gasmärkten ausgelöst.
Als Ende 2021 bekannt wurde, wie viele Truppen Putin bereits an den Grenzen zur Ukraine positioniert hatte, schnellten die Ölpreise hoch und erreichten schon vor dem 24. Februar mehr als 100 US-Dollar je Fass – eine Vervierfachung gegenüber den Krisentiefs in der ersten Corona-Welle. Zeitgleich begannen die Gaspreise im europäischen Handel sich zu vervielfachen: von gerade einmal 22 Euro je Megawattstunde noch im Juli 2021 auf atemberaubende 121 Euro kurz vor Weihnachten, also Wochen vor Kriegsbeginn. Die nächste Welle folgte, als Putin im Juni 2022 begann, die Gaszufuhr einzuschränken: Anfang Juli lag der Marktpreis bei 167, beim Versiegen der Pipelines Ende August zeitweise sogar bei 340 Euro.
Wie sehr all diese kriegs- und krisenbedingten Schocks die Inflation bei uns bestimmten, lässt sich an den zeitgleichen Ausschlägen der Verbraucherpreise in Deutschland erkennen. Nimmt man die monatlichen Veränderungen zum Maßstab, kam es immer genau in solchen Monaten zu auffällig hohen Anstiegen der Gesamtinflation, in denen auch die Energiepreise auffällig stark stiegen: ob Ende 2021, als Putin auf Eskalation zusteuerte; oder im März 2022 nach Kriegsausbruch. Der nächste Teuerungsschub kam, als die Gaskrise im Juni eskalierte; und dann noch mal im August und September, als die Gaszufuhr aus Russland ausblieb. Da erreichte auch die Jahresinflation bei uns ihre Höchststände.
Mittlerweile haben die Statistiker nachgerechnet – und festgestellt, dass die Inflation in Deutschland selbst da nicht jene zehn Prozent (Nachkriegsrekord!) erreichte, die zeitweise für historische Schlagzeilen sorgten (was nicht heißt, dass es keine starken Preisanstiege gab, klar). Seither sind besagte Gaspreise nur auch drastisch wieder gefallen – wie die Ölpreise. Allein, weil die zwischenzeitlich befürchtete Gasmangellage ausblieb. Mittlerweile sind die Gaspreise am Markt mit 50 Euro sogar niedriger als unmittelbar vor Kriegsbeginn – gemessen an gängigen Faustregeln werden damit auch die Endpreise für Verbraucher bald fallen, in der Tendenz wieder unter die Schwelle, bei der die Gaspreisbremse überhaupt einsetzen würde. Wie das Hamburger HWWI-Institut berechnete, stürzten die Rohstoffkurse im Schnitt gegen Jahresende regelrecht ab. Ende der Panik.
Die Inflation wird sinken
All das wird sich bald auch in der ausgewiesenen deutschen Gesamtinflation bemerkbar machen. Was dafür spricht, dass die extrem hohe Inflation 2022 doch ein vorübergehendes Phänomen bleibt – solange Putin nicht noch mal eskaliert.
Wie stark die Inflation fällt, läge dann weniger an den vermeintlich früher einmal zu niedrigen Zinsen der lotternden Notenbanker. Wichtiger ist, ob die wiederholten Preisschocks doch so tief sitzen, dass Unternehmer wie Beschäftigte sich jetzt gegenseitig mit Gewinn- und Gehaltsvorstellungen hochschaukeln. Und ob die Menschen nicht bei allem eine künftig hohe Inflation einrechnen und auszugleichen versuchen. Dann könnte sich der Putin- und Corona-Schock noch verselbstständigen.
Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Was das Hochschaukeln angeht, scheinen bisher vor allem die Unternehmen im Land in Spiral-Phantasie zu schwelgen; während die Reallöhne (also nach Abzug der Inflation) fallen, fahren die Betriebe trotz aller Kriege und Krisen höhere Umsätze und erstaunliche Rekordgewinne ein. Die Gewerkschaften versuchen zwar, Verluste über höhere Lohnforderungen aufzufangen. Nur ist das noch keine Lohn-Spirale. Zumal die Regierung beim Auffangen der Kaufkraftverluste hilft – über Pauschalen, Strompreisbremsen oder sonst wie.
Gegen Alarm könnte auch eine kürzlich veröffentlichte Studie von Bundesbank-Ökonomen sprechen. Demnach sind die Inflationserwartungen der Menschen mit dem Beginn des Kriegs überhaupt erst stark gestiegen. Und auch nur für die nächste Zeit. Weniger für die längere Frist. Nicht auszuschließen, dass selbige Erwartungen schnell wieder kleiner werden, wenn die Energiekrise schwindet und auch die aktuell gemessene Inflation wieder fällt.
Für Land und Leute gibt es genug Grund, beides abzuwägen: Sind die Zinsen zu niedrig, droht zu lange eine zu hohe Inflation; sind sie zu hoch, drohen weitere Einbrüche, etwa am Bau und in anderen Teilen der Wirtschaft – was auf Dauer auch viele Menschen ihren Job zu kosten droht. Tricky.
Bei Banken scheint das gerade anders zu sein, wenn auch nur auf den ersten Blick – weil höhere Zinsen in der Bilanz auf Anhieb mit hohen Gewinnen einhergehen. Und das Zinsgeschenk manche Schwäche kaschiert – wie bei der Commerzbank, die nach Analysteneinschätzung und Eigenkapitalquote jenseits des wundersamen Zinsgewinns gar nicht so viel besser als vorher dasteht. Was heißt, dass auch die Gewinne schnell wieder weg wären, wenn die Zinsen plötzlich wieder sinken. Das könnte auch erklären, warum der eine oder andere Bankenchefökonom vor allzu schnellen Zinssenkungen bereits warnt.
Verständlich. Wer wissen will, was für alle gut wäre, sollte im Zweifel aber besser noch mindestens eine Zweitmeinung einholen. Und zur Einordnung im Kopf behalten, für wen was im Eigeninteresse liegt.