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Die Kolumne – Experiment am lebenden Griechen

4. März 2010

Die Kanzlerin drängt Athen zu etwas, was sie im eigenen Land als kontraproduktiv ablehnt: Mitten in der Rezession radikal zu konsolidieren. Ein waghalsiger Versuch, der auch für Deutschland teuer werden kann.

Bei Ökonomen ist derzeit in Mode, wirtschaftliche Phänomene am lebenden Objekt zu testen statt in abstrakten Modellen. Das ist prima. Und die Griechen haben gerade beste Chancen, zu Kollektivprobanden eines großen wirtschaftspolitischen Experiments zu werden. Immerhin hat in der Weltgeschichte noch keine Regierung versprechen müssen, so schnell und rabiat ein Staatsdefizit abzubauen – um ein Zehntel der Gesamtwirtschaftsleistung in drei Jahren. Und zwar mitten in der Rezession, was bekanntlich alle anderen Regierungen der Welt als wirtschaftlich kontraproduktiv bis zwecklos ablehnen.

Entsprechend offen scheint, wie das Experiment am lebenden Griechen ausgeht. Es ist gut möglich, dass die Probanden als abschreckendes Beispiel dafür enden, wie man es nicht macht. Dann könnte der große deutsche Lehreifer auf die Deutschen zurückschlagen.

Für Griechenland gelten andere Regeln

Für Nichtgriechen gilt seit Ausbruch der Finanzkrise: bloß nicht zu schnell sparen, weil man vor lauter Steuererhöhungen und sonstigem Geldwegnehmen sonst in die Rezession zurückzufallen droht. Deshalb will Angela Merkel erst ab 2011 rabiat werden. Deshalb rufen 60 Ökonomen dazu auf, dass die britische Regierung bloß jetzt nicht kürzt. Und deshalb hat Barack Obama noch nicht einmal in Aussicht zu stellen gewagt, wie das Defizit schwinden könnte.

Nun könnte man ja sagen, dass die Ausgangslage schlimmer war. Nur ist selbst das nicht so klar, da britische wie amerikanische Staatsfinanzen als ähnlich anfällig gelten. Der Anteil der Staatsgehälter am BIP ist bei den Griechen gerade zwei Prozentpunkte höher als im Euro-Zonen-Schnitt. Wenn die Griechen ihr Programm durchziehen, soll das Staatsdefizit 2011 nur noch halb so hoch sein wie das in Großbritannien oder den USA. Halb so hoch!

Zweitens ändert die Ausgangslage nicht unbedingt etwas daran, dass es kontraproduktiv sein kann zu konsolidieren, wenn die Wirtschaft in einer Abwärtsspirale steckt. Immerhin dürfte Griechenlands BIP 2010 um weitere zwei bis drei Prozent schrumpfen. Auch beim griechischen Rentner fehlt Geld zum Ausgeben, wenn er real weniger bekommt. Auch in Griechenland dämpfen höhere Mehrwertsteuern die Nachfrage. Merkel hat eine solche Ende 2005 nicht grundlos auf 2007 verschoben. Erst wurde die Konjunktur angekurbelt.

Denkbar wäre, dass die Nebenwirkungen von Radikalprogrammen anderweitig ausgeglichen werden: über sinkende Risikoprämien oder Nachfrageschübe aus dem befreundeten Ausland. Nur stehen für Griechenland auch hier die Chancen eher schlecht.

Zum einen können die Griechen bekanntlich nicht einfach abwerten oder die Überbewertung des Euro korrigieren, um wettbewerbsfähiger zu werden. Zum anderen haben sie nur eine Exportquote von 23 Prozent, sagt Christoph Weil, Euro-Experte bei der Commerzbank. Das reicht nicht, um vom Aufschwung im Ausland gezogen zu werden. Erst recht nicht, wenn zu den großen Freunden die Deutschen zählen, die jahrelang von der Konjunktur der Griechen, Amis oder Briten profitierten, statt selbst für Nachfrage und dynamische Importe zu sorgen; und die an dem Modell offenbar festhalten wollen.

Selbst der Stimmungseffekt einer Marktberuhigung könnte für die Griechen konjunkturell mau ausfallen. „Hohe Risikoprämien muss ja nur der Staat zahlen, nicht griechische Unternehmen und Haushalte“, so Weil (von wegen marode Wirtschaft). Sprich: Wo es keine hohen Prämien gab, gibt es auch kein Schubpotenzial durch sinkende.

Was es bringt, in der Krise germanischem Maso-Verständnis von Ökonomie zu folgen, können die Griechen ahnen. Vor Wochen stand das erste Stabilisierungspaket. Dann stellte sich heraus, dass die Konjunktur schlechter ist, sodass wieder Milliarden an Steuereinnahmen fehlten und weitere Milliarden zu kürzen waren. Auch für Griechenland gilt, dass jeder Rückgang des BIPs um ein Prozent das Defizit um einen halben Punkt erhöht.

Wozu das führen kann, hat Portugal erfahren, als die Wirtschaft 2001 in den Sog des globalen Abschwungs geriet. Auch damals empfahl die EU-Kommission großspurig brachiale Kürzungen. Auch damals wurde die Mehrwertsteuer um zwei Punkte angehoben, Gehälter wie Stellen gekürzt. Es regnete daraufhin erst das Lob orthodoxer Einrichtungen wie der OECD, die kurz darauf allerdings einräumen mussten, dass Portugals Staatsdefizit „trotz fortgesetzter Konsolidierungsbemühungen“ nicht sank, weil – huch – die Konjunktur immer schlechter lief als zur Belohnung versprochen. Wozu höhere Steuern und sinkende Ausgaben kräftig beitrugen. Im Jahr 2003 lag Portugals Staatsdefizit wieder bei drei Prozent, 2005 sogar bei sechs.

Schlimmer noch: Seit 2001 ist die Wirtschaft in keinem einzigen Jahr mehr mit zwei oder mehr Prozent gewachsen, die Arbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei zehn Prozent. Man kann nicht wirklich sagen, dass sich die Radikalkur ausgezahlt hat.

Das mag noch kein Beweis sein, dass es den Griechen genauso ergeht. Die Gefahr ist aber hoch, viel höher, als es angesichts der Leichtfertigkeit scheint, mit der sie gerade zum Paniksanieren inmitten der Rezession gedrängt werden. Am Ende droht es weder eine Erholung noch sinkende Schulden zu geben. Und Herumkürzen ist ja nicht gleich gut, nur weil spekulierende Investoren oder das Bauchgefühl deutscher Sofa-Sittenwahrer es verlangen.

Es wäre auch für Deutschland besser, Spekulanten früher zu stoppen und den Griechen etwas Zeit für ein ausgeschlafenes mittelfristiges Sanierungskonzept zu lassen, statt ein ganzes Volk wie böse Bengel auszuschimpfen.

Wenn die Griechen den Portugiesen in die Dauerstagnation folgen, wäre dies für die Deutschen das größere Desaster. Immerhin empfehlen Brüsseler Beamte die Rabaukensanierung ja auch Iren, Spaniern und anderen. Warum aus Fehlern lernen? Gut möglich, dass es rund um Deutschland bald ziemlich viele lethargische Probanden gibt, die stoisch dem eigenen Abschwung hinterhersparen. Da haben die weder Lust noch Geld, deutsche Exporte zu kaufen.

E-Mail fricke.thomas@guj.de

 

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