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Fabian Fritzsche: Austerität funktioniert?

11. November 2015

Spanien, Portugal und Irland, also zumindest drei der ausgemachten Krisenstaaten der Eurozone, weisen seit einigen Quartalen wieder positive BIP-Wachstumsraten auf, zum Teil ist das Wachstum sogar vergleichsweise hoch. Dies hat sowohl bei vielen Politikern aber auch einigen Ökonomen zu der Überzeugung geführt, Austerität funktioniere. Das nun wiederkehrende Wachstum wäre demnach mindestens trotz der Sparpolitik erfolgt, eher sogar das Ergebnis der Austeritätspolitik, die das Vertrauen der Investoren zurückgebracht habe.

Diese drei Staaten seien daher auch das Vorbild etwa für Italien, Frankreich und natürlich Griechenland. Auf den ersten Blick scheint die Argumentation verlockend, weil sie sich irgendwie richtig anfühlt: Sparsamkeit, Gürtel enger schnallen, Entbehrung werden am Ende belohnt.

Diese Sichtweise hält einem Blick auf die Daten allerdings kaum stand. In Irland erreichte das BIP in der Krise zwar schon im Schlussquartal 2009 den Tiefstand, erholte sich aber bis 2013 kaum. Erst 2013 begann der Nach-Krisen-Aufschwung. Die realen Staatsausgaben sanken wiederum bis Quartal zwei 2013. In Spanien wurde der Tiefpunkt der Rezession im ersten Halbjahr 2013 erreicht, seitdem hat sich die Wirtschaftsleistung relativ ansehnlich erholt. Auch dort sanken die realen Staatsausgaben  nicht mehr und stiegen zuletzt leicht an. Und in Portugal das gleiche Bild: Beginn der Wirtschaftlichen Erholung ab 2013, ab dem Zeitpunkt, ab dem die realen Staatsausgaben nicht mehr sanken. Im Kontrast dazu steht Italien. Die Wirtschaftsleistung hat erst Ende 2014 den zumindest vorläufigen Tiefpunkt erreicht und tatsächlich danken auch die Staatsausgaben bis 2014. Ob es 2015 eine Wende gab, ist aktuell noch schwer auszumachen. Den Kontrast zur Austeritätspolitik in den genannten Ländern stellt Deutschland dar. Hierzulande gab es überhaupt keinen Rückgang der Staatsausgaben, sondern seit 2008 einen recht konstanten Anstieg von rund 1,8% pro Jahr (real, also bereits inflationsbereinigt). Das reale BIP brach Ende 2008 / Anfang 2009 kurzzeitig ein, wächst aber bereits seit dem zweiten Quartal 2009 mit recht deutlichen 2,0% p.a.

Experimente wie sie in den Naturwissenschaften oft möglich sind, lassen sich makroökonomisch üblicherweise nicht durchführen. Die Politik seit 2008 kommt einem kontrollierten Experiment allerdings vergleichsweise nahe. Es gab in der Krise bei einigen Staaten eine klare Veränderung der Fiskalpolitik im Vergleich zu den Jahren zuvor und es gab nun 2013/14 erneut eine Veränderung bei einem Teil dieser Staaten. Die äußeren Umstände haben sich in dieser Zeit sicherlich auch geändert, aber mehr oder weniger gleich für alle Staaten der Eurozone und insbesondere die Geldpolitik war für alle Eurostaaten identisch, so dass unterschiedliche BIP-Wachstumsraten zumindest partiell auf die unterschiedliche Fiskalpolitik zurückgeführt werden können. Die Daten der letzten Quartale bestätigen damit letztlich, die hier im Blog und an anderer Stelle durchaus verbreitete Skepsis gegenüber der Austeritätspolitik. Solange die Staatsausgaben gekürzt wurden, sank die Wirtschaftsleistung und damit auch die Steuereinnahmen, was in Kombination zu steigenden Staatsschuldenquoten geführt hat. Zum Aufschwung kam es dann nicht etwa, weil diese Politik letztendlich doch Früchte trug, sondern weil die Ausgabenkürzungen zumindest beendet wurden.

Die Lehre daraus ist selbstverständlich nicht, dass die Staatsausgaben überall und zu jeder Zeit beliebig erhöht werden sollten. Die beiden Lehren aus diesem „natürlichen Experiment“ sind vielmehr, dass die Kürzung von Staatsausgaben in einer wirtschaftlichen Schwächephase die Probleme nicht löst, sondern verschärft und dass die Staatsfinanzen nur in einer guten wirtschaftlichen Situation erfolgreich konsolidiert werden können.

  1. Klaus Müller
    13. November 2015 um 16:28

    Wenn aber die Bonität aufgrund vorheriger staatlicher Ausgabepolitik nicht mehr für weiteres unsolides Wirtschaften ausreicht, dann müssen Staatshaushalte aber nun einmal ausgeglichen sein, was zur Austerität führt
    Da hilft alles Lamentieren nicht.

    Wenn natürlich jemand weiß, wie sich Steuereinnahmen erhöhen lassen ohne zugleich die Kaufkraft der Masse zu schwächen, der darf dafür gerne Vorschläge machen:

    Mein Vorschlag: Schließen der Steuerschlupflöcher und Nutzung daraus resultierender Mehreinnahmen zur Abschwächung der Austerität.

  2. Tim
    12. November 2015 um 09:15

    Es ist einigermaßen albern, Länder wie Portugal oder Spanien als Austeritäts-Musterknaben darzustellen. Gemessen am BIP wurden hier die Staatsausgaben ja nur homöopathisch zurückgefahren, entsprechend mager waren die Ergebnisse in den ersten Krisenjahren. Irland war deutlich konsequenter (und auch erfolgreicher), aber auch hier waren die Staatsausgaben 2014 relativ gesehen noch niedriger als 2013!

    Die wirklichen Großleistungen sind allerdings von Island und den baltischen Staaten erbracht worden. Hier kann man am ehesten von konsequenter Austeritätspolitik sprechen, in diesen Ländern sind Lage und Aussichten entsprechend auch am besten.

    Wer Austerität doofl findet, muß einfach nur nach Westen schauen. Frankreich hat seit 2008 die mit Abstand konsequenteste Anti-Austeritätspolitik der Euro-Zone verfolgt. In *jedem* Jahr wurden die Staatsausgaben erhöht, inzwischen liegen sie bei >57 % des BIPs. Folge: Aussichtslosigkeit.

    Die Stimuluseffekte von höheren Staatsausgaben sind in entwickelten Volkswirtschaften nur noch marginal, weil alle westlichen Staaten ja seit Ewigkeiten ein Keynes-Programm auf Volldampf fahren. Viel entscheidender ist das Vertrauen, das Investoren und Konsumenten in die Wirtschaftspolitik haben. Wenn man sich wie Frankreich verhält, verspielt man es. Wenn man sich wie Island verhält, verschafft man sich Respekt.

    DAS ist entscheidend. Nicht ein paar hundert Millionen Euro, mit denen dann Brücken gebaut werden.

  3. Tyler Durden
    12. November 2015 um 00:35

    […] und dass die Staatsfinanzen nur in einer guten wirtschaftlichen Situation erfolgreich konsolidiert werden können.[…]

    Was man beeindruckend am Biespiel Deutschlands sieht,wo trotz durchgehend positivem Wirtschafswachstum die Staatsausgaben deutlich schneller gestieren sind als die Wirtschaftsleistung – und das obwohl die OECD schon die hohe Steuer- und Abgabenlast kritisiert hat.

    • Klaus Müller
      13. November 2015 um 19:49

      @TD:
      Wenn man wie der Euroraum 2€ Neuverschuldung für 1€ Nominalwachstum benötigt (oder 4$ Neuverschuldung für 1$ Nominalwachstum im Dollarraum), dann ist es kein Wunder, wenn die Staatsschulden bei auf keynesianischer Argumentation basierender Neuverschuldung schneller als das BIP steigen.
      Blöde Mathe aber auch 😉

      @Tim:
      Zu Frankreich: Wichtig ist, wie jene Steuereinnahmen entstanden sind und wie dieses Geld wieder ausgegeben wurde.
      Wenn Steuern&Abgaben die Kaufkraft mindern, dann müssten staatliche Ausgaben effizienter als private/unternehmerische Ausgaben sein, sollten diese einen positiven Effekt auf das BIP haben.
      Dies ist (BER und Elbphilharmonie seinen als abschreckende Beispiele genannt) nicht zwangsläufig der Fall 😉

      Mindern Steuern&Abgaben aber nur ansonsten als Guthaben angehäuftes Geld, erhöhen die resultierenden staatlichen Ausgaben das BIP unabhängig davon, wie effizient diese eingesetzt werden.

      Weil der Besteuerte natürlich einen Gegenwert für seine Belastung durch Steuern/Abgaben sehen möchte, würde es beispielsweise Sinn machen, einen Teil jener derart erlangten Einnahmen in Umlage-basierte Systeme zu stecken (Rentner, Krankenversicherung, …)

      Diesen Ansatz mag aber die Selbstversorger-Lobby (Versicherungen&Co) nicht, da es ihre Gewinne mindern würde…

  1. 12. November 2015 um 09:51
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