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Anatomie eines Umfrage-Desasters – oder: Wie geschätzt 40-50 Leutchen deutsche Politik steuern

3. Januar 2013

Laut einer gestern veröffentlichten und viele hundert Male rezitierten Forsa-Umfrage favorisieren 76 Prozent der FDP-Wähler Rainer Brüderle für den Posten des FDP-Vorsitzenden im Vergleich mit Philipp Rösler. Nur acht Prozent sehen das nicht so. Auf welcher Basis entstehen eigentlich solche Umfragen, die die Politik unseres Landes entscheidend mitbestimmen? Im konkreten Fall liegt der Verdacht nahe, dass bestenfalls drei bis vier Dutzend Befragte zu anschließend medial und politisch bis auf die Knochen ausgeschlachteten Umfrageergebnissen führen.

[Bitte lesen Sie auch die m.M.n. spannenden Kommentare für ein besseres Verständnis und auch (berechtigte!) Kritik an meiner Argumentation!]

Zugegeben: Den glücklichsten Eindruck macht Philipp Rösler auch auf politische Laien wie mich nicht. Die gestern veröffentlichten Umfrageergebnisse des Meinungsforschungsinsituts Forsa fand ich aber aus analytischer Sicht doch interessant. Demnach halten 76 Prozent der FDP-Wähler Rainer Brüderle für den besseren FDP-Vorsitzenden als Philipp Rösler. Diese Umfrage wurde laut Google News digital rund 1000 mal in den letzten 24 Stunden aufgegriffen; Spiegel Online nannte es „ein Umfragedebakel“, der Focus „ein Desaster“, N24 „vernichtend“. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Ein vernichtendes Debakel ist das in der Tat. Aber für wen?

Denn zunächst passiert etwas ulkiges: Laut der Umfrage halten 76 Prozent der FDP-Wähler Brüderle für den besseren. So steht es in der Originalquelle und auch der Pressemitteilung. Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt allerdings am 2.1. um 11:28h : „Nach einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das Magazin „stern“ halten 76 Prozent der Parteimitglieder den Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, für den besseren Parteivorsitzenden. Um 15 Uhr liefert Reuters ein Update – und spricht erneut von  „Parteimitgliedern„. Um 15:34 Uhr korrigiert sich die Agentur, es handele sich um 76 Prozent der „FDP-Wähler„.

Da haben aber laut Google News Schlagwortsuche 232 Nachrichtenquellen, darunter Focus, Spiegel, Handelsblatt, Welt… die Agenturmeldung schon prominent online aufgegriffen und sprechen davon, 76 Prozent der Parteimitglieder hielten Brüderle für den besseren. Und so steht das auch jetzt noch bei den meisten online, und auf dieses Basis wurde munter analysiert und kommentiert. Ein, wie ich finde, nicht unwesentlicher Unterschied, wenn man kurz vor einem wegweisenden Parteitreffen stundenlang Wähler und Mitglieder durcheinanderwirft.

Aber gut: 76 Prozent der FDP-Wähler halten Brüderle also für den besseren, auch wenn das nicht überall durchgedrungen ist.

Doch wie befragt man eigentlich FDP-Wähler? Ausweislich der Originalquelle – die Kollegen vom „Stern“ und „RTL“ haben dazu das Meinungsforschungsinstitut Forsa beauftragt – wurden für diese Umfrage „1003 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger“ befragt. Also nicht 1003 repräsentativ ausgesuchte FDP-Wähler. Und nicht Wahlberechtigte. Sondern: Bundesbürger.

Nun plätschtert die FDP in der Sonntagsfrage laut den ebenfalls von Forsa ermittelten Wahltrends derzeit bei rund vier Prozent. Das heißt: Wenn ich 1003 Bundesbürger repräsentativ aussuche, lande ich aktuell bei rund 40 Menschen, die sich derzeit als FDP-Wähler zu erkennen geben. [Das ist natürlich nur eine grobe Schätzung*, wir wissen weder, wie FDP-Wähler definiert sind, noch, wie mit Nichtwählern umgegangen wird]

Bleiben wir aber bei der Schätzung von vier Prozent von 1003, denn es heißt ja übereinstimmend bei den Instituten, dass die FDP in der Sonntagsfrage auf vier Prozent käme. Und diese so ermittelten 40 FDP-Wähler frage ich dann, ob sie Herrn Brüderle eventuell für den besseren FDP-Vorsitzenden halte? Ein interessanter Gedanke. Es können aber auch – das mal als wilde Theorie – 50 gewesen sein, wie eine kleine Zahlenknobelei nahe legt **. Es könnten aber, ganz optimistisch geschätzt, auch 140 gewesen sein. Zum Beispiel dann, wenn ich als FDP-Wähler nicht definiere, wer jetzt FDP wählt, sondern, wer die FDP 2009 gewählt hat, wenn ich die Nichtwähler komplett auslasse und somit eine große Frust-Gruppe hinzu nehme (danke für die Hinweise dazu). Es könnten auch methodisch definierte „Stammwähler“ sein. Aber derzeit ist die Gruppe der FDP-Wähler ja nun mal vier Prozent, und dabei werden die schon „extrapoliert“, denn in der politischen Stimmung schneidet die FDP noch schlechter ab als die vier Prozent, nämlich, je nach Institut, neigen derzeit nur zwei bis drei Prozent der FDP zu.

Entscheidend wäre aus methodischer Sicht nicht nur, wie viele FDP-Wähler befragt wurden. Sondern auch, wie die Frage gestellt wurde: Lautete sie: Wen fänden Sie besser als FDP-Vorsitzenden: Brüderle oder Rösler? Oder lautete sie: Fänden Sie Herrn Brüderle besser als FDP-Vorsitzenden (als Rösler)? Diese letztgenannte Frage hätte für mich methodisch den Charakter einer Suggestivfrage, und ich fürchte, genau so ist sie gestellt worden, denn im Originaltext heißt es: „Nur acht Prozent sehen das nicht so“ [“ Brüderle wäre ein besserer Vorsitzender als Rösler“, das klingt nach ja/nein-Frage]. Ob die Leute auch gefragt wurden, ob sie Rösler für den besseren Parteichef als Brüderle halten, um Verzerrungen herauszunehmen, wissen wir leider nicht. Jedenfalls: Wenn Sie 100 Leute im Restaurant fragen, ob sie lieber Fisch oder Fleisch hätten, erhalten Sie auch andere Ergebnisse als bei der Frage, ob sie statt des Fischs lieber das Fleisch hätten.

Gewiss: Für das Urteil, dass Rösler nicht den besten Stand parteiintern hat, muss man kein Politikexperte sein. Dazu bedarf es auch keiner Umfrage.  Aber: Mir dreht sich der Magen um, wenn ich darüber nachdenke, dass die Befragung von vielleicht 40 bis 50 „zufällig ausgewählten“ oder in einer Kohorte ermittelten FDP-Wählern derart meinungsbildend wirkt. (Disclaimer: Wenn meine These stimmt, dass hier nur von einer anfänglichen Stichprobe von 1003 Leuten weitergerechnet wurde). Methodisch mag das gerade noch akzeptabel sein. Wäre es auch, wenn man sagt: FDP Wähler ist der, der 2009 FDP gewählt hat und somit die Grundgesamtheit etwas, aber vermutlich nicht dramatisch höher wäre bei einer 1000er-Stichprobe als 30 bis 50.  Wenn es stringent wäre, was heraus kam.

Ist es das? Die Frage Rösler vs. Brüderle wurde auch schon in früheren Umfragen gestellt. Und jetzt wird es lustig. Denn als Datenbasis für die gestern veröffentlichte Zahl, nach der 76 Prozent der FDP-Wähler Brüderle für den besseren halten, diente eine Forsa-Umfrage, die laut Originalquelle am 20. und 21. Dezember durchgeführt wurde unter eben jenen 1003 Befragten.

Am 2. Weihnachtstag schrieb der Spiegel noch online , gerade einmal 48 Prozent der FDP-Wähler hielten Brüderle für den besseren FDP-Chef. Herausgefunden hat das – Forsa. Und befragt hat man dazu Menschen zwischen 17. und 21. Dezember, dafür aber auch 2500. Andere Quellen sprechen von 48 Prozent der „starken“ FDP-Wähler, die Brüderle favorisieren.

Man kann es fast nicht glauben, aber ein und dasselbe Meinungsforschungsinstitut ermittelt (vorausgesetzt, die Zahlen stimmen) vom 17. bis 21. Dezember, dass 48 Prozent der FDP-Wähler Brüderle für den besseren Parteichef halten, um am 2. Januar gibt das Institut bekannt, dass man am 20. und 21. Dezember ermittelt habe, dass 76 Prozent der FDP-Wähler Brüderle für den besseren halten.

Welches Schweinderl‘ hätten’s denn jetzt gerne – die 76 Prozent, die ein Debakel für Rösler und ein Triumph für Brüderle sind und vom 20. bis 21. Dezember erhoben wurden? Oder die zwischen dem 17. und 21. Dezember ermittelten 48 Prozent, die ein Debakel für Brüderle wären, weil er’s offenbar auch nicht besser kann laut der befragten (starken?) FDP-Wähler? Denn interessanterweise konnte Brüderle damit ein ganzes Jahr lang nicht von der allerorts diganostizierten schlechten Arbeit Röslers profitieren: Vor ziemlich genau einem Jahr hielten auch 48 Prozent Brüderle für den besseren. Damals war das übrigens, ich zitiere n-tv, „kein klares Votum“.

Und als wäre das alles nicht schon irre genug, macht das „Handelsblatt“ heute (Freitag) seine Zeitung mit der Geschichte auf: „Brüderle ante portas“, und als Beleg (samt Grafik auf der Seite 1) werden diese beiden Zahlen verglichen: „Während 76 Prozent der der FDP Wähler Brüderle für den besseren Parteichef halten…. (…) Im Dezember 2011 hatten nur 48 Prozent der FDP-Anhänger für einen Parteichef Brüderle vortiert.“

Statistisch wäre jedenfalls die Streuung von schlappen 28 Prozentpunkten zwischen 48 und 76 Prozent keine so große Überraschung. Weder in einer Umfrage, noch, wenn sie auf Basis der Unterscheidung starker/schwacher FDP-Wähler zustande käme. Die Kollegen der „ZEIT“ haben in einem ebenso kurzen wie treffenden Artikel vor knapp einem Jahr auf die statistischen Probleme hingewiesen, die sich stellen, wenn eine Partei – wie die FDP – in Befragungen in die Nähe der „Zufälligkeitsgrenze“ rückt in Meinungsumfragen. Das sehr schöne Stück ist hier nachzulesen, unter drei Prozent spricht der Chef eines Meinungsforschungsinstituts von „Zahlenartefakten“.

Hinzu kommt demokratisch, dass die Veröffentlichung von Meinungsumfragen einen Einfluss auf das tatsächliche Wahlverhalten und die Meinungsbildung hat. Vereinfacht: Wenn veröffentlicht wird, dass eine bestimmte Partei den Einzug in ein Parlament nicht schaffen wird oder ein Politiker besonders schlechte Umfragewerte erhält, dann führt dies dazu, dass die Menschen diese Partei tendenziell nicht wählen werden und diesen Politiker ebenfalls schlecht beurteilen. Oder nicht zur Wahl gehen, wenn der Ausgang eh‘ klar scheint. Denn sie sind mit ihrem Wahlverhalten und ihrer Meinung gerne „mit der Mehrheit“ unterwegs und ungerne mit einem Loser. (Oder: Knappe Wahlausgänge bzw. leichte Rückstände „mobilisieren“ Wähler. Hier muss ich aber nachtragen, dass diese Effekte mindestens umstritten sind.)

Zu diesem Problem gibt es jedenfalls die hübsche Anekdote, dass das Allensbacher-Institut die Republikaner 1992 und 1996 zweimal wider den vorliegenden Umfragen auf unter fünf Prozent taxiert hat, um Wähler von einem Kreuz bei den Partei abzuhalten. Oder 1965 Und wie fahren wohl die Delegierten zum Dreikönigstreffen der FDP, wenn kurz zuvor die Runde macht, mehr als drei Viertel der Leute da (der Mitglieder) halten Brüderle für den besseren? Das hat für mich – und ich habe zur FDP, Rösler und Brüderle überhaupt keine persönliche oder politische Meinung – den Charakter, einem taumelnden Menschen auf dem Weg zur Bühne mal eben mit Anlauf ins Kreuz zu springen.

Spannend wäre, zu wissen, woher der dramatische Anstieg der „Brüderle-Fans“ von 48 auf 76 Prozent kommt, wenn man den Befragungszeitraum von 17. bis 21.12. mit dem 20. und 21.12. vergleicht. Oder erklärt der sich nur aus der Unterscheidung zwischen „starken“ und „schwachen“ FDP-Wählern und stammt aus des statistisch erheblich verlässlicheren 2500er-Stichprobe? Und überhaupt: Wie viele FDP-Wähler wurden denn nun befragt?

Zur Größe der Stichprobe habe ich Donnerstag bei Forsa angerufen – leider war aber niemand da, der meine Frage beantworten konnte. Ich wurde gebeten, eine kurze Mail zu schicken. Das habe ich getan mit einer sehr einfachen Frage: Wie groß war die Grundgesamtheit (N) der FDP-Wähler, auf die Sie Ihre Unfrageergebnisse stützen? Ich habe die Frage heute früh erneuert – allerdings keine Antwort erhalten. Sollte die Zahl nachgereicht werden, trage ich sie hier natürlich nach.

Nachtrag: Forsa teilt mit, die Grundgesamtheit der FDP-Wähler betrage 6,3 Millionen. Das stimmt natürlich. Ich habe daraufhin meine Frage nochmals präzisiert. Mich interessiert natürlich die Zahl der FDP-Wähler der Stichprobe, auf deren Basis die 76 Prozent errechnet wurden. Stand Dienstag, 14 Uhr habe ich darauf noch immer keine Antwort erhalten.

* Wenn ein Meinungsforschungsinstitut veröffentlicht, dass vier Prozent der 1003 Befragten am Sonntag die FDP wählen werden, heißt das nicht, dass tatsächlich 40 Leute die „Sonntagsfrage“ entsprechend beantwortet haben. Das geht schon mal los bei der Frage, wie man überhaupt Wähler definiert. Stammwähler? Der Partei, der er gerade zuneigt? Die er gewählt hat? Die er wählen wird? Oder: Die er vermutlich wählen wird, weil man als Meinungsforscher (und das tun sie ja wirklich) besser weiß, was jemand wählen wird, selbst wenn er das selbst noch nicht weiß? Denn egal, wie ich die Stichprobe konzipiere – als Zufallsstichprobe (Straße/Telefon), bei denen 1000 Leute zufällig ausgewählt werden – oder, indem ich 1000 Leute definiere, die laut meinen Daten ein Abbild der Bevölkerung bilden: Ich habe immer Verzerrungen drin. Konkret: Die CDU/CSU hat viele Wähler in der älteren Generation, die leichter erreichbar sind, wenn ich eine Zufallsstichprobe per Telefon mache. Junge Leute wählen oft „grün“, sind aber nur schwer erreichbar. „Linke“ und „Grüne“ sind skeptischer, was Meinungsumfragen angeht aus Datenschutzgründen. NPD-Wähler outen sich ungern am Telefon oder auf der Straße in Befragungen. Ostdeutsche sind skeptischer. Und Leute, die sehr gerne an Meinungsumfragen teilnehmen am Telefon oder gegen Geld, sind ein anderer Schlag Mensch als der „Durchschnittsbürger“. So etwas wird dann nach einer geheimen Formel „geglättet“.

** Eine kleine statistische Spekulation: Die Umfrage spricht davon, dass 76 Prozent Brüderle für den besseren FDP-Chef halten, acht Prozent sehen das nicht so, was mit den restlichen 16 Prozent ist [100-[76+8]], steht in der Originalquelle nicht. Was zu einer kleinen Zahlenspielerei einlädt: 76, 16 und 8 Prozent – vielleicht handelt es sich ja nicht um rechnerisch rund 40 befragte FDP-Mitglieder, sondern tatsächlich um genau 50. Denn man kann glatt und ohne Runden 76, 16 und 8 Prozent von 50 Befragten bilden: 38 Befragte fänden demnach Brüderle besser, 4 eher Rösler, 8 haben keine Meinung [korrigiert, danke]. Plausibel wäre das bei einer 1000er-Befragung. Oder um 100.

Disclaimer: Ich arbeite bei den G+J Wirtschaftsmedien, die wiederum – wie der „Stern“ als Co-Auftraggeber der Umfrage – zum G+J Verlag Hamburg gehören. Dieser Artikel analysiert ausschließlich die Methodik der Forsa-Umfrage und soll keinerlei Kritik an den sehr geschätzten Kollegen des „Stern“ sein!

  1. Christian Kirchner
    9. Januar 2013 um 17:32

    Zwei Dinge möchte ich noch anmerken

    1.) Heute veröffentlicht Forsa einen Stern-RTL-Wahltrend, laut dem die FDP von 4 auf 2 Prozent gesunken sei. Ich habe keine Ahnung (ernsthaft nicht), was ein Wahltrend ist, es steht auch nirgends in den heute veröffentlichten Artikeln oder der Originalquelle. Ist es eine Stimmungsmessung, wer wem zuneigt? Ist es eine Umfrage, wen die Leute am Sonntag wählen würden? Ist es eine Projektion auf Basis einer Umfrage, wen die Leute wählen würden? Es scheint eine Art „Benchmark“ zu sein, so dass weitere Ausführungen überflüssig sind.

    Jedenfalls wird diagnostiziert, der „Umfragewert“ der FDP sei von 4 Prozent vor Weihnachten auf 2 Prozent letzte Woche gefallen. Andernorts ist von einer „Zustimmung“ zur FDP die Rede. Wieder an anderer Stelle, Forsa stelle jede Woche die „Sonntagsfrage“. Genau weiß das offenbar niemand, der drüber schreibt.

    Ist ja auch nicht so wichtig, jedenfalls: Zwei statt vier Prozent für die FDP, nehmen wir mal an, es geht um die Sonntagsfrage.

    Da Forsa die Fehlertoleranz transparent mit plus/minus 2,5 Prozentpunkten angibt, ist die eine Lesart, die heute ausschließlich die Runde macht: FDP rutscht in Umfrage von 4 auf 2 Prozent. Ich schlage vor dem Hintergrund der zwei Ergebnisse – 4 und 2 Prozent bei je +/- 2,5 Prozentpunkten Fehlertoleranz – eine alternative Lesart vor, die ebenso gültig, aber vermutlich nicht ganz so griffig ist: „Während die FDP in einer Vollerhebung/Wahl statt einer Stichprobe noch kurz vor Weihnachten mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent 1,5 bis 6,5 Prozent der Stimmen bekommen hätte, war der Wert in der vergangenen Woche leider nicht mehr zuverlässig messbar, wir schätzen ihn aber auf 0 bis 4,5 Prozent; der Stimmenanteil kann sich also halbiert haben, er könnte jedoch auch von 1,5 auf 4,5 Prozent gestiegen sein und sich mithin seit Mitte Dezember verdreifacht haben oder unverändert bei drei Prozent gelegen haben.“

    Linktipp dazu:
    http://www.der-postillon.com/2013/01/statistische-fehlertoleranz-von-25-fdp.html?m=1

    2.) (Ohne Kommentar) – „Forsa-Chef Manfred Güllner sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Parteichef Philipp Rösler sollte noch vor der Wahl zurücktreten, um die FDP über die Fünf-Prozent-Marke zu bringen“, lese ich bei Reuters. Und weiter: „Für die FDP wäre es laut dem Wahlforscher daher eine „große Wohltat“, würde er noch vor der Wahl [in Niedersachsen] zurücktreten.“

    Das soll es dann für mich auch gewesen sein mit einem kleinen Ausflug in die Welt der Würf… äh, der Demoskopie, ich bin jetzt auch schon wieder still, sonst denkt jemand noch, ich würde hier eine Kampagne fahren. Ab jetzt wieder Finanzmärkte. Vielen herzlichen Dank für die vielen Kommentare und Anregungen, auch die kritischen!

    • Dirk Hüske-Kraus
      9. Januar 2013 um 17:48

      In der Tat ist die alternative Formulierung etwas weniger „griffig“. Ich würde, im die intellektuellen Kapazitäten des Publikums nicht zu überfordern, eine Variante vorschlagen: „Genau wissen wir eigentlich nichts*, aber es sieht wohl ein bisschen schlechter für die FDP aus.

      * Natürlich wissen wir schon manches, nämlich dass etwa trotz eines Fehlerintervalls von +-2,5% bei einem Wert von 2.0% dennoch keine Ergebnisse unter 0% zu erwarten sind, immerhin…“

  2. Jan Schwarz
    9. Januar 2013 um 10:32

    Des Weiteren möchte ich sie noch bzgl. eines Absatzes auf die kommunikationswissenschaftliche Forschung hinweisen (auch wenn ich schon länger keine aktuellen Forschungsergebnisse diesbezüglich verfolgt habe):

    In dem folgenden Absatz schreiben Sie von der Beeinflussung des Wahlverhaltens durch Meinungsumfragen. Zumindest nach meiner kommunikationswissenschaftlichen Kenntnis gibt es zu dem von ihnen genannten Erklärungsversuch („gerne ‚mit der Mehrheit‘ unterwegs“) einen weiteren Ansatz, der besagt, dass bei klaren Verteilungen in Umfragen sowohl potentiell Unterlegene als auch potentielle Gewinner den Wahlen fernbleiben: denn die Wahrnehmung ist, dass das Ergebnis ohnehin schon fest steht.

    „Hinzu kommt demokratisch, dass die Veröffentlichung von Meinungsumfragen einen signifikanten Einfluss auf das tatsächliche Wahlverhalten und die Meinungsbildung hat. Vereinfacht: Wenn veröffentlicht wird, dass eine bestimmte Partei den Einzug in ein Parlament nicht schaffen wird oder ein Politiker besonders schlechte Umfragewerte erhält, dann führt dies dazu, dass die Menschen diese Partei tendenziell nicht wählen werden und diesen Politiker ebenfalls schlecht beurteilen. Denn sie sind mit ihrem Wahlverhalten und ihrer Meinung gerne “mit der Mehrheit” unterwegs und ungerne mit einem Loser.“

    Des Weiteren können Sie nicht ausschließen, dass die taktischen Wähler nicht doch ihre Stimme einem gewünschten – aber in den Umfragen unterlegenen – Koalitionspartner geben.

    • Christian Kirchner
      9. Januar 2013 um 17:37

      Ich habe aus Interesse noch mal einige Aufsätze nachgelesen, und interessanterweise sitzen wir beide da („Umfragen beeinflussen Wahlverhalten“) offenbar einer Annahme auf, die empirisch gesehen mindestens umstritten ist. Ob Meinungsumfragen das tatsächliche Wahlverhalten beeinflussen, ist heute nicht mehr sicher empirisch zu belegen. Das sehe ich mir aber noch mal näher an.

  3. Jan Schwarz
    9. Januar 2013 um 09:59

    Sehr gute Analyse! Schön, dass sie einerseits die statistischen Verwirrungen beleuchten. Auf der anderen Seite kann man den Redakteuren den Vorwurf machen, dass sie einen Teil ihrer Arbeit – nämlich eine Recherche – nur unzureichend erledigt haben. Und es ist egal, welches Medium wie angefangen hat, etwas falsch oder verdreht oder interpretiert zu melden. Es wäre die Pflicht der Redakteure sich die Originaldaten anzuschauen nachdem sie die Agenturmeldung bekommen haben anstatt sich bei ihren Kollegen in den anderen zu versichern – die ja auch nur das Material aus den Agenturmeldungen übernehmen. Das mag in einer kleinen Meldung nicht so auffallen, aber wenn dann schon ein großer Artikel dazu geschrieben wird, würde ich mir mehr Professionalität wünschen.
    Die Schwierigkeiten der Medien kommen nicht von ungefähr – immer nur weiter am Personal sparen ist nicht die Lösung. Denn mit einer Häufung solcher Falschmeldungen, -interpretationen und -kommentierungen könnten wir als Bürger irgendwann auf die Idee kommen den Medien ihren Status als 4. Gewalt abzuerkennen…

  4. John Doe
    9. Januar 2013 um 03:36

    Welchen Wert hat die folgende Meldung, wenn man die Kommentare zur Methodik und Zielen von Umfragen Revue passieren lässt?
    „Der heutige ifo Geschäftsklimaindex der gewerblichen Wirtschaft Deutschlands für den Monat Dezember 2012 ist nach sechs Rückgängen, zum zweiten Mal in Folge wieder leicht angestiegen. Im Dezember 2012 stieg das Geschäftsklima laut ifo-Institut auf 102,4 Indexpunkte an, nach 101,4 Indexpunkten im Vormonat und nach 107,3 Punkten im Vorjahresmonat.“

  5. freiwild
    8. Januar 2013 um 15:23

    Gesetzt, dass bei Allensbach sauber gerundet wurde, könnten es auch 25 FDP-Wähler gewesen sein (19, 4 und 2 je Antwort) oder 37 FDP-Wähler (28, 6 und 3 Wähler je Antwort).

  6. 8. Januar 2013 um 14:12

    Reblogged this on SCHLEUDERGANG und kommentierte:
    Die Technik der Meinungsmache.

  7. F. Weber
    8. Januar 2013 um 05:16

    Zur „Repräsentativität“. http://von-der-lippe.org/dokumente/Repraesentativitaet.pdf
    Wer an Statistik interessiert ist, kann alles lesen, eigentlich ist reicht aber schon das Fazit.

  8. seyinphyin
    7. Januar 2013 um 16:15

    Was ist vor allem repräsentativ. Es gibt tausende Formen davon. Man könnte einfach die Altersverteilung hernehmen. Oder die Bildung. Das Einkommen oder den Wohnort.

    Und das könnte mit bei 100% CDU Wählern tun und es könnte dennoch als repräsentativ bezeichnet werden, da man dies eben einfach nur z.B. auf das Alter bezogen hat.

    Ohne exakte Angaben der Umstände ist das für mich so oder so Betrug und Unterwanderung der Demokratie, indem man die Volksmeinung manipuliert, teilweise sogar geradezu kontrolliert.

  9. Graureiher
    7. Januar 2013 um 12:53

    Wie solche Umfragen funktionieren, hat Albrecht Müller (Nachdenkseiten.de) mal geleakt:

    „Vor einer NRW-Wahl in den Achtzigern trafen sich die für die Wahlkampfplanung und –umsetzung verantwortlichen Personen im Haus des Wahlkampfleiters der SPD in NRW. Nach ausführlicher Debatte und Entscheidung zu verschiedenen Projekten des Wahlkampfes warf der NRW-Wahlkampfleiter noch ein besonderes Problem und eine Frage auf: Manfred Güllner von Forsa wolle wissen, was für ein Ergebnis bei der nächsten Umfrage für die NRW-SPD gewünscht werde – ein gutes Ergebnis, um den Mitzieheffekt, den Bandwaggon, auszulösen, oder ein schlechtes Ergebnis, um die Gefährdung der SPD-Führung im Land zu signalisieren und so die eigenen Anhänger zu mobilisieren.“

    Stimmungsmache des Kaffeesatzlesers von Forsa.

  10. OS
    7. Januar 2013 um 10:17

    Danke, sehr erfreulich zu lesen. Endlich bekommt man mal wieder ordentlich vor Augen geführt, wieviel man auf Meinungsumfragen geben kann – insbesondere dann, wenn man all die interessanten Dinge aus seinen Statistik-Vorlesungen wieder erfolgreich verdrängt hat. Von dieser Art Content sollte es einfach mal mehr geben!
    (Auch danke für den Link zum (alten) Zeitartikel.)

  11. 6. Januar 2013 um 13:53

    Wir haben Internet. Umfrageinstitute sollten die rohen Datensätze veröffentlichen, damit unabhängige Statistiker die gezogenen Schlüsse validieren können. Gleiches wird in der Wissenschaft unter dem Stichwort „Forschungsprimärdaten“ schon länger gefordert und vereinzelt sogar praktiziert.

  12. Fabian H.
    5. Januar 2013 um 14:19

    Ihr Beitrag ist hoch spekulativ und geht von der schwach bis gar nicht begründeten Annahme aus, dass die Umfrage Murks ist.
    Natürlich finden sich keine „Beweise“ für die korrekte Durchführung, aber formal bedeutet „repräsentativ ausgesucht“ in diesem Fall, dass solange Teilnehmer, die FDP gewählt haben, gesucht werden, bis 1003 gefunden sind. Und die werden dann befragt.
    Zu vermuten, dass dies nicht geschehen ist, ist ihr gutes Recht. Aber disqualifiziert, zumindest in der Form, den komplette Beitrag. Hauptsache reißerische Überschrift und viele Klicks.

    • 7. Januar 2013 um 11:58

      Wenn man in 2 Tagen eine Umfrage auf der Strasse bzw. am Telefon durchführt, dauert es seine Zeit, bis man ein Ergebnis der repräsentativ definierten Menge von 1003 Leuten zusammengetragen hat. Man darf davon ausgehen, dass mindestens 50% der Befragten eine Antwort ablehnen. Das bedeutet, dass man mindestens 2006 Leute befragen muss, um überhaupt auf 1003 verwertbare Ergebnisse zu kommen. Nun wurde allerdings in diesem Fall das Umfragekriterium sehr stark eingegrenzt. Praktisch müsste jeder Befragung vorangestellt werden, ob sich der Befragte auch der Zielgruppe zuordnen läßt. Das ist sehr schwierig und persönlich halte ich es für eigentlich unmöglich, dass man letztendlich mit dieser Vorgehensweise innerhalb dieses Zeitrahmens 1003 FDP- Wähler zusammenbekommen kann. Nicht jeder Befragte, der womöglich FDP wählen würde, würde sich auch in einer Umfrage dazu bekennen. Zusätzlich wird die Umfrage dadurch erschwert, dass man FDP- Wähler nicht so einfach auswählen kann, da vermutlich nur eine Teilmenge von maximal 5% der Befragten auch welche sind. Im Saarland würde es noch drastischer aussehen, denn mit dem offiziellen Wahlergebnis von 1,2% der vergangenen Landtagswahl wäre die Trefferquote noch geringer. Ausgehend von wohlwollenden 5% müsste man demzufolge etwa 40000 Leute befragen, um annährend die repräsentative Menge von FDP- Wählern zu erzielen. Geht man davon aus, dass pro Einzelumfrage eine Minute Zeit aufgewendet werden muss, braucht ein einzelner Befrager allein mindestens 27 Tage. Geht man von einem 8 Stunden Tag aus, so kommt man schon auf 81 Tage. Um es in 2 Tagen zu schaffen, wohlgemerkt bei rechnerisch günstigen Bedingungen, braucht man 40 Leute dafür.
      Der Beitrag ist weniger spekulativ wie die Umfrage vom Forsa- Institut selbst. Eine Umfrage, so representativ sie sein mag, ist nichts wert, wenn die genaue Formulierung unterschlagen wird…

  13. 5. Januar 2013 um 12:06

    Lieber Kollege, in der STERN-Redaktion überlegen wir uns jede Woche, welche Fragen Forsa neben einer Reihe von Standard-Fragen im Rahmen des STERN-RTL-Wahltrends stellen soll. Für den Wahltrend werden jeden Wochentag 500 zufällig ausgesuchte Bürger angerufen, also 2500 in der Woche. Für die Zusatzfragen sind es in der Regel mindestens 1000 Bürger. Zu dem Wortlaut der Fragen und der Stichprobengröße geben wir gerne Auskunft. Deswegen steht unter der Vorabmeldung auch immer der Name des betreuenden Redakteurs. Als wir gesehen haben, dass eine Agentur von befragten „FDP-Mitgliedern“ statt „FDP-Wählern“ berichtete, haben wir bei den Kollegen angerufen und um eine Korrektur gebeten. Auf welche Daten sich SPON bezog, ist für mich nicht nachzuvollziehen.
    Im Übrigen haben wir keine Zweifel, dass wir bei einer korrekt gezogenen und ausreichend großen Stichprobe die Umfrageergebnisse auch nach Parteipräferenzen aufgeschlüsselt veröffentlichen dürfen. Forsa hat in den vergangen Jahren immer wieder gezeigt, dass bei einer täglichen Umfrage die Trends früher erkannt werden und die Stimmung vor Wahlen sehr zutreffend eingefangen wird.
    Beste Grüße
    Lorenz Wolf-Doettinchem,
    STERN-Ressortleiter Politik+Wirtschaft

    • seyinphyin
      7. Januar 2013 um 16:25

      Selbst 2500 Menschen sind gerade mal ca. ein 24.000stel der Deutschen Wählerschaft. Selbst bei einer homogenen Masse wäre das fragwürdig, ob dies repräsentativ sein kann und man würde eine weit größere Menge nehmen, um sicher zu gehen.

      Bei Menschen, das so ziemlich Unberechenbarste in der Natur, ist es blanker Irrsinn, dies als repräsentativ anzusehen. Man versucht die Leute zu manipulieren, denn nicht wenige Menschen folgen gerne der Masse in ihrer eigenen Unsicherheit und da sehr viele Menschen entweder zu wenig Zeit oder Lust oder Energie haben, um sich politisch zu bilden, laufen die eben der Masse nach oder widersetzen sich aus Trotz. Das funktioniert nicht bei allen, aber bei einigen und am Ende reicht das aus, solange die ~40% lieber gar nicht wählen gehen, statt Alternativen.

      In einer Demokratie herrscht man Despotismus, indem man die Diktatur bereits vor der Wahl ansetzt, in Form der Meinungsdiktatur. Angebliche Umfragen bieten sich da an. Alles sind glücklich, alles ist gut, die Mehrheit empfindet das auch so und Du willst doch zur Mehrheit gehören, nicht wahr?.

      • ICH
        7. Januar 2013 um 19:11

        Das es zuverlässig ist, das mittels 2.500 befragter Personen repräsentative Ergebnisse geliefert werden, ist kein Problem. Natürlich müssen die Teilnehmer einer Befragung die Bevölkerungsstruktur wiederspiegeln. Wie man im Vergleich von z.B. ersten Wahlprognosen und amtliches Endergebnis sehen kann, funktioniert es erstaunlich gut.

      • Christian Kirchner
        7. Januar 2013 um 19:33

        Mit 2.500 Leuten sind Sie sehr gut unterwegs, da bringt die Befragung von 80 Millionen auch keine dramatische Verbesserung mehr. Egal, ob Sie es zufällig machen oder schichten oder beides. Soweit richtig. Das gilt allerdings nicht für Kleinst-Subgruppenanalysen. Wenn Sie einen Medikamentenwirkstoff an 1000 Leuten testen – und bei 500 schlägt er an und bei 500 nicht, dann können Sie auch nicht hinterher hingehen und sagen: Unter den 53 Leuten mit Sternzeichen Wassermann hat der Wirkstoff übrigens stark angeschlagen, das Zeugs müssen wir Wassermännern verschreiben. Dann müssen Sie schon noch mal eine Studie an Wassermännern nachschieben. Wenn es wirklich um was geht und nicht um den Firlefanz hier, den Sie sich leicht für 5.000 Euro pro Frage kaufen können.

        Der Vergleich mit den „erstaunlich gut funktionierenden Wahlprognosen“ hinkt leider und ist der Kern meiner Kritik: Für eine Wahlprognose von 18 Uhr und die entsprechenden Analysen der Wählerwanderungen werden eben nicht 1.000 und auch nicht 2.500 Leute befragt, sondern mindestens 10.000 vor ganz bewusst ausgesuchten Wahllokalen als „Exit Poll“, wo es weniger Verzerrungen gibt wie Tage vor der Wahl und jeder Meinungsforscher das vor ihm liegende Datenset abschmecken kann, wie er will.

        Wenn 1.000er oder 2.500er-Befragungen vernünftige Ergebnisse auch für Subgruppen zulassen, könnte man sich ja seeehr teure Sachen wie den Mikrozensus oder das 20.000 Personen umfassende sozioökonomische Panel oder die Exit Polls gleich sparen, indem man einfach ein bisserl stochert und schichtet und seine Stichprobe bzw. Panel von 1.000 bis 2.500 für toll hält.

        Oder, anders formuliert: Wenn es wirklich um was geht und man es genau wissen will, wird der Aufwand plötzlich vervielfacht. Das zahlt Ihnen natürlich auch kein Auftraggeber aus der Wirtschaft und kein Medium. Warum auch? Die Güte der Umfrage wird ja auch nicht in der Praxis gemessen, ganz anders als bei Wirkstoffen (durch Patienten), bei Wahlprognosen (durch amtliche Endergebnisse) oder dem Mikrozensus (durch Steuereinnahmen und Einwohnerentwicklung).

        So lange erfahren wir also weiter, um mal alleine bei den letzten zwei Wochen zu bleiben

        – dass 64 Prozent der 45- bis 59jährigen Deutschen plan(t)en, an Silvester zwischen zwei und drei Uhr zu Bett zu gehen
        http://www.presseportal.de/pm/12907/2387254/forsa-umfrage-silvester-ohne-sekt-fuer-deutsche-unvorstellbar-bild);

        – dass 82 Prozent aller Deutschen, aber 81 Prozent der 30- bis 44jährigen „eher nicht dafür sind, dass Brüssel neue Vorschriften für die Organisation der Wasserversorgung der Städte einführen sollte“ (ermittelt wurde das übrigens von Forsa im Auftrag des Verbands Kommunaler Unternehmen).
        http://www.vdi-nachrichten.com/artikel/Versorger-warnen-vor-Qualitaetsverlust-bei-Privatisierung-des-EU-Wassermarktes/62065/1

        – dass zehn Prozent der 18 bis 29jährigen sagen, ihr Auto wäre ihnen fast so wichtig wie ein Familienmitglied
        http://www.cosmosdirekt.de/unternehmen/presse/presseinformationen/familienmitglied-auto/

        – dass die „Toten Hosen“ die musikalische Nummer 1 des Jahres unter Businessreisenden waren, die 2012 mindestens eine Reise getätigt haben, einen Internetanschluss haben und volljährig sind
        http://www.handelsblatt.com/panorama/kultur-literatur/forsa-umfrage-das-sind-die-lieblings-hits-von-geschaeftsreisenden/7555698.html

        – dass lediglich acht Prozent der 20 bis 29jährige an die jüngsten Vorwürfe bei bestimmten Riester-Produkten erinnern können http://www.presseportal.de/pm/76432/2391697/mehrheit-der-deutschen-ist-gegen-staatliche-zwangsloesung-bei-der-altersvorsorge

        – dass 69 Prozent der Brandenburger, aber nur 43 Prozent der Baden-Württemberger ihre Vorsätze mindestens drei Monate lang einhalten
        http://nachrichten.t-online.de/brandenburger-halten-am-laengsten-ihre-guten-vorsaetze-ein/id_61489272/index?news

      • seyinphyin
        7. Januar 2013 um 20:32

        Wie gesagt, das ist ja schon die Manipulation. Indem ich z.B: repräsentativ 40% CDU Wähler 30% SPD Wähler 10% Grünen Wähler usw frage, habe ich das Ergebnis bereits vorher schon ziemlich sicher in der Tasche. Und was sollen diese Umfragen denn an sich genau? Sie sind ja per se unbedeutend – oder etwa nicht? Natürlich nicht, denn es zeigt den über 90% der deutschen Bevölkerung, die sich so gut wie nicht für Politik interessieren und sich maximal Schlagzeilen merken, was sie in etwa zu tun haben.

        Was glauben SIe, würden die Leute tun, wenn plötzlich mehrere Umfragen rauskämen, wo die Linke 30% hat, die Piraten 20%, die CDU 10%, die SPD 15%, usw?

        Was würden den Leuten da durch den Kopf gehen? Und was für eine Auswirkung hätte das wohl auf das Wahlverhalten? Ernst gemeinte Fragen.

  14. 5. Januar 2013 um 09:59

    Sehr geehrter Herr Steiner, wichtige Gedanken! Daniel Kahneman in „Schnelles Denken, langsames Denken“(Siedler Verlag 2012) schreibt: „Die zweite Sünde der Repräsentativität ist die Gleichgültigkeit gegenüber der Qualität der Daten“ und „Menschen schenken dem Stichprobenumfang keine hinreichende Beachtung“. Auf Seite 144 analysiert er den Satz : “ Bei einer telefonischen Befragung von 300 Senioren erklärten 60 Prozent ihre Unterstützung für den Präsidenten“ Verdichtet: Senioren unterstützen Präsidenten! Er führt dann aus : “ „Eine Gruppe von Sympathisanten hat eine fehlerhafte und tendenziöse Erhebung durchgeführt, um den Nachweis zu erbringen, daß Senioren den Präsidenten unterstützen.“ Wertlose Informationen sollten nicht anders behandelt werden sollten als ein völliges Fehlen von Informationen. Übrigens erlebe ich in „meinem“ Fachgebiet, der Kardiologie, immer wieder ähnliches.

    • 5. Januar 2013 um 10:03

      Entschuldigung, falsche Anrede: Ich meine Herrn Kirchner!

  15. Heinrich Richard
    5. Januar 2013 um 00:02

    Schlimmer wäre es noch, wenn man erfahren würde, dass der Anrufer Brüderle selbst war, der den paar Parteigenossen am Telefon erst einmal den Marsch geblasen hätte .. bevor er selbst dann zur Tat schreitet – und die Frage aller Fragen stellt. … und dafür die Forsa eine hübsche Parteispende rüberschiebt.

    Denn das ist doch die wahre FDP, wie wir sie kennen und lieben. Alles für die Wirtschaft! (Und den Profit dann bitte in die Taschen der FDP) …

  16. Unimog
    4. Januar 2013 um 16:43

    Eine Meinunganalyse ist immer nur so gut, wie der, der Sie macht. Wo bleibt das Verantwortungsbewußtsein a) von Forsa, so eine Studie überhaupt zu veröffentlichen und b) von der Presse, die gewonnenen Aussagen einfach mal „in die richtige Richtung“ zu drehen?
    Leider gibt es immer wieder solche Statistik-Desaster in der Presse und in der politschen Diskussion. Es gibt sogar Gesetzentwürfe, die auf solchen beruhen! Daher, lieber Herr Kirchner, möchte ich Sie bitten, bleiben Sie dran! Damit irgendwann auch der Einfachste kapiert, dass man jede veröffentlichte Zahl hinterfragen kann – und muss (Leider!)

  17. 4. Januar 2013 um 16:38

    Ein sehr sehr interessanter Beitrag.. Danke dafür.

    Viel interessanter als die Ergebnisse finde ich die Frage wie die Frage formuliert war (wie sie ja oben auch schon erwähnen) und was genau gefragt wurde bzw. was waren die Fragen davor. Wenn man das wissen würde, könnten die Ergebnisse evtl. hinkommen, zumindest wüsste man dass die Befragten bei der Beantwortung beeinflusst wurden.

    Wenn man in der Befragung 17.12 – 21.12. gefragt hat, was man von der Abschaffung von Praxisgebühr hält und dann die Frage Rösler vs Brüderle, könnte es schon passieren, dass hier wesentlich mehr Personen Herrn Rösler geeigneter halten als in der Befragung danach, wo evtl. die Fragen anders gestellt wurden.

    Zu der Grundgesamtheit der FDP Wähler.
    Es könnte ja auch sein, dass man hier die Zahl derer nimmt, die bei den letzten Wahlen für die FDP gestimmt haben, dann wären es nämlich nicht mehr 4% sondern ca. 14% der Befragten die als FDP Wähler gezählt werden.

    Und als „starke FDP Wähler“ werden wahrscheinlich die bezeichnet die auf beide Fragen (letzten Wahlen, nächsten Wahlen) mit FDP geantwortet haben.

    Aber egal wie man es dreht und wendet, komisch sind die Ergebnisse trotzdem.

    • Christian Kirchner
      4. Januar 2013 um 18:00

      Danke, gute Hinweise. Insbesondere der mit der schlüssigen Definition der FDP-Wähler. Wobei: Wenn eine Partei – je nach dem, ob man die Stimmung misst oder die Sonntagsfrage projiziert – zwischen zwei und vier Prozent krebst, dann ist der Griff zur letzten Wahl (14 Prozent) und der damaligen Grundgesamtheit in der Definition der Wähler schon merkwürdig, erst recht im Kontext der dramatischen Verluste. Oder, anders formuliert: Wenn ich die Wähler so definiere (Wahl 2009), gestalte ich angesichts der irren Diskrepanz zwischen letztem Ergebnis und aktueller Stimmung/Projektion den Teil der Stichprobe ja so, dass ich das hohe Unzufriedenheitspotenzial der 10 bis 12 Prozentpunkte dazwischen mit einschließe. Kaum einer kennt die Definition von Wählern, zugleich werden der Partei aber schlappe zwei bis vier Prozent bei Stimmung/Projektion zugeordnet. Da liegt der Schluss schon nahe, dass es um die aktuellen FDP Wähler geht. Oder bestenfalls die Stammwähler. Zumindest beim typischen Leser. Natürlich nicht bei einem Meinungsforscher.

  18. Andreas
    4. Januar 2013 um 16:13

    Interessant, die Forsa zu verreissen aber den Stern in Schutz zu nehmen. Meines Erachtens haben die Mitarbeiter von Forsa ein zehnmal besseres Verständnis von Methodologie als es irgendein Verlagsmitarbeiter in Deutschland je haben wird, sie eingeschlossen. Aber wenn man nix zum schreiben hat, sucht man sich halt etwas was populär ist.

  19. 4. Januar 2013 um 15:56

    Die Demoskopen liefern Stories, Dummerchen, aber keine Fakten.

  20. N Binder
    4. Januar 2013 um 15:43

    4 präferieren Rösler, unten sind die Zahlen vertauscht! Ansonsten eine sehr angenehm zu lesende Interpretation, aber ohne so etwas wäre Demokratie doch langeweilig^^

    • Christian Kirchner
      4. Januar 2013 um 15:46

      Völlig richtig. Korrigiert. Danke!

  21. Aidnography
    4. Januar 2013 um 14:50

    Ich finde es generell erstaunlich, dass Meinungsinstitute ‚Betriebsgeheimnisse‘ haben duerfen, obwohl sie die oeffentliche Meinung/Stimmung und ggf. Wahlergebnisse beeinflussen koennen. Methodik komplett transparent offenlegen und von der Crowd analysieren lassen!

  22. S. Heiser
    4. Januar 2013 um 13:50

    Sie haben einen wichtigen Faktor vergessen: Die Nichtwähler. Bei der letzten Bundestagswahl haben nur 70,9 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. Wenn die rund 1.000 Befragten repräsentativ ausgewählt wurden, dann gehen auch von ihnen nur gut 700 zur Wahl. Und wenn davon dann 4 Prozent die FDP wählen, dann handelt es nicht um 40, sondern um 28 Personen.

    • Christian Kirchner
      4. Januar 2013 um 14:04

      Hallo, guter Hinweis, und: den habe ich nicht vergessen, sondern bewusst weggelassen, um 1) das Zahlenbeispiel nicht zu verkomplizieren und die Zahl „noch kleiner zu rechnen“ und 2) kenne ich die Definition von „FDP-Wähler“ nicht und kann mich nur auf das vorhandene Material stützen. Es ist ja gut möglich, dass – siehe auch den Kommentar von Herrn Hüske-Kraus dazu – ein Meinungsforschungsinstitut jemanden als FDP-Wähler klassifiziert, weil er jahrelang Stammwähler war, selbst wenn er in einer Befragung angibt, er würde nicht zur Wahl gehen, wenn diesen Sonntag Wahl wäre. Die „Glättung“ der tatsächlich erhobenen Zahlen anhand eigener Erfahrungswerte führt ja auch dazu, dass die politische „Stimmung“ (da liegt die FDP z Zt bei 2% bei der Forschungsgruppe Wahlen) und die Projektion für die Sonntagsfrage (da liegt sie bei 4%) voneinander abweichen; man glaubt zu wissen, dass eben die Leute, die jetzt auf die FDP fluchen, wenn es hart auf hart käme, doch noch ihr Kreuzchen bei der FDP machen und klassifiziert folglich auch mehr Leute als FDP-Wähler. Beste Grüße, Christian Kirchner

  23. Dirk Hüske-Kraus
    4. Januar 2013 um 11:51

    Merci für die erhellende Analyse. Kleiner Nachtrag: Es ist wohl auch schwierig zu definieren, was genau „FDP-Wähler“ bedeutet, die bloße Antwort auf die Sonntagsfrage scheint mir hier ebenfalls zu einer Verzerrung zu führen. Angenommen ich hätte mein Leben lang FDP gewählt, würde aber wg. Rösler das just am Sonntag nicht mehr tun. ODer auch wegen meiner Erwartung, dass Brüderle es wird. Dann bin ich kein FDP-Wähler mehr? In solch einer Definition ist der bias ja einprogrammiert.

  24. 4. Januar 2013 um 10:29

    Vielen Dank für den erhellenden Beitrag. Auf den immer wieder praktizierten politischen Ge-(Miss-)brauch von Meinungsumfragen kann man gar nicht oft genug hinweisen. Ähnlich wurde übrigens vor Jahren auch die Behauptung erfragt, die Mehrheit der FDP-Wähler sei gegen Steuersenkungen. Damals war der absolute Anteil der durch Forst insgesamt befragten FDP-Sympathisanten bei 70 Personen.

  25. Prof. Dr. Jörg-A. Weber MPH
    4. Januar 2013 um 10:04

    wohltuend, dass es auch noch denkfähige Journalisten gibt. Bei jeder Studie ist der Methodenteil das Entscheidende. Nur wenn ich damit einverstanden bin schaue ich überhaupt Ergebnisse an. Mängel in den Methoden machen jedes Ergebnis irrelevant, egal ob es mir gefällt oder nicht. Aber so viel Sachverstand kann man in den heutigen Medien scheinbar nur bei Wirtschaftsjournalisten erwarten.

  26. 3. Januar 2013 um 20:25

    Noch ein Gedankengang:
    Der Unterschied von 48% zu 76% kann man doch auch ganz einfach hinbekommen. Ich mache eine Umfrage in der Zeit vom 17.12.12. bis 21.12.12. Da mir die 48% nicht gefallen, gucke ich doch einfach mal an welchen Tagen die Zustimmung für Brüderle am höchsten ist. Kann ja sein, dass die Teilnehmer am 20.12. und 21.12. eher für Brüderle waren.

    Mathematisch habe ich keine Ahnung was das in konkreten Zahlen bedeutet. Aber wenn man sich zum Beispiel Werbung für Aktienfonds anguckt, sieht man ja auch, dass der Zeitraum für die Renditeberechung immer nach dem großen Absturz um die Jahrtausendwende gewählt wird. Alles andere gibt schlechtere Zahlen.

  27. 3. Januar 2013 um 16:58

    Sehr guter Bericht. Danke!

  28. 3. Januar 2013 um 12:43

    40 aus 1003…
    Das dürfte sogar noch extremer sein. Würde man mich zum FDP-Vorsitz befragen wollen, dann würde ich bloß abwinken. Und viele andere Leute würden es genauso machen, denn über die FDP zu reden ist reine Zeitverschwendung. Damit wären aber in den besagten 1003 Befragten überdurchschnittlich viele FDP-Sympathisanten enthalten, das Umfrage-Ergebnis also verfälscht. Gemessen an einem unverfälschtem „repräsentativen Querschnitt“ müsste es vermutlich eher heißen: 20 aus 1003.

    • Christian Kirchner
      3. Januar 2013 um 15:36

      Hallo, Herr Steiner, siehe dazu meine Fußnote. Solche Sachen (dass nicht jeder teilnimmt oder dass man zwar teilnimmt, aber nicht über den FDP-Parteivorsitz redet) werden schon berücksichtigt durch eine entsprechende Glättung. Wie genau die abläuft, ist natürlich Betriebsgeheimnis der Meinungsforscher. Beste Grüße, Christian Kirchner

  29. Alexander P.
    3. Januar 2013 um 12:40

    Eine exzellente Analyse. Endlich etwas Geist im Netz.

  1. 14. Januar 2013 um 18:00
  2. 12. Januar 2013 um 01:39
  3. 7. Januar 2013 um 09:48
  4. 5. Januar 2013 um 09:28
  5. 4. Januar 2013 um 17:34
  6. 3. Januar 2013 um 12:09
Kommentare sind geschlossen.