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Thomas Fricke: Kryptowährung – Und führe uns nicht in den Bitcoin

17. Dezember 2017

Der Hype um die Digitalwährung Bitcoin ist ein Lehrstück über das Scheitern der Finanzglobalisierung. Es zeigt: Der Mensch ist für einen vernünftigen Umgang mit virtuellen Werten einfach nicht gemacht.

Fast täglich neue Rekorde, fast täglich Warnungen, dass das nicht gut gehen kann. Trotzdem geht der Hype weiter. Allein dieses Jahr ist der Wert eines Bitcoins von knapp 1000 auf mehr als 17.000 Dollar explodiert – ohne dass dahinter irgendetwas steht, was realwirtschaftlich eine Wertsteigerung von mehreren Tausend Prozent erklären könnte: keine gigantische Auswertung wirtschaftlicher Möglichkeiten oder Ähnliches. Zauber.

Klar, es hat für jeden Normalsterblichen etwas Faszinierendes, diese Vorstellung, über Nacht reich zu werden – wenn man im richtigen Moment eingestiegen ist und Bitcoins gekauft hat. Genau darin liegt nur kollektiv der Kern jedes Desasters – und des Crashs.

Das Schicksal der kuriosen Digitalwährung taugt zum Lehrstück dafür, was seit mehr als 30 Jahren auf zunehmend verheerende Weise mit der rumtata-liberalen Finanzglobalisierung falsch läuft. Der Mensch scheint für den Umgang mit virtuellen Werten einfach nur sehr eingeschränkt geeignet. Höchste Zeit, uns vor uns selbst zu schützen und den Spuk zu beenden.

Das könnte daneben gehen

Nach Vorstellung der Urdenker freier Märkte müssten die Kurse von Finanzwerten – ob Aktien oder Währungen – stets spiegeln, was die entsprechenden Unternehmen oder Länder wert sind und schaffen. Gelingt es einem Konzern, gut zu investieren, um künftig mehr zu erwirtschaften, sollten Aktionäre in freudiger Erwartung mehr Aktien kaufen und den Kurs damit von selbst steigen lassen. Tolle Sache.

Jetzt ahnten auch die Liberal-Päpste, dass so etwas gelegentlich daneben gehen könnte – und Kurse plötzlich nach oben oder unten getrieben werden. Nicht schlimm, so einer der inneren Leitsätze der vergangenen mehr als 30 Jahre Finanzglobalisierung: Es gebe ja immer schlaue Leute, die bei einem irren Hochschnellen der Kurse merken, dass das so nicht weitergeht – und dann ganz vorausschauend auf künftig wieder fallende Kurse spekulieren und verkaufen. Wodurch der Kurs automatisch wieder aufs richtige Maß fällt. Zauberhaft.

Das Märchen vom weisen Spekulanten

Genau hier liegt das menschliche Drama. Die Geschichte vom weisen Spekulanten erweist sich immer wieder als Märchen. Wenn Kurse einmal nach oben rasen, ist es für jeden noch so hellen Spekulanten in Wirklichkeit ein Verlust, nicht mitzumachen. Solange die Kurse steigen, hat jeder, der einsteigt, gute Chancen, damit Geld zu machen.

Das Dilemma ist ja: Anders als die Urdenker unterstellten, weiß eben doch keiner, wo der richtige Kurs ist – und wann ein Trend noch normal oder schon eine Blase ist; und wann so eine Blase platzt. Kopfsache. In so einer Situation ist die beste Strategie immer noch, dem Trend zu folgen, also dem, was alle anderen machen; nach dem alten Anlegermotto: Der Trend ist dein Freund.

Dass das nichts Neues ist, zeigt ein Rückblick auf die dreieinhalb Jahrzehnte, seit Ronald Reagan die Finanzmärkte zu liberalisieren begann – und alle anderen folgten. Mal gab es Aktienhypes – bis 1987 der erste große Crash der neuen Zeit folgte. Mal wurden Immobilienwerte hochgetrieben, wie in Japan bis zum Crash Anfang der Neunzigerjahre; und später in Amerika.

Oder es gab den Hype um Asiens boomende Wirtschaft, als Sparkassenberater jeder Oma thailändische Staatsanleihen empfahlen – bis es auch dort von Mitte 1997 an crashte. Dann den Hype um die New Economy – womöglich am ehesten vergleichbar mit der Bitcoin-Hysterie. Auch damals rasten die Kurse hoch, der New-Economy-Index Nasdaq stieg zwischen Oktober 1998 und März 2000 von 1419 auf 5049 Punkte. Bis der Crash kam.

Jeder Einzelne scheint rational zu agieren

Klar, es gibt jedes Mal anfangs auch reale Anlässe. Asiens Volkswirtschaften setzten in den Neunzigerjahren zum Boom an. Und die New Economy erschuf Firmen, von denen ein paar tatsächlich zu Imperien wurden. Ob Google oder Amazon. Die Tücke: Sobald der Hype beginnt, setzen immer dieselben Reflexe ein – schnellen die Kurse rasch über alles hinaus, was begründbar wirkt.

Zunächst löst das keine größeren Zweifel aus, weil die Beteiligten in Zeiten des Überschwangs stets eine enorme Kreativität entwickeln, zu erklären, warum es gegen alle bisherige Erfahrung normal ist, dass die Kurse astronomische Werte erreichen. Tägliche neue schillernde Meldungen über Rekordwerte und Menschen, die im Schlaf zu Milliardären geworden sind, scheinen diesen Glauben zu bestätigen. Wer in solcher Zeit Zweifel anmeldet, wirkt schnell als Miesmacher. Das ist nur menschlich.

Das war in der New Economy so, in der am Ende (fast) alle glaubten, dass es normal ist, wenn Garagenfirmen Milliarden geliehen bekamen, auch wenn sie nicht einmal ansatzweise darlegen konnten, wie sie mit ihrem Geschäftsmodell einmal Gewinn machen würden. Da reichte der diffuse Glaube.

Die Zweifel wachsen

Nichts anderes ist, was heute den Bitcoin-Hype ausmacht. Wieder gilt, dass jeder Einzelne rational zu reagieren scheint, wenn er im Hype einsteigt. Bis die Sache platzt. Wann auch immer. Psychologie.

Irgendwann wachsen doch die Zweifel. Irgendwann beginnen die ersten Gurus auszusteigen. Irgendwann verkaufen als letztes auch Oma und Konsorten. Dann ist das Desaster längst da: der Crash. Und die Spirale kehrt sich mit derselben menschlichen Logik um. Weil keiner weiß, wo der richtige Kurs für einen Bitcoin oder eine New-Economy-Aktie liegt, gilt dann: Jeder Kursverfall führt zu noch mehr Verkäufen – und zu noch mehr Kursverfall.

Gut möglich, dass so ein Crash – anders als in der Finanzkrise vor zehn Jahren – diesmal keine so großen Schockwellen auslöst. Gerade weil der Hype vor allem einzelne Bitcoin-Verrückte treffen wird – und mangels Verquickung mit der größeren Finanz- und Schuldenwelt nicht das System ins Wanken bringt. Nur macht das den tieferen Befund nicht besser.

Vielleicht sollte die Einsicht reifen, dass wir Menschen einfach nicht für diesen Finanzkapitalismus geschaffen sind. Weil wir einfach kollektiv zu wenig logisch handeln. Was Mister Spock immer ahnte. Dafür können wir besser Empathie und so. Dann brauchen wir aber dringend wieder ein Finanzsystem, in dem wir vor unseren eigenen Spinnereien besser geschützt werden. Und in dem es automatische Stoppmechanismen gibt, wenn mal wieder ein Hype die Runde macht.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. Frank Frei
    18. Dezember 2017 um 10:12

    In einem Nullsummenspiel können nie alle gewinnen.
    Und fast die Hälfte aller Menschen ist dümmer als der Durchnitt. 😀

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