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Jens Bastian – Athen 2014

4. Januar 2014

Seit Anfang des Jahres hat Griechenland die EU-Ratspräsidentschaft für sechs Monate übernommen. Was für Risiken und Möglichkeiten birgt dies für das Land?

Zuletzt hatte Griechenland die Ratspräsidentschaft vor einer Dekade inne. Die Ausgangsbedingungen waren damals völlig andere, getragen von teurem EU-Gipfeltourismus in Athen, Saloniki und auf Rhodos. Ebenso waren die inhaltlichen Schwerpunkte von einem außenpolitischen Optimismus gekennzeichnet, der sich vornehmlich auf die diplomatische Stärke Griechenlands auf dem westlichen Balkan konzentrierte. Ein Beitritt sämtlicher Nachbarstaaten bis 2014 wurde ehedem als zentrales Politikziel formuliert.

Was für einen Unterschied können zehn Jahre ausmachen, insbesondere wenn sich die politischen Rahmenbedingungen und Finanzierungsmöglichkeiten des Landes so fundamental verändert haben. In der Prioritätenliste der griechischen Ratspräsidentschaft findet sich Anfang 2014 kein Hinweis mehr auf die EU-Erweiterungsperspektive des westlichen Balkans. Dagegen stehen nun im Vordergrund Themen wie die Bankenunion, die Solidarität zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone und eine gemeinsame Grenzkooperation, z.B. im Kampf gegen Armutsmigration und Bürgerkriegsflüchtlinge.

Für die Koalitionsregierung von Premierminister Antonios Samaras bietet die Präsidentschaft die Chance, ihre Reformbemühungen einer skeptischen europäischen Öffentlichkeit näher zu erläutern. Die sich daraus ergebende Möglichkeit einer nachhaltigen internationalen Imageverbesserung des Landes sollte nicht unterschätzt werden. Es gibt jedoch auch Risiken und Nebenwirkungen. Es könnte auch neue Negativschlagzeilen geben, die aus der Instabilität der Zwei-Parteien-Koalitionsregierung in Athen und einem zunehmend unerträglich hohen Niveau an Massenarbeitslosigkeit (eine Quote von mehr als 27 Prozent) herrührt. Letztere birgt hohe Kosten und Gefahren für den sozialen Zusammenhalt der griechischen Gesellschaft. Schließlich ist da auch noch der Wahlkalender: es wird in Griechenland mitten in der Ratspräsidentschaft Europa-, Kommunal- und Regionalwahlen geben. Für die Bürgerinnen und Bürger des Landes, ergibt sich damit eine dreifache Gelegenheit, den Wahlzettel als Sanktionsinstrument zu nutzen.

Auch im neuen Jahr wird Griechenland mit harten Entscheidungen und ernüchternden Realitäten konfrontiert werden. Noch gibt es keine nachhaltige Lösung, wie die Steuerbasis verbreitert und die gesellschaftliche Steuermoral vertieft werden kann. Auch müssten Investitionsanreize gesetzt werden, welche eine Rückkehr zu Wirtschaftswachstum unterstützen. Die Kernfrage betrifft die Schaffung von Arbeitsplätzen in einer Gesellschaft, die zunehmend polarisiert ist zwischen jenen, die (noch) Arbeit haben und den Vielen, welche die Suche entweder aufgegeben haben oder ins Ausland abwandern.

Gibt es Spielräume oder Engpässe in der Fiskalpolitik?

Zu den Herausforderungen zählt auch, eine Haushaltspolitik zu finden, die nicht nur spart, sondern auch dazu beiträgt, dass sich die griechische Wirtschaft wieder erholen kann. Nachdem Athen in den vergangenen drei Jahren die größte Anpassung im Staatshaushalt geschafft hat, die es in einem Land der Eurozone oder des OECD-Raums je gegeben hat, stellt sich nun für Finanzminister Stournaras die Frage, wie viel fiskalpolitischen Handlungsspielraum sich Griechenland 2014 leisten kann. Dabei gibt es schon jetzt eine öffentlich ausgetragene Kontroverse mit der Troika, ob die mittelfristige Finanzplanung über 2014 hinaus überhaupt solche Spielräume zulässt.

Die griechische Regierung weist mit einigem Stolz auf das Erreichen eines Primärüberschusses (ohne Zinszahlungen auf bestehende Schulden) im Haushaltsjahr 2013. Daraus ergäbe sich eine steuerpolitische Flexibilität im neuen Jahr.  Richtig daran ist, dass die Bilanz durchaus beeindruckend ist. Zuletzt ist es vor mehr als zehn Jahren einem griechischen Finanzminister gelungen, einen Primärüberschuss einzufahren. Nur entfalten solche Überschüsse im laufenden Haushalt erst dann tiefere Wirkung, wenn sie über mehrere Jahre nachhaltig sind, insbesondere mit steigender Tendenz im Volumen bei gleichzeitig abnehmender Zinsbelastung auf die akkumulierten Staatsschulden.

Hier liegt eine Gefahr. Wenn das Erreichte im Athener Regierungslager derart überhöht wird, können sich daraus Ansprüche gegenüber der Troika und Erwartungen seitens der Bevölkerung ergeben, die nur allzu leicht enttäuscht würden oder nicht zu finanzieren sind. Ein erstmaliger Primärüberschuss im Haushalt ist nur eines von zahlreichen wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Bedingungen, die es 2013 und darüber hinaus zu erfüllen galt.

Umso wichtiger ist auch, dass die Wirtschaft tatsächlich wieder zu wachsen beginnt. Das Ziel der griechischen Regierung, wonach 2014 das Jahr der Rückkehr zum Wirtschaftswachstum wird, bleibt von zahlreichen Unwägbarkeiten gekennzeichnet.  Und wenn Griechenlands Wirtschaft nur minimal wächst – die OECD geht sogar abermals von Minuswachstum in 2014 aus -, gäbe es entsprechend weniger zusätzliche Steuereinnahmen. Um dann erneut einen Primärüberschuss im Etat zu erreichen, müsste wie 2013 bei Investitionen und Sozialausgaben weiter gekürzt werden. Dies wäre mit hohen sozialen Kosten und politischen Risiken verbunden.

Schuldenschnitt oder Umschuldung?

Unabhängig von der tatsächlichen Höhe des Primärüberschusses im Haushalt 2013 (wir werden die offiziellen Zahlen erst im April 2014 erfahren) wiegt der akkumulierte (Alt-)Schuldenstand Griechenlands wie ein Klotz, der den Aufschwung behindert. Das scheint allen Einheimischen in Athen und allen internationalen Beteiligten in Washington, Frankfurt sowie Brüssel und Berlin bewusst. Aber es ist keineswegs klar, ob sie daraus alle dieselben Schlüsse ziehen.

Was Griechenland 2014 dringlich braucht, ist eine Vereinbarung mit den internationalen Kreditgebern über die Modalitäten eines Schuldenerlasses. Mit Ausnahme des IWF in Washington wagt es bisher keiner der zwei anderen Mitglieder der Troika – die EZB in Frankfurt und die EU-Kommission in Brüssel –, über dieses Thema offiziell zu reden.

Können die europäischen Institutionen und die bilateralen Partner Griechenlands, welche ihrerseits Kreditgarantien seit 2010 gegeben haben, einem Schuldenerlass zustimmen, damit Athen in den kommenden Jahren die vereinbarten Zielmargen bei der Wiederherstellung seiner Schuldentragfähigkeit einhalten kann?

Bisher ist die Antwort darauf in die Zukunft verschoben worden. Dabei haben sich die Ausgangsbedingungen stark verändert. Seit 2010 hat eine signifikante Schuldenmigration weg von privaten Banken und Versicherungen hin zu offiziellen Stellen (IWF, EZB und Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM) stattgefunden. Dies hat dazu geführt, dass nunmehr für knapp 85 Prozent der griechischen Staatsschulden öffentliche Gläubigerinstitutionen verantwortlich zeichnen. Und hier  kommt Deutschland eine bestimmende Rolle zu, als Gläubiger wie auch als jener Partner, der entscheidend zu einer nachhaltigen Lösung der griechischen Schuldentragfähigkeit beitragen kann. Immerhin zeichnet Berlin verantwortlich für etwas mehr als 27 Prozent der offiziellen Finanzhilfen für Griechenland.

Die sich daraus ergebende Frage, die sich viele in Athen, Washington, Brüssel und Frankfurt insgeheim schon stellen, ist: Welcher der offiziellen Kreditgeber Griechenlands wird bei der Schuldenrückzahlung prioritär behandelt und wer hat gegebenenfalls auf Rückzahlungsforderungen zu verzichten? Die Antwort kann nicht formuliert werden, ohne dass das Kanzleramt in Berlin Papier und Schreibwerkzeug zur Verfügung stellt.

Es spricht vieles dafür, dass sich diese Debatte 2014 zu einem mehr oder weniger offenen Streit in der Eurogruppe entwickelt. In Athen hat die Kontroverse bereits dazu geführt, dass die Einheit der Troika immer stärker in Zweifel gezogen wird. Der IWF hat die Euro-Mitglieder schon im Juli 2013 öffentlich dazu aufgefordert, ihre Kredite an Griechenland durch einen Schuldenerlass teilweise abzuschreiben. Diese Vorgehensweise des IWF hat allerdings nicht dazu beigetragen, die Option eines Schuldenerlasses zugunsten Griechenlands in Berlin politisch akzeptabler zu machen.

Wie ein solcher Schuldenerlass im Einzelnen auszusehen hätte, wird in den kommenden Monaten durch Finanzdiplomatie zu klären sein. Dabei geht es nicht um binäre Entscheidungsoptionen zwischen einem Schuldenerlass jetzt oder einem späteren Zahlungsausfall Griechenlands. Die Elemente eines Rahmenabkommens müssen zwingend die Konditionalität beinhalten, dass Griechenland seinen strukturellen Reformprozess nachprüfbar fortsetzt. Angesichts des sehr angespannten sozialen Klimas im Lande wird jede Kompromissfindung auf eine breite Unterstützung der politischen Akteure in Athen angewiesen sein.

In vielerlei Hinsicht steht Griechenland 2014 vor einer Weggabelung. Eine wirtschaftliche Erholung des Landes wird ohne einen strukturellen Politikwechsel weg von der Fokussierung auf Sparziele und Haushaltssanierung hin zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum, Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen nicht gelingen. Die griechische Wirtschaft riskiert sonst auch im neuen Jahr gekennzeichnet zu sein von miesen Wachstumsaussichten (mit Ausnahme des Tourismus), anhaltender Massenarbeitslosigkeit, Preisdeflation bei vielen Produkten und einem Niveau an angehäuften Staatsschulden, das Investitionsaussichten behindert.

Vieles ist in Bewegung, steht aber auf dünnem Eis. Und diejenigen in Griechenland, die den Status Quo verteidigen, stehen scheinbar unversöhnlich jenen gegenüber, die fundamentale Reformen unterstützen. Diese Koexistenz zwischen dem ‚neuen Griechenland’ und dem ‚alten Hellas’ droht sich 2014 fortzusetzen.

Zum Autor: Jens Bastian war zwischen 2011 und 2013 Mitglied der ‘Task Force for Greece’ der EU Kommission in Athen. Jetzt ist er als freier Wirtschaftsberater und Finanzanalyst für Südosteuropa tätig. Er lebt und arbeitet seit 16 Jahren in Griechenland.

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