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Frickes Welt – Sanieren ohne Luftballons

1. November 2015

Macht der Weltspartag noch Sinn? Angesichts der extrem niedrigen Zinsen könnte man da so seine Zweifel haben, aber so schlecht ist die Lage nicht.

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Es gibt so schöne Gedenktage wie den Weltschlaftag, den Weltamateurfunktag oder den Welttag des Pinguins. Und dann gibt es den Weltspartag. Der ist an diesem Freitag. Und weniger schön. Was früher einmal Anlass war, vor der Sparkasse lustige Luftballons aufzuhängen, hat mittlerweile etwas von Volkstrauertag – seit bei der Sparbuchverzinsung erst die zweite Stelle hinter dem Komma ausgewiesen wird, weil vor dem Komma ohnehin null steht. Schlimm. Dabei gibt es mindestens zwei bis drei Gründe, darüber froh zu sein.

Dazu zählen die 100 Milliarden Euro, die unser Finanzminister gespart hat, weil er kaum noch Zinsen auf Staatsschulden zahlen musste, wie Reint Gropp vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) kürzlich vorgerechnet hat. Mit jedem neuen Krisenschub flüchteten mehr Anleger in scheinbar sichere deutsche Staatsanleihen, was die Zinsen – logisch – immer weiter fallen ließ. Kurz: Ohne den griechischen Ex-Finanzminister Varoufakis hätte Schäuble gar keine so schwarze Null, sondern ein zweistelliges Milliardendefizit. Oder er hätte sich das Geld bei uns holen müssen. Dann hätten wir zwar mehr Zinsen aufs Ersparte, aber weniger Erspartes, weil wir einen Teil unseres Geldes in Form zusätzlicher Steuern an den Finanzminister hätten überweisen müssen. Auch nicht ideal.

Kolumne29_10_aZu den schönen Seiten der Nullzinsen zählt noch etwas anderes, weniger Bekanntes: dass das billige Geld hilft, einen Schuldenboom umzukehren, den es (auch) in Deutschland bei den Privathaushalten bis in die 2000er-Jahre hinein gab. Mit dem Platzen mancher Einheitsillusion von blühenden Landschaften und boomenden Immobilien schnellte die Verschuldung in den Neunzigerjahren hoch – von weniger als dem Zweifachen auf fast das Dreifache der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung. Macht gut sechs Billionen Euro Kredit. Kein Wunder, dass die Deutschen danach über Jahre hinweg viel gespart haben, um Kredite abzubezahlen.

Kolumne29_10_bDie Wende setzte in den späteren 2000er-Jahren ein. Beschleunigt wurde sie nach Ausbruch der Finanzkrise, als die Zinsen gegen null rauschten. Nach IWH-Berechnungen haben Deutschlands private Schuldner allein in den vergangenen Jahren dank Nullzinsen fast 20 Milliarden Euro gespart. Das hat zu einem nennenswerten Teil dazu beigetragen, dass die Schuldenquote zuletzt in erhöhtem Tempo fiel. Womöglich haben die Nullzinsen sogar geholfen, eine Schuldenkrise bei den Deutschen zu verhindern.

Quelle: SZ-Grafik
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Diese Kolumne erschien in der Süddeutschen Zeitung vom 29. Oktober 2015. Dort schreiben jeden Freitag Thomas Fricke und Nikolaus Piper im Wechsel. Credit (Bild): Süddeutsche Zeitung, 2015