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Lindau: Nobelpreisträger tendenziell ratlos
In Lindau trafen sich einige der ausgewiesener Maßen klügsten Ökonomen. Auch sie sind sich nicht einig darüber, wer oder was Schuld an der Finanzkrise war. Das Vertrauen in „den Markt“ schwindet. Doch was folgt statt dessen?
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Lindau: Aktuelle Eindrücke aus der Verhaltensökonomie
Der Homo Öconomicus war lange Zeit die wirtschaftswissenschaftliche Antwort auf die Frage nach der Natur des Menschen. Empirische Daten zeigen jedoch, dass unser Verhalten oft nicht zur Annahme der absoluten Rationalität passt. In einer Diskussionsrunde zum Thema Verhaltensökonomie sprachen in Lindau sechs Nobelpreisträger darüber, wie ökonomisches Verhalten tatsächlich funktioniert und wie sich diese Ansichten auf die Forschung auswirken.
Auch wenn keiner der Diskutanten an vollständig rationales Verhalten glaubt, gehen die Meinungen auseinander. Nachdem alle ihre Ansichten umrissen haben, kommt es zu einer hitzigen Diskussion zwischen Aumann und Selten. Dabei wirken ihre Standpunkte auf den ersten Blick gar nicht so verschieden. Beide finden, dass man nicht nur die letztendlichen Handlungen bewerten sollte, sondern auch die Art und Weise, wie ein Individuum zu seinen Entscheidungen gelangt.
Aumann hängt der Theorie der rationalen Entscheidungsregeln an. Demnach verhielten sich Menschen zwar nicht immer rational, würden ihr Verhalten aber an optimierten und somit rationalen Regeln ausrichten. “In bekannten Situationen führt dies zu optimalen Entscheidungen – auf dem Weg zur Arbeit zum Beispiel verhalten sich Menschen rational und wählen den Weg, der üblicherweise der schnellste ist.” In ungewohnten Situationen, für die noch keine Verhaltensregeln existieren, käme es hingegen zu Fehlern. Deswegen seien auch Laborexperimente kaum geeignet, um menschliches Verhalten zu untersuchen.
Im Gegensatz zu seinem Vorredner glaubt Selten, dass unser Verhalten, selbst in alltäglichen Situationen, nicht optimal sei. Er vertritt die Theorie der beschränkten Rationalität. So hätten Menschen nicht, wie in den Wirtschaftswissenschaften verbreitet angenommen, eine persönliche Nutzenfunktion, die es zu optimieren gilt – schon deswegen könne von Optimalität gar nicht die Rede sein. Stattdessen würde jeder eine Reihe verschiedener Ziele verfolgen und diese ihrer Bedeutung nach abarbeiten.
Gerade die unterschiedlichen Positionen der Preisträger machen deutlich, wie schwierig es ist, ein Raster zu finden, das menschliches Verhalten zu fassen vermag. Die Nobels appelieren an die jungen Forscher, diesen Fragen weiter nachzugehen. Sie seien nicht nur mikroökonomisch von Bedeutung sondern würden auch makroökonomischer Zusammenhänge beeinflussen.
Von Sandra Kaselow
Lindau: Durch Umverteilung Armut reduzieren
Noch vor etwa 30 Jahren lebten in China mehr als 90 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze von 1,25 Dollar am Tag. Vor der Finanzkrise im Jahr 2008 waren es weniger als 20 Prozent. Wie China seine Armut so schnell reduzieren konnte und wo die Unterschiede zur Armut in Afrika liegen, erklärte der Nobelpreisträger Sir James A. Mirrless in seinem Beitrag zum Thema “Poverty, Inequality, and Food”.Wie noch heute in Afrika, lebte auch im China der 80er Jahre der größte Teil der Armen in ländlichen Gebieten. Einige konnten ihren Lebensstandard verbessern indem sie in städtische Gebiete zogen, wo die Einkommen höher sind. Der wichtigste Aspekt in der Bekämpfung der Armut sei aber das landwirtschaftliche Wachstum gewesen, sagte Mirrless. Im Zuge der grünen Revolution kamen chemische Düngemittel auf den Markt, die Erträge auf den Feldern stiegen deutlich. Und mit ihnen, unterstützt von steigenden Nahrungsmittelpreisen, auch die Einkommen der Bauern.
Wachstum in der Landwirtschaft sei für Afrika aber nicht der richtige Weg, glaubt Mirrless und verweist auf eine Besonderheit in der Agrarkultur Chinas: die Landverteilung. Nach dem Sieg der Kommunisten kam es im Jahr 1950 zu einer gravierenden Umverteilung des Landes. Reiche Großgrundbesitzer wurden enteignet und ihr Land unter den armen Bauern aufgeteilt, die plötzlich keine Pacht mehr bezahlen mussten.
“In Afrika könnten Umverteilungen eine Alternative zum Wachstum in der Landwirtschaft bilden.”, sagte Mirrless. Er denkt dabei aber nicht daran, jemanden gewaltsam zu enteignen. Anstelle von Land schlägt er vor, Geld umzuverteilen. In Brasilien und Indien bekämen bereits Millionen von Haushalten regelmäßig kleine Mengen an Geld überwiesen. So können sie in lokale Produkte investieren oder ihre Kinder zur Schule schicken. Die Armut wird reduziert.
Allerdings müsse bei solchen Maßnahmen der “Umverteilungseffekt” berücksichtigt werden. Nähme man zum Beispiel, ganz im Sinne von Robin Hood, Geld von den Reichen, um es den Armen zu geben, würde die Nachfrage der Reichen sinken. “Im Zuge dessen steigen die Nahrungsmittelpreise, was vor allem der mittleren Einkommensschicht schadet. Deswegen muss auch sie bei der Umverteilung berücksichtigt werden.” So könne man beispielsweise Steuern von den Grundbesitzern verlangen, die ja an den höheren Nahrungsmittelpreisen verdienen. “Wird der Umverteilungseffekt nicht berücksichtigt, besteht die Gefahr, dass die Verluste einer Umverteilung deren Gewinne übersteigen.”
Von Sandra Kaselow
Lindau: Tanzende Nobelpreisträger und die bunte Welt der Wirtschaft
Während sich die Konferenzteilnehmer am frühen Abend von all den Vorlesungen, Diskussionsrunden und Gesprächen erholen, wird der große Konferenzraum für die Abendveranstaltung vorbreitet. Langen Stuhlreihen weichen langen Dinnertafeln und einer Tanzfläche, das Rednerpult auf der Bühne macht Platz für Musikequipment.
Gegen acht Uhr beginnt sich der Saal erneut zu füllen. Die Nobelpresiträger haben sich auf die Tische verteilt und die Studenten wählen ihre Abendgesellschaft. Bei leichter Jazzmusik genießen Preisträger und junge Ökonomen das Buffet und die Möglichkeit, sich in lockerer Atmosphäre auszutauschen.
Nach dem Essen gesellt sich eine Sängerin zur lokalen Band und die Musik wird tanzbarer. Erste Zögerlichkeiten sind bald überwunden, die Tanzfläche füllt sich und sogar die Nobelpreisträger lassen sich nicht lumpen. Man munkelt, es sei vielleicht der einzige Anlass, zu dem man sie tanzen sehen könne. Die ehrwürdigen Herren genießen es sichtlich, mit den Nachwuchstalenten in Kontakt zu kommen, beantworten gern deren Fragen und geben Autogramme. Die Stimmung ist ausgelassen. Einige Inder haben sich, trotz der eher westlichen Musik, für die typische Bollywood-Tanzweise entschieden und überzeugen nach und nach auch andere Tänzer von ihrem Stil.
Abseits der Tantfläche erzählen sich die Konferenzteilnehmer bunte Geschichten von den Wirtschaften ihrer Heimatländer: Ein Journalist aus Argentinien berichtet, dass in Zeiten der Staatspleite in einigen Städten Ersatzwährungen existierten, die neben dem Peso akzeptiert wurden. Ein Student aus Griechenland findet, dass die Menschen in seinem Land nicht den Eindruck machen, einer schlimmen Krise ausgesetzt zu sein. Ein Mitarbeiter des Bundestages erzählt einer Chinesin, die beim IMF arbeitet, dass bald der Papst im Parlament sprechen und mit großen Demonstrationen gerechnet wird.
Die Veranstalter geben sich zufrieden mit dem Verlauf des ersten Konferenztages. Vor allem die Begeisterung in den Gesichtern der jungen Ökonomen sei all die organisatorischen Mühen wert. Ihren Idolen nicht nur live bei Vorträgen zu lauschen sondern persönlich mit ihnen diskutieren zu können, ist für alle eine außergewöhnliche Erfahrung. Viele Programmpunkte sind speziell darauf ausgerichtet, den Dialog zwischen den Forschergenerationen zu fördern. In nachmittäglichen Diskussionsrunden können die Jungen Fragen zu den Veranstaltungen des Tages stellen. Wer eine Einladung erhalten hat, kommt sogar in den Genuss, mit einem der Preisträger zu frühstücken. Dafür stehen die Nachwuchswissenschaftler, trotz des langen und anstrengenden Konferenztages, auch gern ganz früh auf.
Von Sandra Kaselow
Lindau: Die Europäer geben ungern Verantwortung ab
In Sachen Arbeitsmarkt können wir uns von den USA noch eine Menge abgucken – das zumindest legen die Arbeitsmarktdaten der beiden Wirtschaftsregionen nahe. Mit der Frage, was geanu wir lernen können und wo es in Eurozone Potential für neue Arbeitsplätze gibt, beschäftigte sich der Nobelpreisträger Christopher A. Pissarides in seinem Vortrag zur “Zukunft der Arbeit in Europa”. Ein Bericht von der Nobelpreisträgerkonferenz in Lindau.
Der Anteil der Beschäftigten an der arbeitsfähigen Bevölkerung ist in den Staaten mit fast 80 Prozent nicht nur gut zehn Prozent höher als in der Eurozone, auch die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den USA war, betrachtet man die vergangenen 40 Jahre, positiver. Seit den 70er Jahren ist die Zahl der Beschäftigten in den USA stetig gestiegen. In der Eurozone ging sie bis in die 90er Jahre zurück.
„In der Arbeitskultur der beiden Wirtschaftsräume bestehen große Unterschiede, was die Auslagerung von Tätigkeiten angeht.“, sagte Pissarides in seinem Beitrag. Dies beträfe sowohl den privaten als auch den geschäftlichen Bereich. Ein Drittel der geringeren Arbeitsquote der Eurozone ließe sich so erklären. “Die größten Unterschiede in den Beschäftigungszahlen gibt es im Bereich Business Services, wie Accounting, Consulting oder Human Resources.”, so Pissarides. “Amerikanische Firmen beauftragen gern andere Unternehmen, diese Tätigkeiten für sie zu übernehmen, während die Europäer ihnen lieber intern nachkommen.” Das könnte, laut Pissarides, unter anderem daran liegen, dass die Rahmenbedingungen für Unternehmen in Europa schlechter seien. So würden weniger Firmen gegründet, die den Auslagerungs-Tätigkeiten nachgehen könnten.
Es sei aber auch eine Frage der persönlichen Präferenzen, ob und wie viel Arbeit abgegeben wird. “Bei privaten Verbrauchern spielen diese Vorlieben eine besonders große Rolle. Viele US-amerikanische Haushalte lassen außenstehende Personen für sie einkaufen gehen, kochen oder auf die Kinder aufpassen. In Europa hat sich dieser Trend weit weniger durchgesetzt.” Vor allem die Deutschen, Italiener und Belgier kämen ihrer privaten Arbeit lieber selbst nach. “Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Erziehung ihrer Kinder. Die geben sie nicht gern in fremde Hände, sondern lassen sie lieber von Freunden oder Familienmitgliedern betreuen.”
Da es eben Geschmackssache sei, welche Tätigkeiten man selbst ausführen wolle, sei der strukturelle Unterschied nicht generell als schlecht zu bewerten. Trotzdem gäbe es Möglichkeiten, positiv auf den Arbeitsmarkt einzuwirken und bessere Bedingungen für das Entstehen neuer Jobs zu schaffen. Neben den Unternehmensbedingungen würde auch die Besteuerung von Arbeit eine große Rolle spielen. “Höhere Steuern führen dazu, dass weniger gearbeitet und weniger ausgelagert wird.” Diese Aspekte sollten sowohl Wissenschaftler als auch Politiker in ihre Betrachtungen des Arbeitsmarktes mit einbeziehen.
Von Sandra Kaselow
Lindau: Ein Knaller zur Eröffnung
Die Lindauer -Konferenz der Nobelpreisträger hat heute mit einer echten Knaller begonnen. Der Bundespräsident attackiert die EZB. Das gab es noch nicht. Das war überraschend.
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[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Ein etwas optimistischerer Blick auf die Finanzkrise
Die Finanzkrise dürfte früher vorbei sein, als so mancher Schwarzmaler derzeit vorhersagt, sagte Robert Solow am Rande der Tagung, die gestern endete. Bisher habe sich die Krise des Finanzsektors nur wenig auf den Rest der US-Wirtschaft ausgewirkt. Wenn es so bleibe, können die USA eine Rezession oder eine Depression vermeiden.
So fielen auf der Tagung besonders Joseph Stiglitz und andere mit ihren Prognosen auf, dass die Turbulenzen noch bis 2010 anhalten werden. Auch Fed-Chef Ben Bernanke äußerte am Wochenende seine Sorgen um die Stabilität des Finanzsystems. Dagegen schätzt Solow die Gefahr geringer ein, dass die Finanzkrise die Probleme auf dem Immobilienmarkt und damit den Abschwung der Gesamtwirtschaft drastisch verschärfen.
Zwar habe das Finanzsystem den Immobilienboom, der bis vor gut zwei Jahren noch anhielt, erst geschaffen. „Doch Finanzkrise und Immobilienkrise sind jetzt unabhängig von einander“, sagte er. Es gebe gute Aussichten, dass die Finanzkrise langsam abflaut, dass die Banken ihre ausgelagerten Risiken abbauen und auch die Kreditvergabe wieder ausweiten. „Sicherlich werden einige Banken ihr Kapital erhöhen müssen“, sagte Solow „Ich denke, die Finanzturbulenzen werden zwar noch nicht im zweiten Halbjahr vorbei sein, aber sie werden nur wenig länger anhalten.“
Dann dürften die Effekte auf das US-Wachstum begrenzt bleiben. „Bisher haben wir noch keine Rezession gesehen“, sagte Solow. „Und es ist auch unwahrscheinlich, dass es zwei Jahre lang eine Depression geben wird.“ Die bisherige Wachstumsverlangsamung lasse sich recht gut mit der Häuserkrise erklären. Zudem hätten die Exporteure dank der Dollarschwäche das Wachstum gestützt.
Selbst Solow gab sich aber nicht übermäßig zuversichtlich, denn seiner Meinung dürfte es wohl noch zwei Jahren dauern bis das Überangebot an Immobilien in den USA abgebaut ist. „Die US-Wirtschaft muss aber nicht warten bis die Immobilienkrise vorbei ist, um zu wachsen. Sie kann einen Stimulus auch von Konsumausgaben oder den Unternehmensinvestitionen in Maschinen und andere Anlagen erhalten.“ Daher sei es realistisch, dass sich das Wachstum in den nächsten zwei Jahren bei einem halben bis einen Prozent einpendelt, sagte Solow.
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Solow rätselt über die Angst der Deutschen vor Mindestlöhnen und Konjunkturprogrammen
Vielleicht herrsche in Deutschland unter Politikern die Angst vor, spekulierte Robert Solow, dass durch die Mindestlöhne die Arbeiterbewegung wieder erstarke. Dies könne Amerikaner aber nur amüsieren, bei denen doch die Gewerkschaften keine Rolle mehr spielen. Genauso unverständlich sei ihm, weshalb die Deutschen Konjunkturprogramme nach amerikanischem Muster ablehnen.
Die Standardangst der Deutschen vor zu hoher Inflation könne gar nicht zur Ablehnung von Mindestlöhnen führen, sagte Solow. Denn negative Effekte seien hier gar nicht zu beobachten. Eventuell könnten bei Friseuren oder Gastwirten die Preise steigen, doch bisherige Erfahrungen zeigten, dass die Geschäfte durch einen Mindestlohn kaum beeinträchtigt wurden.
„Ich verstehe nicht, weshalb in Deutschland so eine Angst vor dem Mindestlohn herrscht“, sagte Solow am Rande der Tagung. Der Mindestlohn habe keinen Schaden in jenen Volkswirtschaften angerichtet, in denen er seit langem existiere. Er habe den Niedrigverdienern in diesen Ländern sogar eine Menge Gutes gebracht.
„Genauso wenig wie ich die Ablehnung von Mindestlöhnen in Deutschland verstehe, gibt mir die Diskussion über Hilfsprogramme für die Wirtschaft Rätsel auf“, sagte Solow weiter. „Für Europa wäre eine Konjunkturspritze genauso sinnvoll wie in den USA.“ In die gleiche Richtung äußerte sich bereits Joseph Stiglitz.
Oft bekomme er in Deutschland zu hören, dass einer Stimulierung der Binnennachfrage etwas Künstliches anhafte, sagte Solow. Jede Maßnahme, die aber die Exportwirtschaft stärke, wie etwa Lohnzurückhaltung, wäre dagegen richtig. „Das scheint mir nicht richtig zu sein.“ Deutschlands einseitiger Fokus auf die Exporte verhindere zudem, dass andere Länder stärker wachsen.
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Mehr Regulierung des Finanzsystems
Die Regulierung des Finanzsektors sollte nicht den Finanzmärkten überlassen werden. Dies war die zentrale Aussage von Joseph Stiglitz, Professor an der Columbia University, bei seinem Vortrag. Das Verhalten der Investoren und die Anreize müssten sich ändern, sagte er. Dazu seien zwei neue Kommissionen notwendig.
Die bisherige Regulierung der Finanzinstitutionen habe entschieden zum Ausbruch der Finanzkrise beigetragen, darin waren sich auch die meisten Experten einig, die sich auf dem Treffen der 15 Laureaten zu den Themen äußerten.
Das bisherige System habe zu einer falschen Verteilung von Kapital und Risiken geführt, so Stiglitz. Die Exzesse auf dem Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren hätten eher an betrügerische Pyramidensysteme erinnert. Die Kosten müssten nun die Steuerzahler tragen, viele Amerikaner verlören bereits ihre Jobs und ihre Häuser. Wenn Bankrotte von Finanzhäusern wiederum andere Institute gefährdeten, stehe zudem die ökonomische Stabilität in Frage, was selbst zu einem Kollaps der Volkswirtschaft führen könne.
Stiglitz sieht viele Fehler der Vergangenheit bei den Finanzinstituten selber: Oft hätten die Banken ihre eigenen Innovationen bei den Finanzmarktprodukten kaum verstanden. Das wurde dadurch verstärkt, dass sie falsche Risiko-Modelle benutzten oder etwa diese mit alten Daten gefüttert hätten. „Hier hat die Regulierung klar versagt“, sagte Stiglitz. Dabei war in den vergangenen Jahren eine stärkere Regulierung politisch auch gar nicht gewollt.
Aber auch die Standardmodelle der Zentralbanken hätten völlig versagt, denn sie ignorierten überhaupt die Existenz von Blasen. So habe etwa der ehemalige Chef der US-Notenbank Fed, Alan Greenspan, die Bürger zum Hauskauf mit variablen Hypothekenkrediten ermutigt, als die Zinsen so niedrig waren – ohne jedoch auf die Risiken bei steigenden Zinsen hinzuweisen. Zudem ignorierten die Modelle vieler Notenbanken die Stabilität des Finanzsystems als Ziel.
Dem Nobelpreisträger schweben für die USA zwei neue Institutionen vor. Eine Kommission zur Sicherheit von Finanzprodukten, in der auch Kunden und andere potentielle Leidtragendende vertreten sein sollen, also die, die am Ende die Kosten einer Krise zu tragen hätten. Ähnliche Gedanken äußerte Daniel McFadden von Universität Berkeley auf der Tagung. So wie die Food and Drug Administration (FDA) in den USA über die Zulassung von Medikamenten entscheide, sollten Behörden neue Finanzprodukte zulassen.
Eine weitere Kommission sollte sich laut Stiglitz um die Stabilität des Finanzsystems kümmern. Jedes Marktsegment brauche eine eigene Regulierung, es brauche zudem eine Aufsicht, die die Interaktion der verschiedenen Finanzinstrumente verstehe und die systemischen Risken überwache. „Ziel muss es sein, dass die Finanzinstitute gute Innovationen hervorbringen, die nicht zu ökonomischen Problemen führen“, sagte Stiglitz.
Das Verhalten der Investoren und die Anreize müssten sich ändern. Stiglitz forderte, dass die Banken ihre Risiken nicht mehr außerhalb der Bilanzen verstecken dürfen. Schwere Krisen könnten auch dadurch verhindert werden, dass den Instituten neue Obergrenzen bei der Kreditvergaben auferlegt werden. So könne mehr Einfluss auf das Verhalten der Finanzinstitute ausgeübt werden, wenn sie ihre ausgegebenen Hypothekenkredite nicht um mehr als 15 bis 20 Prozent im Jahr erhöhen dürfen.
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Ideale führen zum Glück
Die Menschen sind glücklich, wenn sie fühlen, dass sie ihrer Wunschvorstellung von sich entsprechen. Und sie sind unglücklich, wenn sie diese Wunschvorstellung ihrer selbst nicht erreichen. Diese Worte kommen nicht aus dem Mund eines Philosophen, sondern von George Akerlof, Nobelpreisträger der Volkswirtschaft im Jahr 2001.
Den Nobelpreis hatte der Professor der University of California allerdings mit Joseph Stiglitz und Michael Spence zu der Analyse von Märkten mit asymmetrischer Information gewonnen.
Auf dem Nobelpreisträgertreffen in Lindau hielt er nun einen Vortrag über „Identität und Wirtschaft“. Darin kritisierte er die klassische Wirtschaftstheorie nach der die Menschen glücklicher sind, je mehr Einkommen sie haben, das ihnen wiederum einen höheren Konsum ermöglicht. Aber diese Theorien blendeten die menschlichen Ideale aus, kritisierte Akerlof. Denn erst die Ideale verhelfen den Menschen zu ihrer Identität. Wer seine eigenen Ideale erreiche, sei ein glücklicher Mensch.
Für diese Ideale gebe es Millionen Beispiele. Akerlof nannte folgende: Religion, Würde am Arbeitsplatz oder die Vorstellung eines Lehrers vom perfekten Lehrer. Doch gerade den Lehrern werde es schwer gemacht, ihre Wunschvorstellung eines idealen Lehrers zu erreichen. Denn die Schüler eiferten viel mehr den Idealen der „Coolen“ – also der leading group – nach als den Idealen des Lehrers.
In Zukunft sollten die Wirtschaftswissenschaftler die Ideale in ihre Nutzenfunktionen einbauen, forderte Akerlof. Je näher der Mensch im Zustand e seinem idealen Zustand e* sei, desto glücklicher sollte er nach dem Modell sein.
Von Charlotte Bartels
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Von Stars und Fans
Prof. Dr. Sir Clive W. J. Granger steht etwas verloren auf der großen Bühne, allein im Scheinwerferlicht. Der 74-jährige Nobelspreisträger ist wohl jedem VWL-Studenten aus dem Fach Ökonometrie bekannt: Er hat die nach ihm benannte Granger-Kausalität gefunden. Und doch steht er nun etwas gebückt da oben und die Studenten im Publikum schenken ihm keine Beachtung. Vielleicht fehlt die Vorband, die auf Konzerten die Spannung auf den eigentlich Star steigert. Doch nach dem Vortrag sieht alles ganz anders aus.
10.40 Uhr ist schon durch, da kommen immer noch Besucher hinein, redend und lachend und bemerken gar nicht, dass der große Sir Granger schon seinen Vortrag begonnen hat. Denn seine Stimme ist leise und ziemlich hoch. Keine Powerpointpräsentation leuchtet im Hintergrund. Nachdem er schon ungefähr eine Minute von globalen Modellen und den Effekten des Welthandels gesprochen hat, wird es dann langsam ruhig.
Nach der Vorlesung sieht es für Sir Granger anders aus. Kaum steigt er vom Podium herunter, umringen ihn rund zwanzig Studenten und junge Wissenschaftler. Sie haben viele Fragen auf der Zunge, aber vor allem Konferenzbücher und Fotokameras in den Händen. Jetzt ist Sir Granger ihr Star. Auf die Seite im Konferenzbuch, wo sein wissenschaftliches Schaffen beschrieben ist, muss er sein Autogramm schreiben. Mehrere Studenten lassen sich mit ihm fotografieren. Fast alle sehen asiatisch aus.
Als ich eine junge, attraktive Chinesin anspreche, die gerade zwischen Nobelpreisträger Phelps und seiner Frau posiert hat und nun weiter zu Sir Granger geht, verteidigt sie sich so fort. Ja, die deutschen Studenten hätten gesagt, dass die Teilnahme an der Lindauer Konferenz doch schon genug Ehre sei. Sie würde sowieso nur Fotos mit den Laureaten machen, mit denen sie wissenschaftlich zu tun habe. Das sind immerhin Stiglitz, Mundell, Phelps und Granger. Da ist ihr aber ein Highlight entgangen: die Nachwuchswissenschaftler, die sich mit Nobelpreisträger Kydland ablichten ließen, können zu hause von ihrem neuen Kumpel Kydland erzählen. Arm in Arm posiert er nach seinem Vortrag mit sämtlichen jungen Fans.
Von Charlotte Bartels
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Europa hat es schwerer mit dem Abschwung
Natürlich ist auch die Finanzkrise das allbeherrschende Thema auf der Konferenz. Erstaunlich nur, wer alles meint, sich damit auszukennen. Doch so richtig fanden auch die fünf Nobelpreisträger beim Pressegespräch keine richtige Antwort, wie lange die Finanzkrise noch anhalten oder wie tief sie ausfallen wird. Erst als noch ein Nachzügler in den Raum kam, wurde es noch mal spannend.
Kein Wunder, saßen doch anfangs vorne Professoren, die sich zum Großteil wenig mit Auswirkungen von Finanzkrisen beschäftigt haben. Allein Robert Solow äußerte noch die besten Gedanken. So kritisierte er an der Morgenveranstaltung, dass auch dort keine Antworten gegeben wurden. Dann wurde es spannend, als Joe Stiglitz verspätet erschien.
Robert Solow und Joseph Stiglitz machten die Europäische Zentralbank (EZB) mit für den Abschwung in Europa verantwortlich. Beide schätzten, dass es die Volkswirtschaften der Euro-Zone schwerer haben werden, die Krise zu überwinden. „Es ist ein Problem, dass die EZB sich nur auf die Inflation konzentriert“, sagte Stiglitz. „Es gibt keine theoretische Begründung, weshalb sich eine Institution nur um ein Ziel kümmern sollte“, sagte der Ökonom.
Er widersprach damit einer in Deutschland weitverbreiteten ordnungspolitischen Auffassung, die auch als Grundlage der Ausrichtung der EZB gilt, und die ein Journalistenkollege den Herren auf dem Podium vorhielt. „Die EZB muss ein Kompromiss finden zwischen Finanzmarktstabilität, Wachstum und Inflation“, konterte Solow. Denn ihr einziges Instrument, der Zinssatz, beeinflusse schließlich all diese Größen. Solow kritisierte, dass in Europa die Idee vorherrsche, dass eine geringere Inflation nicht nur notwendig für Wachstum sei, sondern alleine schon ausreiche.
Im Vergleich zu den USA sei die Politik der Notenbank im Euro-Raum zu passiv gewesen, so Solow. „Die Reaktion der US-Notenbank hat dazu geführt, dass es seit Ausbruch der Finanzkrise erst ein Quartal im Minus gegeben hat.“ Zudem habe die US-Regierung die Wirtschaft stimuliert, sagte Stiglitz. Und die drastischen Zinssenkungen der Fed hätten die Abwertung des Dollars verstärkt, da die EZB ihren Zins lange Zeit konstant ließ und im Juli sogar erhöhte. „Die US-Wirtschaft hat im vergangenen Halbjahr wegen des schwachen Dollars einen enormen Wachstumsschub vom Außenhandel bekommen“, so Stiglitz.
Bisher habe die Finanzkrise noch keine tiefen Spuren in der Wirtschaft außerhalb des Finanzsektors hinterlassen, sagte Stiglitz. Doch sieht er eine tiefe Krise in den USA gerade erst beginnen. Schon seit November bauten die Firmen keine Jobs mehr auf und die Umsätze fingen an, einzubrechen. Zudem wirkten die schärferen Kreditbedingungen sich jetzt erst aus. Das setze die Abwärtsdynamik jetzt erst richtig in Gang. „Eine Erholung wird wohl erst 2010 einsetzen und deswegen bin ich auch pessimistisch für Europa, da die großen Volkswirtschaften miteinander verbunden sind“, so Stiglitz.
Die Vorträge lassen sich live im Internet verfolgen.
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Kaufen sie Regenschirme!
Spare in den guten Zeiten, dann hast du in den schlechten. Das riet Stanfordprofessor Myron Scholes den Finanzinstitutionen, um sich vor zukünftigen Krisen zu schützen. Denn wer in sonnigen Zeiten am Regenschirm sparen würde, hätte eben in der Regenzeit den Schaden. Seine Regenschirmempfehlung für Finanzinstitutionen: Reserven bilden, das Risiko diversifizieren, Versicherungen kaufen.
Die Unternehmen hätten dann zwar in guten Zeiten weniger Geld zur Verfügung für andere Investitionen. Aber in Krisenzeiten sei es umso schwieriger an neues Geld zu kommen. Die Spekulanten, die sonst für Liquidität sorgten, seien nach einem Schock erstmal mit Rechnen beschäftigt.
Die ökonomischen Modelle gingen noch immer von konstanten Preisen aus und so müssten die Spekulanten erstmal die Modelle an die neuen Preise anpassen. Deshalb gebe es plötzlich kein neues Kapital von den Spekulanten mehr, während die kriselnden Finanzinstitutionen immer mehr neues Kapital nachfragen würden. „Finanzinstitutionen müssen Schocks einplanen“, forderte Myron Scholes.
Der Staat solle seine Hände lieber raus halten. Eine finanzielle Rettungsaktion würde nämlich einer der beiden Kapitalgebergruppen schaden: den Aktionären. Die Kreditgeber, die andere Kapitalgebergruppe, würde sein Geld nun ganz sicher zurückbekommen, da das Unternehmen nicht pleite gehe.
Aber der Aktionär müsste mit ansehen, wie seine Aktie an der Börse rapide an Wert verliert. Der Staat würde also das Vermögen der Aktionäre zerstören. So habe die Aktie von JP Morgan Chase in den vergangenen zwölf Monaten 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt.
Also, unbedingt Regenschirm kaufen. Dann steht das Unternehmen nicht im Regen und die zwei Kapitalgebergruppen bleiben friedlich.
Die Vorträge lassen sich live im Internet verfolgen.
Von Charlotte Bartels
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Von der Subprimekrise zu den Subsubsubprimekrediten
Die Konferenz der Nobelpreisträger hat heute Morgen mit einer unterhaltsamen Podiumsdiskussion über die systemischen Risiken auf den Finanzmärkten begonnen. Besonders die Beiträge von Joseph Siglitz und Myron Scholes stachen dabei heraus. Muhammad Yunus erntete langen Beifall für seinen Eröffnungsvortrag.
Schlechte Anreize, schlechtes Management, schlechte Modelle haben zur Finanzkrise geführt – darin waren sich die beiden Wirtschaftswissenschaftler einig. Aber in der Lösung gingen ihre Meinungen auseinander.
Mehr Regulierung, sagte Stiglitz. Mehr Markt, sagte Scholes. Ein Regulierungsschub könne am Ende die Kosten der Finanzkrise noch erhöhen, denn niemand könne die Konsequenzen dieser Eingriffe überblicken und einschätzen. Als Beispiel führt er etwa die Bilanzskandale um den Enronkonzern an.
“Wir dürfen die Hedgefonds nicht auf Kosten der Steuerzahler spielen lassen“, hielt Stiglitz dagegen, „sie sollten unter sich spielen.“ Die Finanzkrise würde das Wirtschaftswachstum der USA noch drei Jahre lang reduzieren. „Die Hedgefonds spielen doch nicht miteinander“, entgegnete Scholes, „sondern ermöglichen, dass die Märkte effizienter funktionieren.“
Dann fragte eine junge Wissenschaftlerin aus Australien: „Gehen zu viele Talente in den Finanzsektor statt die Industrie durch Forschung und Entwicklung voranzubringen?“ „Ich halte mich für einen der intelligentesten Menschen und beschäftige mich mit Finanzen, antwortete Scholes grinsend. Darauf Stiglitz: „Ja, wir haben eine Misallokation der Talente. Die Regierung muss Grundlagenforschung stärker unterstützen.“
Von den Millionen und Milliarden Dollar der Finanzkrise kam Muhammad Yunus dann zu den Pennies. In einem beeindruckenden Vortrag legte er seine Idee der Mikrokredite da. Die von ihm in Bangladesh gegründete Grameen Bank würde Subsubsubsubprime-Kredite vergeben. An arme Frauen aus dem Dorf, statt an reiche Männer aus der Stadt.
„Denn alle Menschen sind Unternehmer, nur einige haben nicht die Chance, das zu entdecken“, sagte Friedensnobelpreisträger Yunus. Armut entstehe, weil den Menschen keine Möglichkeiten zu ihrer Entfaltung geboten würden. Er machte nicht in Bangladesh Halt, denn auch in den USA lebten Millionen Menschen, die kein eigenes Bankkonto eröffnen dürften.
Die Vorträge lassen sich live im Internet verfolgen.
Charlotte Bartels und André Kühnlenz
Von Charlotte Bartels
[Nobelpreisträgertreffen Lindau] Mindestlohn keine Gefahr für den Niedriglohnsektor – auch in Deutschland
Vom 20. bis 23. August treffen zum dritten Mal Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften mit 300 Nachwuchsökonomen in Lindau zu einer Konferenz zusammen. Diesmal sind 14 Laureaten sowie der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus dabei. Unter ihnen Robert Solow, der seine neuesten Forschungsergebnisse zum Mindestlohn präsentieren wird. Die werden in Deutschland nicht allen gefallen.
Es sei in der Praxis kaum belegbar, dass Mindestlöhne die Beschäftigung im Niedriglohnsektor von Ländern wie Deutschland gefährden, sagt der Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Unternehmen können die höheren Kosten oft durch höhere Produktivität ausgleichen.“ Damit stellt er sich gegen eine in Deutschland weit verbreitete Auffassung unter Ökonomen und Wirtschaftsverbänden, das Mindestlöhne automatisch zu höherer Arbeitslosigkeit führen. In vielen Ländern wie den USA oder Großbritannien gibt es einen Mindestlohn.
Solow hat die Wirkung von Mindestlöhnen auf die Arbeitsmärkte in den USA, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden verglichen. „Der konventionelle Gegensatz zwischen niedrigen Löhnen bei hoher Beschäftigung in den USA und hohen Löhnen bei niedriger Beschäftigung in Europa ist nicht annähernd so deutlich wie gemeinhin vermutet“, resümiert Solow.
Auch der in Chicago lehrende Nobelpreisträger Robert Fogel äußerte sich vor der Konferenz zum Mindestlohn, wie aus der Pressemitteilung der Organisatoren hervorgeht. Er sehe zumindest in Bezug auf den Niedriglohnsektor keine große Gefahr durch Mindestlöhne. „Die dort Beschäftigten arbeiten in Dienstleistungsindustrien, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen“, sagt Fogel und nennt etwa die Fast-Food-Industrie.
An der Konferenz nehmen 300 Nachwuchswissenschaftler aus 58 Ländern teil. Sie wurden aufgrund ihrer herausragenden Leistungen aus 2500 Bewerbungen ausgewählt, wie es weiter hieß. 30 Notenbanken und internationale Institutionen wie die Weltbank und Internationaler Währungsfond haben ebenfalls ihre besten Nachwuchsökonomen nominiert.