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Hubert Gabrisch – Währung ohne Souverän

12. August 2012

Eine Währung ist nur so stark wie der Staat, der mit seiner legislativen und exekutiven Fähigkeit, Steuern einzunehmen, hinter ihr steht. Dies ist zwar auch eine historische Erfahrung, vor allem aber eine theoretische Erkenntnis über die Entstehung  und Natur des Geldes. Denn eine der wenigen, aber wichtigsten Innovationen des Staates war die Einführung von Geld (‚legal tender‘), das dazu diente, Steuern einzunehmen. Und wenn alle Bürger steuerpflichtig sind, wird Geld auch zum allgemeinen Zahlungsmittel. Die Schaffung von Geld ohne Souverän wie in der Währungsunion ist also weder historisch noch theoretisch zu begründen.

Der Mangel an einem starken europäischen Souverän  ist das grundlegende Problem der europäischen Gemeinschaftswährung. Die Finanzmärkte benötigten ca. neun Jahre, um dies herauszufinden, und diese Erkenntnis erforderte auch noch einen externen Anstoß – die Immobilienkrise in den USA. Mario Draghi erklärte kürzlich, dass die EZB alles in ihrer Macht Stehende tun werde, um die gemeinsame Währung zu erhalten. Aber wie weit reicht ihre Macht? Die Antwort ist ziemlich einfach: Auch eine Zentralbank kann zusammenbrechen, wenn ihr Kapital durch wertlose Forderungen aufgefressen wird. Nur wenn der Souverän mit Steuermitteln die Zentralbank re-kapitalisieren kann, bleibt diese handlungsfähig. Eigentümer der Europäischen Zentralbank sind die nationalen Zentralbanken, und deren Eigentümer wiederum sind die Nationalstaaten. Bei dieser Konstruktion ist es beinahe ausgeschlossen, dass eine gemeinschaftliche Aktion schnell und ausreichend Mittel der EZB zuführen könnte, wenn dies notwendig wäre. Das bisher zögerliche Vorgehen der EZB ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Abgesehen davon, dass ihr Mandat beschränkt ist, sie ist auch ökonomisch nur begrenzt handlungsfähig. Ihr Kapital belief sich Ende 2011 auf gerade einmal 6,3 Mrd. Euro – verglichen mit 230 Mrd. Euro an Forderungen aus Wertpapieren. Während das Eigenkapital gegenüber dem Ende des Vorjahres um 1 Mrd. Euro angestiegen ist, nahmen die Wertpapierforderungen um 67 Mrd. Euro zu. Der Ankauf weiterer Regierungspapiere von Krisenländern könnte das Verhältnis zwischen Forderungen und Eigenkapital weiter verschlechtern, ohne dass die EZB ausreichend Reserven hätte, um noch weiter handlungsfähig zu bleiben. Mit anderen Worten: Im Alleingang kann die EZB den Euro nicht retten.   In der Tat ist die Erklärung Draghis relativ schnell verpufft.

Eine Zentralbank ist deshalb auch nur dann stark, wenn sie gemeinschaftlich mit der Regierung in Krisen handelt und der Staat die Führerschaft übernimmt, allein schon deshalb, weil er seinen Bürgern gegenüber für die Verteilung der Lasten aus der Euro-Rettung verantwortlich ist. Ein Beispiel für ein abgestimmtes Verhalten ist das Zusammenspiel zwischen US-Treasury und der amerikanischen Fed 2009 unter der Führerschaft des Finanzministers. In Europa gibt es keinerlei Anstrengungen, eine schiefe Debattenlage zu korrigieren. Zwar wird übereinstimmend anerkannt, dass der Konstruktionsfehler der Währungsunion das Fehlen einer „Fiskalunion“ als Ergänzung der Europäischen Zentralbank sei. Aber eine Fiskalunion wird nicht verstanden als die Etablierung eines europäischen Souveräns. Vielmehr meint man mit einer europäischen  Wirtschaftsregierung oder einem europäischen Finanzministers (möglicherweise demnächst der Chef der Eurogruppe) eine Einrichtung, die die nationalen Fiskalpolitiken koordiniert. Es kommt aber nicht auf die Koordinierung nationaler Fiskalpolitiken an, sondern auf die Koordinierung einer gesamteuropäischen Fiskalpolitik, mit der Geldpolitik der Zentralbank. Und die wichtigste Ausstattung eines fiskalischen Souveräns sind nun einmal eigene Steuereinnahmen.

Wenn nun Ökonomen eines Landes in großer Anzahl Aufrufe unterzeichnen, in denen sie sich gegen die Verwendung von Steuergeldern dieses Landes für die Euro-Rettung aussprechen, so werden sie zur Lösung der grundlegenden Schwäche des Eurosystems und der Europäischen Zentralbank nichts beitragen. Im Gegenteil: Sie tragen sogar aktiv zur Schwächung der Rolle der EZB in der gegenwärtigen Krise bei. Es liegt auf der Hand, dass auch die propagierte Alternative, nämlich der Austritt einzelner Länder aus der Eurozone oder gar die Schaffung eines Nord-Euros, wie zwischenzeitlich mal in die Debatte gebracht, überhaupt nichts zur Lösung beiträgt. Auch in einer Rest-Eurozone würde kein Souverän hinter der Zentralbank stehen, so dass die Finanzmärkte auch diese Rumpf-Währungsunion über kurz oder lang testen würden. Aber ebenso wenig hilfreich sind Warnungen von 17 europäischen Ökonomen, die Eurozone bewege sich „schlafwandlerisch“ auf den Abgrund zu, oder von Jean-Claude Juncker, sie stünde „vor dem Zerfall“. Entweder enthalten derartige Aufrufe keine Anstrengung, die europäische Währung durch einen europäischen Souverän abzusichern, oder aber sie geben überhaupt keine Lösung vor.

Seit dem Jahr 2008 haben die gemeinsamen Anstrengungen der europäischen Regierungen nur dazu ausgereicht, Zeit zu kaufen, die jedoch nicht genutzt wurde. Die ständigen Krisengipfel und die Konstruktion immer neuer aktionistischer Scheinlösungen – ESFS, ESM, Eurobonds, Euro-Plus-Pakt, Fiskalpakt, nun die Bankenunion – zeigen deutlich, dass sich die Führung der EU in im Blindflug befindet. Hoffentlich gilt nicht Murphys Gesetz in der Wirtschaftspolitik, das einmal von Alan Blinder wie folgt formuliert wurde: Ökonomen haben den größten Einfluss auf die Politik, wenn sie am wenigsten wüssten und ihre Meinungen vehement auseinandergehen. Und wenn gegensätzlicher Rat angeboten wird, kommt der schlechteste zum Zuge.

Dr. Hubert Gabrisch ist Forschungsdirektor des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) .

  1. bekir_fr
    14. August 2012 um 16:41

    @Rexanach: Richtig, und deshalb ist die im Artikel angeregte Diskussion völlig überflüssig, wie die EU „schnell und ausreichend Mittel der EZB zuführen könnte“.
    Wirklich wichtig wäre hingegen die Frage, wer zu entscheiden hat, wann denn wieviel Geld „geschöpft“ (=ohne echte Deckung aus dem Nichts geschaffen) wird und ob Aussicht besteht, dass die Profiteure diesen „Kredit“ je wieder an die Zentralbank zurückzahlen.

    Damit meine ich nicht die großen Linien, wie sie jedes Lehrbuch beschreibt, sondern die verblüffenden „kleinen“ Ausnahmen. Vor zwei Monaten ging durch die Medien, Griechenland könne selber Geld drucken (und zwar Euros, nicht Drachmen!) mittels der für den „Notfall“ vorgesehenen „Notfall-Liquiditätshilfe (ELA)“.

    Da wir die Griechen nicht aus dem Euro rausschmeißen können, können wir Ihnen also auch nicht mehr den Geldhahn zudrehen: Den Notfall für die Griechen schaffen die europäischen Partner nämlich gerade dadurch selbst, indem sie den Geldhahn zudrehen.
    Und die dann angesagte Liquiditäts-„Hilfe“ ist in Wirklichkeit eine „Selbsthilfe“, die die Griechen (d.h. ihre nationale Zentralbank) sich gönnen können, ohne vorher ihre Partner oder die eigentlich übergeordnete EZB fragen zu müssen.

    Wie das ausgehen wird, können wir jetzt „live“ beobachten, denn die griechische „Gelddruckmaschine“ läuft bereits, wie der Stern vor 3 Tagen berichtet:
    http://www.stern.de/wirtschaft/news/eurokrise-griechenland-druckt-sich-geld-1876569.html

  2. GG146
    13. August 2012 um 20:05

    Es geht hier weder um Geld noch ESM, ESFM, Eurobonds, EuroPlus Paket usw.
    Es geht nicht um EZB, Zentralbanken, Landesbanken, nationale Banken,
    nein, es geht schlicht und einfach um den Showdown Europas.
    Wir eleben hier gerade ein Spiel, an dem wir alle als Statisten beteiligt sind, und das wird
    für alle tödlich enden.
    Geld, welche Währung auch immer, ist nur ein Mittel zum Zweck, es ist nur ein Kampfmittel,
    eine mächtige Waffe, die man nach dem entscheidenen Sieg nicht mehr braucht.
    Es geht nicht um ein paar hundert Milliarden hier und ein paar Milliarden dort,
    nein, es geht ums Ganze.
    Um uns alle!!!

    Es ist Zeit, Europa von der Vormundschaft der „Märkte“ zu befreien!
    Man sollte sich endlich im Klaren darüber sein, was das „Europäische Projekt“ für uns alle bedeutet und mal nachprüfen, was es mit der EU auf sich hat und den Anfängen, Hintermänner und deren Aufgaben ganz kritisch hinterfragen.
    Es wird sehr spannend!

  3. Andreas Mischkin
    13. August 2012 um 08:47

    Die Meinung von H. Gabrisch ist absolut überzeugend in ihrer Analyse, steht jedoch wie all die anderen Aufrufe und Vorschläge ohne eine Lösung da- es sei denn wir wählen nun die eine europäische Bundesregierung für die 17 Euro-Staaten, die auch zentral für alle Mitglieder die Steuern erhebt und verteilt. Funktioniert das bei so vielen verschiedenartigen Sprachen und Kulturen?

  4. Rexanach
    12. August 2012 um 22:57

    Eine souveräne Notenbank, wie z.B. die EZB, benötigt kein Kapital und daher auch keine Rekapitalisierung. Sie kann durch ihre Fähigkeit Geld zu schöpfen nicht pleite gehen.

  1. 17. August 2012 um 08:17
  2. 13. August 2012 um 14:27
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