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Das ist Ihre Rezession, Frau Merkel

13. November 2008

Der Befund einer deutschen Rezession schon im Sommer lässt erahnen, dass es noch andere Gründe für den Abschwung gibt als die Finanzkrise, die sich erst seit Mitte September so dramatisch verschärft hat. Die Bundesregierung hat dazu maßgeblich beigetragen – und sollte daraus sofort Konsequenzen ziehen.

Über die genaue Definition einer Rezession lässt sich streiten. An der Diagnose ändert das nichts. Deutschland steckt in einer Rezession, und diese Krise droht ihre schlimmsten Konsequenzen erst noch mit sich zu bringen. Skeptiker rechnen bis Ende 2009 mit mindestens einer halben Million zusätzlicher Arbeitsloser.
 
Dass die Wirtschaft schon im Sommer um einen halben Prozent geschrumpft ist, ist gleich mehrfach Grund zur Besorgnis. Die offiziellen Zahlen bestätigen nicht allein, dass der Abschwung nur sehr bedingt mit den Turbulenzen der vergangenen Wochen zu tun hat, wie es Bundesregierung und Europäische Zentralbank gern zu vermitteln versuchen, um von eigenen Fehlern abzulenken. Die Krise begann lange vor der Pleite von Lehman Brothers, als es für Kreditrestriktionen noch kaum Belege gab. Und die Verantwortung tragen auch die deutsche Regierung und die Notenbanker, die den Absturz viel zu lange kleinzureden versucht haben.
 
Die Bundeskanzlerin hat es nicht für nötig gehalten, den deutschen Firmen und Verbrauchern Entlastung zu bieten, als die Öl- und Benzinpreise horrende Niveaus erreichten. Das hat zum mittlerweile beklagten Absturz der Autokonzerne stärker beigetragen als alles andere, ebenso wie zum Ausbleiben eines Konsumaufschwungs, wie er im Aufschwung eigentlich normal gewesen wäre. Die Kanzlerin hat auch viel zu lange erklären lassen, dass doch mit der Unternehmensteuerreform genug Entlastung für die Wirtschaft da sei. Dabei gab es per saldo gar keinen Impuls, weil zugleich die Abschreibungsbedingungen verschärft wurden – was zum Einbruch der Investitionen geführt hat.
 
Als fahrlässig erweist sich jetzt auch der vorauseilende Gehorsam Angela Merkels gegenüber den Währungshütern, die womöglich den größten Beitrag zum Desaster geleistet haben. Es könnte als einer der größten geldpolitischen Fehler in die Geschichte eingehen, dass Europas Notenbanker ihre Leitzinsen seit Sommer 2007 nicht gesenkt und im vergangenen Juli grotesker Weise sogar noch einmal erhöht haben. Das wirkt jetzt negativ auf die Investitionen. Nach Einschätzung des Wirtschaftssachverständigen Peter Bofinger hat Europas Notenbank zur historischen Bankenkrise der vergangenen Wochen sogar stark beigetragen, indem sie trotz aller Krisensignale bis in den Oktober hinein die Refinanzierung der Banken verteuert hat. Es zeugt von heilloser Überforderung, die Notenbanker jetzt noch in Schutz zu nehmen, wie es die Kanzlerin selbst vor ein paar Tagen noch getan hat – statt zudem zu kritisieren, dass die Notenbanker den völlig absurden Höhenflug des Euro bis zum Sommer zuließen und mit ihrer Zinspolitik noch beförderten.
 
Das Drama ist, dass die Krise jetzt erst beginnt – und die Bundesregierun bislang noch nicht realisiert zu haben scheint, was es für Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Staatsfinanzen bedeutet, wenn die Abwärtsspirale einmal in Gang ist. Es wäre dringend an der Zeit, die Fehler einzugestehen und daraus die Konsequenzen zu ziehen: mit dem Auflegen eines wirklich spektakulären Konjunkturprogramms und erhöhter Überzeugungsarbeit bei Europas und vor allem Deutschlands Notenbankern. Aus Merkels Aufschwung wird jetzt Merkels Rezession.

Kommentar für ftd.de