Jetzt hat die deutsche Wirtschaft im Winter also weniger geleistet. Ein bisschen. Und doch genug, um es nach etwas steifer Ökonomen-Definition als Rezession auszuweisen. Genug vor allem, um all jene jetzt gleich einen drauflegen zu lassen, die seit Monaten schon darzulegen versuchen, dass Deutschland überhaupt vor dem Abstieg, ach, der Deindustrialisierung steht. Nicht (nur), weil es hohe Energiepreise und Inflation gibt. Sondern weil wir Deutschen auch einfach zu faul, zu teuer, zu bürokratisch und zu besteuert sind. Es ist wieder so weit.
Dabei wäre wichtig, ein bisschen genauer hinzugucken. Es ist ja nicht so, dass es keine Probleme gäbe. Die Frage ist nur, welche – und was genau dagegen hilft. Um nicht vor lauter diffuser deutscher Selbstkasteiung wieder mit einer mittelmäßig katastrophalen Agenda wie einst unter Gerhard Schröder zu enden.
Wenn es ein Symptom für die Rückkehr der Gaga-Economics gibt, sind es diese plötzlich wieder sprießenden Ranglisten, in denen Deutschland täglich bei irgendwas angeblich hinter Burundi steht. Was Tante Erna wie Markus Lanz veranlasst, Falten zu ziehen. Hinter Burundi. Das müsse man sich mal vorstellen. Dabei ist ziemlich sicher: Wenn wir in einer Tabelle wirtschaftlich hinter Burundi landen, ist die Tabelle Unsinn – oder es geht um irgendetwas anderes, nicht um wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand.
Nichts gegen Tabellen, die haben etwas Wunderbares. Wem sagt man das, vor diesem großartig inszenierten Bundesligafinale? Nur: Wie ernst ist es zu nehmen, wenn Deutschland wirtschaftlich in einer Tabelle auf Platz 18 von 21 steht, die der eifrige Familienunternehmer-Lobbyverband in Auftrag gegeben hat – vor etlichen Ländern, die nun wirklich froh wären, wenn sie unsere Probleme hätten. Wenn bei näherem Hinsehen der Verdacht entsteht, dass es in der Auswertung weniger um die Erklärung von Erfolg geht, sondern eher darum, ob ein Land all das macht, was die familiäre Lobby toll fände – also wenig Steuern zahlen und so. Bei der Weltbank sind entsprechend einseitig motivierte Rankings wie der einst legendäre Doing-Business-Index eingestampft worden. Weil sie mehr über die Wunschwelt der Auftraggeber aussagten, als die Realität zu erklären.
Für gruselige Schlagzeilen sorgte kürzlich, anderes Beispiel, eine Umfrage der Berater von EY, wonach ausländische Unternehmen angeblich »immer weniger in Deutschland investieren« . Was sich bei näherem Hinsehen nur als stark energiekrisenbedingt und vorübergehend herausstellte. Dieses Jahr sei der Anteil der Unternehmen, die Deutschland als einen der drei Topstandorte in Europa einstufen, von 40 auf gut 60 Prozent wieder hochgeschnellt. Na so was.
Natürlich sind die Strompreise in Deutschland heute höher als in den USA . Das gleich mit mangelnder Moral und zu hohen Steuern zu vermengen, ist nur etwas schräg.
Dass die Deutschen in der Woche im Schnitt weniger als, sagen wir, die Chinesen arbeiten, ist ein Aufreger – oder schlicht ein gutes Zeichen, dass wir uns das leisten können. Und trotzdem noch ein Vielfaches mehr pro Kopf an Einkommen haben als der Chinese. Der würde das – ungeachtet typisch asiatischer Tugenden – ja auch gern. Wofür sonst ist wirtschaftlicher Wohlstand da?
Überhaupt. Wenn all das so schlimm wäre: Warum hat die deutsche Wirtschaft dann in den vergangenen 15 Jahren ihr viel gelobtes kleines Wirtschaftswunder gehabt? Da gab es ja per se nicht weniger Bürokratie und niedrigere Steuern oder relativ hohe Löhne. Warum jetzt? Das ist unlogisch, würde Mister Spock sagen. Da scheint anderes wichtiger zu sein. Wenn es nicht andere längst getan hätten – wie etwa die Skandinavier –, dann hat Deutschland dafür den Beweis geführt.
Dass niedrige Steuern mehr Investitionen bringen, hat sich in der Praxis auch nirgends so richtig bewahrheitet. Trotz aller FDP-Bekundungen. Sonst hätte unter Donald Trump mit seinem Mega-Steuergeschenk-Programm ein ganz großer Boom ausbrechen müssen. Pustekuchen.
In Wahrheit sind auch die Löhne gemessen an der Leistung ja gar nicht so hoch. Sonst würden die Konzerne nicht so eindrucksvoll Rekordgewinne machen – selbst nach Corona- und Energiekrise. Die Löhne steigen bei uns deutlich weniger als die Verkaufspreise – und weniger als in den USA, was wiederum das Gejammer darüber relativiert, dass dort (tatsächlich) die Energiekosten niedriger sind. Die Arbeitslosenquote ist in Deutschland niedriger als in den USA und Großbritannien.
Auch liegt die Neuverschuldung in Deutschland dieses Jahr nur halb so hoch wie etwa in den USA – und die Gesamtschulden des Staates sind gemessen an der Wirtschaftsleistung in keinem anderen G7-Land so niedrig. Eins noch: Deutschlands Exporteure erwirtschaften kurz nach dem Energieimport-Schock schon wieder drastisch steigende Überschüsse im Handel – 2024 voraussichtlich wieder eine Viertelbillion. Auch das spricht nicht unbedingt für den unmittelbaren Abstieg in die Wirtschaftshölle.
Kein Problem? Natürlich. Doch. Wenn die deutsche Wirtschaft zuletzt weniger erwirtschaften konnte, lag das nach Auswertung der neuen Daten nur daran, dass die Leute im Land weniger Geld ausgegeben haben – wegen der Inflation, und weil sie real viel Einkommen verloren haben. Nicht, weil sie zu viel verdienen.
Wenn stimmt, dass die modernen Demokratien auch deshalb kriseln, weil zu viele Leute in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig mitbekommen haben, dann ist das, was in den vergangenen Monaten passiert ist, ein Alarm. Und dann ist oberste Priorität, dafür zu sorgen, dass die Leute den Inflationsverlust mit Vernunft und Maß ausgeglichen bekommen – oder die Preise auch mal wieder fallen. Nur halt am besten so sachte schrittweise, dass daraus nicht doch noch die oft beschworene Lohn-Preis-Spirale wird.
Wenn kein Absatz da ist, wird eine Firma nicht investieren
Wenn das stimmt, ist fahrlässig, den Leuten das Gefühl zu geben, sie müssten jetzt auch noch mehr arbeiten und auf Gehalt verzichten. Weil die arme Wirtschaft sonst angeblich deindustrialisiert.
Natürlich gibt es Branchen, denen der Energieschock von 2022 arge Probleme bereitet, weil sie auf viel Energie angewiesen sind. Oder die Fachkräfte verzweifelt suchen. Oder viel Zeit für Bürokratie aufwenden. Und natürlich hat US-Präsident Joe Biden den Konkurrenzdruck erhöht, indem er all jenen jetzt massiv Subventionen gibt, die in den USA etwa Elektroautos bauen. Da hilft aber kein stoisch-gagaeskes Klagen über generell mangelnde Moral, kurze Arbeitszeiten und Bürokratie. Und auch kein leeres Rufen nach niedrigeren Steuern für Unternehmen – wenn diese ohnehin in Geld schwimmen. Der Boom wird auch nicht durch ein bisschen weniger Bürokratie kommen. Wenn kein Absatz zu erwarten ist, wird eine Firma eh nicht investieren.
Eher schon lohnt, darüber nachzudenken, ob so eine Großanreiz-Initiative, wie sie Biden lanciert hat, nicht auch bei uns die beste Wahl wäre, um auf klimaneutral umzustellen. Und mit der früher so verpönten Industriepolitik, die es halt braucht, wenn die Wirtschaft mit so einer großen Umstellung allein überfordert scheint. Trotz aller Bekundungen investiert der Staat in Deutschland mit gerade 2,7 Prozent der Wirtschaftsleistung immer noch weniger als in den USA, Großbritannien und den meisten anderen großen Ländern (jeweils mehr als drei Prozent).
Gut wäre auch, wieder mehr Leute dort auszubilden, wo sie künftig gebraucht werden. Heizungsbauer oder so. Auch das geht am besten, wenn man die Beschäftigten besser bezahlt, nicht schlechter. Und ihnen ihre Wünsche erfüllt. Und sei es, nur vier Tage die Woche zu arbeiten. Besser allemal als sträflich hohe Preise oder Verbote. Sonst wird das mit der Umstellung nichts.
Klar steht Deutschland vor Herausforderungen. Und klar kann dabei das eine oder andere schiefgehen. So einen Mix aus Energieschocks, Krieg und Klimakrise hat es noch nicht gegeben. Es macht’s nur nicht besser, jetzt mal wieder zum Rundumjammern über deutsche Untugenden und nahende Abstürze anzusetzen – und mal wieder kläglich gescheiterte Wirtschaftspolitik von anno dazumal nahezulegen. Da gehen die Probleme nicht weg.