Thomas Fricke: Wirtschaftskompetenz – Das große Missverständnis
In Deutschland gilt als wirtschaftskompetent, wer der Wirtschaft möglichst viele Gefallen tut. Ein fataler Irrtum in Zeiten von Trump, Brexit und anderen Symptomen der Globalisierungskrise.
Die neue Chefin der CDU war diese Woche bei den Leuten vom Bundesverband der Deutschen Industrie, die sich gerade fragen, ob Annegret Kramp-Karrenbauer denn genauso wirtschaftskompetent ist wie Friedrich Merz. Das ist der, der nach kurzem Ausflug in die Politik doch die Vorzüge der Vermögensverwaltung für sich wiederentdeckt zu haben scheint.
Und? Na ja.
Zumindest der BDI-Chef scheint nach dem Besuch angetan. Die Frau verstehe was von Wirtschaft, hat er gesagt. Und sie wolle was für die Wirtschaft tun.
Aha.
Jetzt fragt man sich, was das eigentlich heißt, wenn jemand sagt, dass jemand was von Wirtschaft versteht. Und ob der oder die schon kompetent ist, wenn er oder sie was Nettes für die Wirtschaft macht. Und was das dann ist. Mal wieder nach – töröh! – der Abschaffung des Soli rufen?
Gut möglich, dass wir in den dramatischen Zeiten von Trump, Brexit und Gelbwesten im Gegenteil eine ganz neue Definition von Wirtschaftskompetenz brauchen. Bei der es noch weniger reicht, mal irgendwo im Aufsichtsrat zu sitzen und sonntags schöne ordnungspolitische Sätze aufzusagen.
Noch scheint die Vorstellung bei uns tief verankert, wonach jeder, der irgendwo in Ostwestfalen einen mittelständischen Betrieb leitet, automatisch voll wirtschaftskompetent ist – und weiß, welche Wirtschaftspolitik für ein Land mit ein paar Millionen Unternehmen und zig Millionen Nichtmanagern in einer wackelig globalisierten Wirtschaft bei regelmäßigen Finanzkrisen richtig ist. Eine kuriose Vorstellung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch dadurch verselbstständigt zu haben scheint, dass bei uns das Ökonomendogma der Angebotslehre gepredigt wurde, nach der immer alles gut ist, was für Unternehmen gut ist. Weil Unternehmen dann Job und Einkommen und Kekse schaffen.
Freilich ergäbe es keinen Sinn, Wirtschaftspolitik so zu machen, dass alle Unternehmen immer sofort pleitegingen – davon hat ja auch der Rest des Landes nicht so viel. Und klar, versteht besagter Mittelständler einiges davon, wie man so einen Betrieb am Laufen und die Konkurrenz auf Abstand hält, jemanden einstellt oder entlässt, vielleicht sogar was Schönes erfindet, Buchhaltung macht und Steuern absetzt. Und es wäre, klar, gut, wenn der eine oder andere Politiker davon auch etwas verstünde.
Wenn alle Geld kürzen, hat am Ende keiner mehr Geld
Nur heißt das nicht, dass wirtschaftspolitisch per Definition gut ist, was der Firmenchef sagt; oder dass jeder Betriebsboss oder Verbandsvertreter automatisch geeignet ist, Wirtschaftspolitik zu machen. So wie nicht jeder Meister einer Autowerkstatt dafür gemacht ist, das bundesweite Verkehrswegenetz zu kontrollieren oder Stauprognosen abzugeben – nur weil er jeden Tag ganz viel mit Autos macht.
Zu den Klassikern der Belegführung zählt hier natürlich der Spruch von Henry Ford, dass Autos keine Autos kaufen. Womit er sagen wollte, dass Arbeiter auch Geld verdienen müssen, damit sie Autos kaufen können. Für wen sollen sie sonst die Karren bauen?
Und was da volkswirtschaftlich gut oder nicht gut ist, folgt anderen als den Kriterien einzelner Unternehmen. Der betriebswirtschaftliche Hang, Kosten zu kürzen, kann in der Summe auch für die Betriebe selbst pervers wirken: Wenn alle Geld kürzen, hat am Ende keiner mehr Geld, um etwas vom anderen zu kaufen. Und dann müssen alle noch mehr kürzen.
Da kann es von höherer Wirtschaftskompetenz sein, die Spirale zu stoppen – indem man, sagen wir, einen Mindestlohn einführt. Was von deutschen Ökonomie-Päpsten im Voraus fälschlicherweise als wirtschaftlich höchst inkompetent eingestuft wurde.
Manches Problem dürfte durch ein Merz’sches Verständnis von Wirtschaftskompetenz erst entstehen. Nachdem hierzulande über Jahre fast alle politische Energie darauf gesetzt wurde, den (Export-)Unternehmen nettere Umstände zu bereiten – ob durch immer weniger regulierte Arbeitsverhältnisse oder Steuergeschenke – hat Deutschland jetzt einen so enormen Überschuss im Außenhandel, dass es überall kracht. Entweder dadurch, dass sich andere Länder entsprechend verschulden mussten, was auf kurz oder lang zu neuen Krisen führt. Oder dass wir jetzt eins der ersten Ziele für Trump’sche Zolldrohungen sind.
War das wirtschaftskompetent? Wenn es zu einer viel zu exportlastigen und weltkonjunkturanfälligen Wirtschaft geführt hat, wie sich jetzt zeigt, wo es politisch überall kracht? Nach neuen Ifo-Umfragen geben sich Deutschlands Unternehmen erstmals seit der Eurokrise wieder mehrheitlich skeptisch, was die nahe Zukunft angeht.
Oder wäre es kompetenter gewesen, von vornherein gleichmäßiger auf Wachstum im Inland zu setzen? Das hätte vor allem Dienstleistern im eigenen Lande gutgetan.
Die Kehrseiten des bisherigen Verständnisses von Globalisierung
Ist es wirtschaftskompetent, wie Donald Trump atemberaubend teuer die Steuern für Reichere und Unternehmen zu senken – was vor einem Jahr in Davos auch deutsche Konzernchefs feierten -, wenn dafür die Staatsverschuldung massiv hochschnellt und die Unternehmen trotzdem nicht mehr Geld in Jobs und Zukunft investieren?
All das gewinnt in diesen Tagen eine ganz neue Dimension – seit sich die Zeichen mehren, dass ein guter Teil des Unmuts, von dem heute die Populisten in allen möglichen Ländern profitieren, mit den Kehrseiten des bisherigen Verständnisses von Globalisierung und, um es so zu sagen, Wirtschaftskompetenz zu tun hat.
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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).