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Die Zahl der Aktionäre in Deutschland – oder: Malen nach Zahlen mit dem Deutschen Aktieninstitut

27. Februar 2013

In diesem Land ist der Teufel los – zumindest, wenn man den gestern veröffentlichten und hundertfach zitierten Daten des Deutschen Aktieninstituts traut. Denn demnach ist die Zahl der Aktionäre in Deutschland im zweiten Halbjahr 2012 dramatisch geschrumpft: 1,3 Millionen Menschen hätten sich von Aktien vollständig verabschiedet. Und das, obwohl noch vor rund einem halben Jahr für das ersten Halbjahr 2012 vom gleichen Institut der stärkste Anstieg der Aktionärszahlen seit dem New-Economy-Boom um 1,5 Millionen Menschen vermeldet wurde. Ich halte beide Zahlen für Blödsinn. Sie halten weder einer intuitiven noch einer empirischen Prüfung stand.

Beginnen wir mir einem kleinen grafischen Rätsel. Bitte betrachten Sie einmal das folgende Diagramm. Gibt es Ihrer Meinung nach irgend einen erkennbaren Zusammenhang zwischen der blauen und der roten Säule?

aktien_blankIch sehe da bei zwei Säulenpaaren einen, bei dreien aber überhaupt keinen.

Kommen wir zu einer zweiten Grafik. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

fondsgrobIch jedenfalls überhaupt keinen, eher einen negativen. Womit wir beim Kern des Problems sind: Die gestern veröffentlichten Zahlen des Deutschen Aktieninstituts (DAI) zur Entwicklung der Zahl der Aktionäre in Deutschland, die in Print wie Online seit gestern früh rauf- und runter zitiert werden.

Demnach sei die Zahl der Aktionäre im 2. Halbjahr 2012 um 1,3 Millionen gefallen – nachdem sie noch im Halbjahr zuvor um 1,5 Millionen gestiegen sein soll.

Das wäre eine sowohl absolut als auch prozentual dramatische Entwicklung, denn insgesamt identifiziert das DAI nur 8,8 Millionen direkte und indirekte Aktionäre. Als Basis dient eine Umfrage. Über die Zahl kann ich nur staunen: Wie passt es zusammen, dass in einem Halbjahr die Zahl so stark steigt – und anschließend wieder so stark fällt? Deutschland – plötzlich wieder ein Land der taktischen Anleger?

Einer intuitiven Prüfung hält das ganze schon mal nicht stand, auch wenn ich schon öfters dargelegt habe, dass deutsche Privatanleger nicht solche prozyklischen Dummköpfe sind, als die sie oft dargestellt werden.

Und leider auch keiner empirischen. Denn was in den obigen beiden Grafiken zu sehen ist, ist die prozentuale Veränderung der Zahl Aktionäre zum jeweiligen Halbjahr zuvor (rote Säule) auf Basis der DAI-Zahlen sowie die Nettozu/-abflüsse  (blaue Säule) in Aktien und Investmentfonds in Mrd. Euro von deutschen Privathaushalten auf Basis der Bundesbankdaten.

In der ersten Grafik sind die Zuflüsse in Aktien zu sehen verglichen mit den (angeblichen) Veränderung der Aktionärszahlen, in der zweiten die Zuflüsse in Fonds verglichen mit der (angeblichen) Zahl der indirekten Aktionäre über Fonds. Die Daten zu den Aktionärszahlen stammen vom DAI und fußen auf einer Umfrage, die Daten zu den Mittelflüssen  aus der Geldvermögensrechnung der Bundesbank und damit  auf den tatsächlichen Zahlen. Die Zu-/Abflüsse sind bereinigt um Kurseffekte. Das heißt: Berücksichtigt werden nur tatsächliche Zu-/Abflüsse in Aktien und Fonds.

Zu erkennen ist, dass sich die vom DAI auf Umfragebasis diagnostizierte, angebliche starke Veränderungen der Aktionärszahlen (rote Säulen) überhaupt nicht in den tatsächlichen Mittelflüssen (blaue Säulen) in den Depots von Privathaushalten widerspiegeln. Anders formuliert: Wenn die Zahl der Aktionäre in einem Halbjahr dramatisch um 1,5 Millionen steigt, müsste ja in diesem Halbjahr auch ein signifikanter Nettomittelzufluss stattgefunden haben – es sei denn, die Liquidationen bestehender Aktionäre und Fondsbesitzer und die Zuflüsse der Neueinsteiger heben sich auf. Möglich wäre das, aber sehr unwahrscheinlich, denn das Bild ist übergeordnet stimmig: Konstante Abflüsse aus Aktien und Fonds, lediglich im 2. Halbjahr 2011 gab es laut Bundesbank einmal eine kleine Kaufwelle beim Direkterwerb der Aktien.

Hier noch mal die Grafiken mit Legende:

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Nun muss man fairerweise sagen, dass zum einen die Mittelflüsse nur für das dritte Quartal 2012 vorliegen. Allerdings glättet das DAI nach eigenen Angaben auch seine Aktionärszahlen über ein Halbjahr hinweg, es ist also keine Momentaufnahme vom 31.12.2012. Und:  Diese Größen sind natürlich nicht direkt miteinander vergleichbar: Eine absolute Veränderung der Mittelzuflüsse und eine prozentuale der Aktionärs-/Fondsbesitzerzahlen. Sie geben aber beide eine sehr gute Indikation über die Veränderung. Und vor allem: Zöge man die prozentuale Veränderung der in Aktien und Fonds angelegten Mittel bereinigt um Markteffekte heran, fiele das noch ungünstiger für die Interpretation der DAI-Zahlen aus – denn die Veränderungen des investierten Vermögens in Aktien und Fonds fällt prozentual minimal aus angesichts zum Beispiel rund 280 Mrd. Euro Aktienvermögen in Privathaushalten.

Verglichen damit diagnostiziert das DAI dramatische – und meiner Meinung nach vollkommen realitätsferne Veränderungen der Aktionärszahlen. Denn das Anlageverhalten der Bundesbürger ist sehr konstant mit Blick auf ihre Präferenzen. Hier dazu noch mal ein Blick in die Geldvermögensstatistik der Bundesbank.

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Das Geld wandert in Sicht- und Spareinlagen, Fonds und Aktien spielen keine Rolle.

Das DAI erklärt zu diesen Zahlen, sie seien auf einer Grundgesamtheit von rund 20.000 Befragten erhoben worden und überdies in mehreren Befragungswellen – und dann monatlich geglättet worden. Das macht das ganze noch suspekter. Zumal auch die Erkenntnisse aus Teilbefragungen dramatisch klingen: Angeblich sank im zweiten Halbjahr die Zahl der reinen Aktienfondsbesitzer ohne Mischprodukte / direkten Aktienbesitz  von rund vier auf rund drei Millionen – also mal eben um ein Viertel. Bei den Menschen, die sowohl Aktien als auch Fondsanteile besitzen, soll der Rückgang ebenfalls rund 30 Prozent betragen haben. In nur einem Halbjahr?

An dieser Stelle noch ein Geständnis: Im letzten Sommer war ich vom damaligen diagnostizierten starken Anstieg der Aktionärszahlen journalistisch ziemlich „angefixt“. Ich schlug vor, das doch mal im Rahmen einer größeren Reportage zu thematisieren, schließlich deckte sich das mit einem sanften Nettozufluss im zweiten Halbjahr 2011 der Bundesbank-Daten. Ich bat Kollegen, das doch mal eingehender zu recherchieren. Das Ergebnis: Die DAI-Zahlen konnte sich niemand erklären. Weder „on“ noch „off the record“ wollte jemand erkennen, dass die Lust auf Aktien signifikant gestiegen sei. Depotsammelstellen, Berater, Fondsverbände, Börsenbetreiber – sie alle gaben sich ahnungslos. Die Daten stützten den Trend einfach nicht.

Ein mit bekannter Anlageberater mit einer dreistelligen Kundenzahl bezifferte das allgemeine Interesse an Aktien mit „Nullkommanull“, und ich musste einsehen, mich in die Idee vergaloppiert zu haben, das wir da einen Trend sehen – zumal auch die anschließend veröffentlichten Bundesbankdaten darauf hindeuteten, dass die Nettokäufer ab Spätsommer 2011 nur ein kurzes, antizyklisches Zucken waren.

Es wäre wünschenswert, wenn das Deutsche Aktiensinstitut einmal das komplette Untersuchungsdesign offen legen würde, mit der es zu seinen Zahlen kommt, die so gar nicht zu Bundesbankdaten passen – weder mit dem Ausreißer nach oben bei der Zahl der Aktionäre im ersten Halbjahr 2012 noch mit dem nach unten im zweiten Halbjahr 2012. Ich werde jedenfalls die vom DAI ermittelten Aktionärszahlen – anders als bislang – künftig wegen großer Zweifel an Güte und Validität der Daten ignorieren.

  1. John Doe
    28. Februar 2013 um 11:49

    Wessen Geschäftsmodell würde darunter leiden, wenn Ihr Modell des nicht Zocken, spekulieren und Tradens installiert würde?

    • Spekulant
      1. März 2013 um 01:03

      Weiss ich nicht. Fragen Sie doch z.B. Herrn Jain oder Herrn Soros!

  2. T
    27. Februar 2013 um 19:39

    Könnte es sein, dass die Menschen je nach aktueller Berichterstattung mal mehr und mal weniger vergessen, dass sie tatsächlich Aktien besitzen, wenn sie danach gefragt haben?

    Ich habe mal gelesen, dass man Rheinländern nicht nur nach Alkohol, sondern auch nach Klosterfrau fragen muss, wenn man als Arzt wissen will, wie viel Alkohol sie trinken.
    Das könnte ja mit Aktien ähnlich sein?

    • Christian Kirchner
      28. Februar 2013 um 00:49

      Eine absolut plausible Theorie. Über den Stand der finanziellen Allgemeinbildung ist ja schon genug geschrieben und gelästert worden. Wenn man sich mit diesem Wissen im Hinterkopf bei Bundesbürgern im Zuge einer Zufallsstichprobe danach erkundigt, ob sie Aktien besitzen, Aktienfonds, Mischfonds, Belegschaftsaktien… dürften die Ergebnisse einigermaßen wirr sein. An dieser Stelle noch mal kurz die Anekdote, dass ich mal bei einer Zeitung gearbeitet habe, deren Leser im Zuge einer groß angelegten Leserbefragung mehrheitlich große Zufriedenheit in Sachen einer Rubrik äußerten, die sieben Jahre vor dem Zeitpunkt der Befragung eingestellt wurde (und fälschlicherweise nicht aus dem Untersuchungsdesign genommen wurde) 😉

  3. Spekulant
    27. Februar 2013 um 17:12

    Die Zahl der Aktionäre wird sich in Deutschland auch in der Zukunft kaum erhöhen. Anlegerschutz ist kaum vorhanden, die Regierung tut alles, um die Aktienanlage unattraktiv zu machen (z.B. Streichung der Spekulationsfrist/Einführung einer „Finanztransaktionssteuer“ …), die Banken drücken ihren Kunden lieber zwielichtige Zertifikate ins Depot und die Presse treibt die arglosen Kleinsparer immer erst dann in den Markt, wenn die Party schon fast gelaufen ist. So wird sich in Deutschland niemals eine nennenswerte Aktienkultur entwickeln können und ausländische Investoren einen immer größeren Einfluss auf unsere Unternehmen ausüben. Welchen Sinn in einem solchen Umfeld ein Deutsches Aktieninstitut überhaupt hat, erschließt sich mir nicht.

    • John Doe
      27. Februar 2013 um 23:39

      Aktienkultur, was is´n das? Ist das sowas wie Goethe, Schiller oder das Können deutscher Techniker?
      Oder ist Zocken und Traden anstatt des langfristigen Anlegens die Kultur? Haltefrist im Computerhandel, der 50 % des täglichen Handels aus macht, 5-tausendstel Sekunde zur glattstellung von Positionen. So, wie es die Leutchen von S&K vorgemacht haben, damit im Falle des Sieges 70 Jungfrauen auf den Sieger warten? Wie war das nochmal mit Facebook, Xing, der New Economy, Middlehoff, HVB, Anglo-Irish-Bank, etc.? Fast scheint es so, wenn man sich die Ergebnisse (2-maliger Zusammenbruch!) einer kurzen Spurensuche der letzten Dekade betrachtet. Die Grundidee der Börse, die Beteiligung an unternehmerischer Tätigkeit über mehrere Jahre hinweg, scheint jedenfalls bis zur Unkenntlichkeit verkümmert. Stattdessen wird heute gewettet, egal auf was – Hauptsache, es verspricht Gewinn. Die Börse als Casino.
      Wenn es dann doch mal schiefgeht, dann lässt man sich von unbeteiligten Dritten (Steuerzahler, Staat) die Verluste ersetzen, ernennt sie sachwidrig anschliessend zum Alleinschudigen, damit man weiter im Spiel bleiben kann. Nennt sich übrigens ganz harmlos daher kommend bail-out. Dafür hat die EU rund 5 Billionen € locker gemacht, ohne zu sagen, woher sie die Billionen genommen hat. Frau Merkel wird uns aber sicher die Rechnung nach der Wahl präsentieren.
      Ist das die Zukunft, die Kultur, die Sie meinen?

      • Spekulant
        28. Februar 2013 um 03:06

        Sie haben die Antwort ja im Wesentlichen schon selbst gegeben, indem Sie zahlreiche Auswüchse aufgezählt haben. Das ist natürlich keine Aktienkultur. Mit Aktienkultur ist gemeint, dass breite Schichten der Bevölkerung am Aktienvermögen einer Volkswirtschaft beteiligt werden. Leider ist das für keine Partei mehr ein förderungswürdiges Anliegen. Eigentlich könnte man zumindest erwarten, dass die linken Parteien ein Interesse an solch einer Form der Bildung von „Volksvermögen“ entwickeln. Aber die sind natürlich erst recht nicht daran interessiert, dass sich das unmündige Volk in die Wirtschaft einmischt und sich aus der Abhängigkeit des Versorgungsstaates löst.

  1. 28. Februar 2013 um 11:00
  2. 27. Februar 2013 um 16:10
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