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Die Lehren aus der US-Rezession von 1990

14. Januar 2008

Die heutige Situation in den USA ähnelt der Zeit vor der Rezession von 1990 – 1991. Welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Welche Rolle spielt der Konsum? Was heißt das für den gerade begonnenen Wahlkampf?

 

Am Anfang stehen das US-Doppeldefizit und eine Schieflage im internationalen Währungssystem. Dann folgt der Absturz des Dollars. Schließlich steigt auch noch der Ölpreis dramatisch an. Steigende Inflationsraten, fallender Konjunkturoptimismus und eine unschlüssige Fed, die nicht weiß, ob sie die Zinsen senken und erhöhen soll, sind die Folgen in der US-Wirtschaftspolitik. Der US-Immobilienmarkt ist überbewertet. Die Aktienmärkte ebenfalls. Die Fed erhöht die Zinsen, eine Kreditkrise setzt ein. Am Ende steht eine lange Rezession.

Dieses Szenario passt nicht nur zu den aktuellen Problemen der US-Konjunktur. Es beschreibt auch die amerikanische Konjunkturkrise zum Beginn der 1990er Jahre. Damals schrieben die Zeitungen, die längste Wachstumsphase der USA in Friedenszeiten ginge zu Ende. Heute schreiben sie das wieder. Um durchschnittlich 3,3 Prozent war die US-Wirtschaft zwischen 1982 und 1990 jährlich gewachsen. In den vergangenen sieben Jahren wuchs sie um durchschnittlich 3,2 Prozent.

Was war der Auslöser der Rezession 1990-1991 und wie hätte sie verhindert, oder abgemildert werden können? Es ist bemerkenswert, dass die 1990er Konjunkturkrise Ökonomen weiterhin Rätsel aufgibt. Ihre Auslöser sind unklar und sie war länger, als viele andere Krisen: Wenn man das Vorläuferjahr 1989 mit berücksichtigt, dann hielt sie vier Jahre an. Zwischen Januar 1989 und dem Jahresende 1992 betrug das durchschnittliche Wachstum in den USA lediglich 0,7%.

Von den vielen möglichen Auslösern der Krise ist keiner wirklich überzeugender, als ein anderer. Die prominentesten Kandidaten sind: eine „Wachstumserschöpfung“ nach einer langen Expansionsphase, die Schuldenprobleme der US-Regierung, der sinkende Optimismus in der Wirtschaft, die harte geldpolitische Linie der Fed, die unverantwortliche Kreditvergabe von Banken… (Auch diese Gründe lassen sich fast passgenau ins aktuelle Umfeld transponieren).

Die wichtigste Folge aller dieser Faktoren gemeinsam war jedoch der massive Einbruch der Verbraucherausgaben: der US-Konsum ging in den Rezessionsjahren deutlich zurück und brauchte dann fast zwei Jahre, bis er seinen Ursprungswert wieder erreicht hatte. Diese Beobachtung führte den Ökonomen Oliver Blanchard 1993 dazu, den Konsumrückgang nicht als einfache Begleiterscheitung oder Folge der Rezession zu interpretieren, sondern als deren Auslöser: Weil die US-Verbraucher die Gefahren der Rezession und des Niedergangs schon vor deren Beginn massiv vermittelt bekamen, schränkten sich massiv ein, um für den konjunkturellen Niedergang gewappnet zu sein. Blanchard nennt diese Vorsicht etwas melodramatisch „animal spirits“ (Überlebenskräfte). Die Angst vor der Rezession beschleunigt und verstärkt die Rezession.

Wer aus diesem Vergleich nun allerdings die Lektion ziehen wollte, es würde reichen, Vertrauen zu predigen, der irrt gewaltig. Denn auch 1989 und 1990 wurden dem amerikanischen Volk stetig konjunkturelle Durchhalteparolen verabreicht. Und genau dies war eines der Probleme. Weil die US-Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt bereits weit über ihre eigenen Verhältnisse gelebt hatte, war ihr die Absurdität dieser Parolen bewusst. Die selbst gewählte Einschränkung des eigenen Lebensstils war die logische Konsequenz.

Heute steht die Sache sehr ähnlich. In den USA setzt sich langsam aber sicher der Eindruck fest, dass das Leben in Saus und Braus nicht andauern kann. Mit dem hohen Wachstum der vergangenen Jahre stellte sich auch die Leichtsinnigkeit ein: Die US-Haushalte sind heute hoch verschuldet (mit durchschnittlich 133% des verfügbaren Einkommens), wenden pro verdientem US-Dollar durchschnittlich 20 Cent zur Tilgung ihrer Schulden auf und sparen kaum noch. Ende 2007 lag die Sparquote der US Verbraucher bei Null.

Die Party geht zu Ende, keiner will der letzte Gast sein. Deshalb bleibt der US Wirtschaft früher oder später wohl nur die Einsicht, dass eine Korrektur der immens hohen Konsumausgaben unvermeidlich ist. 72% des BIPs wenden die US-Privathaushalte inzwischen für Verbraucherausgaben auf – im historischen und internationalen Vergleich sind Werte um die 60% normal. Diese Quote wird sinken müssen.

Die Folge: Das enttäuschende US-Weihnachtsgeschäft ist ein Vorbote dessen, was Unternehmen im Jahr 2008 erwartet: weniger neue Fernseher, Autos und Computer. Die Regierung kann nicht reagieren, weil sie schon jetzt ein zu hohes Defizit aufgebaut hat, das keinen Spielraum mehr lässt. Aber es ist nicht verwunderlich, dass die Bush-Regierung laut über kurzfristige Steuerrabatte in Form von Schecks für alle US-Bürger nachdenkt. Die Fed wird die Zinsen nun weiter senken und bald könnten die Realzinsen ins Negative drehen. Können solche Maßnahmen ausreichen?

Der Vergleich mit 1990 verheißt nichts Gutes. Auch damals reagierte die Regierung schnell, aber es gelang ihr nicht, das Vertrauen wieder herzustellen. Ist die Situation also ausweglos? Dazu zwei Anmerkungen: Erstens könnte eine Rezession heute weniger schlimm ausfallen, als eine Rezession, die noch zwei Jahre hinausgeschoben wird. Ein baldiger Rückgang des exzessiven Konsumverhaltens der US-Bürger sowie der damit verbundenen Anstieg der Sparquote und die Eindämmung des Schuldenmeers wären zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht sogar der richtige Weg. Zweitens könnte mit der Wahl im November eine neue Ära eingeläutet werden, die den US-Verbrauchern schon bald wieder neues Vertrauen gibt.

Die Wahl Bill Clintons zum US-Präsidenten im November 1992 hatte genau diesen Effekt: Die Clinton-Ära gilt als die ökonomische Erfolgsstory schlechthin. „It’s the economy, stupid!“ („konzentrier’ Dich auf die Wirtschaft, Du Idiot!“) hatten Clinton seine Berater damals eingeflößt. Im Wahlkampf 1992 lag der Beginn der Rezession allerdings schon zweieinhalb Jahre zurück. Heute kommt die Wahl sehr früh in der Konjunkturkrise. Ich wage die Prognose, dass die Vertrauenskrise und die Rezession den Wahlkampf dominieren werden. Und wer die „animal spirits“ am besten aufgreifen kann, der wird gewinnen.

Henrik Enderlein ist Professor an der Hertie School of Governance in Berlin

Von Henrik Enderlein