Noch sind es nur zwei, drei Banken, die taumeln. Noch gibt sich die US-Regierung alle Mühe, den Eindruck zu verwischen, dass mal wieder Banken gerettet werden. Und noch gibt sich auch die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) entschlossen, ganz unbeeindruckt ihre Leitzinsen weiter anzuheben, wie am Donnerstag – weil das (angeblich) gegen die Inflation hilft. Um bloß nicht den Eindruck entstehen zu lassen, auf weitere Zinsanhebungen zu verzichten, nur weil es der einen oder anderen überschuldeten Bank helfen und die Finanzmärkte vorm Ruin schützen würde.
Noch. Was in diesen Tagen passiert, verdichtet wie im Zeitraffer das Drama, das sich seit Beginn der großen Finanzmarktliberalisierung vor 40 Jahren in regelmäßig sich verschärfenden Schüben wiederholt – und in dessen Folge immer neue Exzesse immer neue Rettungsaktionen mit sich brachten, bei denen Banken gestützt und Zinsen wieder gesenkt wurden. Was nur womöglich die Ursachen der Instabilität nicht behebt. Im Gegenteil.
Natürlich hat die US-Regierung in den vergangenen Tagen de facto geholfen, die Silicon Valley Bank (SVB) sanft umzuwandeln und die Anleger zu retten – wenn auch nicht so offenbar mit Steuergeldern. Ebenso wie kurz darauf die Schweizer Nationalbank, die diese Woche die Credit Suisse vor dem Absturz bewahrt hat, indem sie ihr viel Geld zur Verfügung stellte. Einzelfälle, ja. Und doch kein Zufall, dass das eine dem anderen folgt. Schon weil Finanzmärkte virtuelle Dinge handeln, keine Kartoffelsäcke, die sie schleppen müssten. Und es somit um viel Psyche und Vertrauen geht. Wenn Anleger angesichts der Pleite einer Bank bei anderen genauer hingucken, kann ein Hauch des Zweifels schnell zum Run führen – und dazu, dass die Kunden auch da ihr Geld abziehen. So schwingt die Krise von Kalifornien in die alpine Schweiz – und von da womöglich zum nächsten Wackelhaus.
Warnbeispiel 1929
Wie eine Forschergruppe um Niall Ferguson und Moritz Schularick in einer kürzlich veröffentlichten Auswertung von Finanzkrisen über 400 Jahre dokumentiert hat, mussten Notenbanken unzählige Male eingreifen. Und das war in der Regel auch gut, um schlimmere Krisen zu verhindern, wie es sie etwa nach dem Crash 1929 gab; damals galt es in Fachkreisen als schick, den Crash als »Bereinigung« vorheriger Exzesse einfach laufen zu lassen – mit dem bekannten Ergebnis einer höllischen Depression.
Gerade weil das als Warnbeispiel in die Geschichte einging – dank Wissenschaftlern wie dem inzwischen als Nobelpreisträger gekürten früheren Notenbankchef Ben Bernanke – gilt das Retten als oberste Maxime, seit mit der großen Finanzderegulierung die Auswüchse und Abstürze wieder zunahmen. Angefangen mit dem Aktiencrash 1987, auf den die Notenbanken weltweit mit hastigen Zinssenkungen reagierten, um keine Rezession zu riskieren. Über den großen Immobiliencrash in Japan, dem eine ewige Zeit von Nullzinsen folgte. Bis hin zur Lehman– und der Eurokrise seit 2008, der die bekannte Epoche mit teilweise sogar negativen Zinsen folgte. Nicht weil die Notenbanker plötzlich den Verstand verloren hatten, sondern weil sie ahnten, wie schnell höhere Zinsen das angeschlagene System gefährden und diejenigen in Bedrängnis bringen können, die zu hoch gepokert haben.
Wie die Auswertungen von Schularick und Kollegen ergaben, liegt hier auch eine Tücke: Die Rettung ist zwar nötig. Nur zeigt die lange Erfahrung auch, dass es systematisch umso schneller zur nächsten Krise kommt, je stärker in der vorangegangenen geholfen wurde. Weil das günstige Geld auch immer zu heikleren Anlagen animiert – und die Rettungsaktionen das Gefühl bestärken, dass die Notenbanken es beim nächsten Mal wieder richten werden. Was individuell nur bedingt stimmt, da viele Bankmanager tatsächlich ja danach weg sind und Anleger tatsächlich Geld verlieren. Allerdings bewirkt das viele System-Retten eben auch, dass Anleger vor dem ganz großen Crash weniger Angst haben. Sonst würden sie auf die eine oder andere Spekulation verzichten.
Notenbanken unter Druck
Hier beginnt das Dilemma, das die Notenbanker gerade erleben: Weil durch Krieg und Energiekrise die Inflation hochgeschnellt ist, sahen sich die Währungshüter nun doch wieder dazu gedrängt, die Zinsen anzuheben (obwohl sich darüber streiten lässt, ob das effizient gegen eine Öl- und Gaspreis-Inflation hilft). Mit dem Ergebnis, dass jetzt Banken wie die SVB oder die Credit Suisse kriseln, die viel zu sehr mit dauerhaft niedrigen Zinsen kalkuliert haben. Und die Notenbanker trotz allem Beteuern bald erwägen müssen, die Zinsen wegen der Turbulenzen und Krisengefahr nicht doch früher schon wieder zu senken – wenn sich die Aufregung nicht schnell wieder von allein auflöst.
An den Märkten sind die Prognosen schon gekippt, und in den USA wird bereits für die nächste Zeit mit der Zinswende nach unten gerechnet – nicht erst für die zweite Jahreshälfte, wie es noch kurz vor der SVB-Pleite Konsens war. Und wieder grüßt das Murmeltier: Bei Eskalation würden zur Rettung die Zinsen bald gesenkt; was gut ist – und schlecht, weil so umso schneller die nächste Euphoriewelle kommt.
Tückisch ist, dass die Retter mittlerweile ziemlich gut im Retten sind. So ein Finanzirrsinn über Jahrzehnte übt. Eher fatal. Schon, weil es keine Garantie dafür gibt, dass sich die Märkte über günstige Hilfsgelder ewig beruhigen lassen. Es fehlt bei all dem Finanzbrimborium in der Realwirtschaft auch mittlerweile so sehr an noch lukrativeren Geschäften, dass niedrige Zinsen zum Überleben dort unnormal wichtig geworden sind, um Investitionen überhaupt rentabel zu planen.
Besser wäre es, aus der Endlos-Spirale einer entrückt-selbstreferenziellen Finanzwelt sehr viel radikalere Schlüsse zu ziehen. Bevor doch noch der große Crash kommt. Wenn der Befund von Ferguson und Schularick stimmt, ist die Lösung sicher nicht, wie besinnungslos Zinsen anzuheben – schon weil der nächste große Crash die reale Wirtschaft doch wieder in den Ruin ziehen könnte. Dann kann die Lösung auf Dauer aber auch nicht sein, nur über immer neue Nothilfe und Nullzinsen im akuten Fall die Gefahr einer Eskalation zu beheben.
Dann müsste viel radikaler behoben werden, was am Anfang der Spirale stand: den Finanzmärkten so idiotisch viele Möglichkeiten zu lassen, sich ohne hinreichende Rücklagen mit sich selber reich werden zu lassen. Dann bräuchte es weit höhere Eigenkapitalquoten – also den Zwang, jeden Kredit mit viel mehr eigenen Mitteln decken zu müssen, wie das jeder Hausbauer auch muss. Oder ein Verbot, mit realen Gütern und Bedürfnissen virtuell so unbekümmert handeln zu dürfen. Oder mehr staatliche Eingriffe, um Herdentriebe und Exzesse zu stoppen.
So wie das üblich war, bevor in den 1970er-Jahren die irre Idee aufkam, Finanzmärkte mal wieder machen zu lassen, was sie wollen. Mit dem Ergebnis, dass heute eine Rettungsaktion der nächsten folgt, ohne dass das die tiefere Ursache beseitigt – und im Zweifel sogar die nächste Krise nur umso schlimmer macht.