Startseite > Gästeblock > Fabian Fritzsche: Die Zinswende naht – zu früh

Fabian Fritzsche: Die Zinswende naht – zu früh

23. September 2017

Als die EZB unter Führung von Mario Draghi den Leitzins auch bei der Sitzung am 7. September bei 0% beließ, war die Aufregung in Deutschland einmal mehr groß. Das übliche Lamento von der Enteignung der Sparer und dem Anheizen der (deutschen) Immobilienblase setzte ein.  In dieser Kolumne wurden die niedrigen Leitzinsen über Jahre verteidigt und die Argumente der Befürworter steigender Zinsen zurückgewiesen. Da die Inflation nicht wie von einigen der EZB-Kritiker prognostiziert auf 5% und mehr gestiegen ist und es zumindest in der Eurozone insgesamt auch keine Immobilienblase gibt – gemäß Bundesbank besteht selbst in Deutschland lediglich die Gefahr, dass eine Immobilienblase entstehen könnte – muss wohl Stand heute konstatiert werden, dass die Kritiker bislang falsch lagen.

Dennoch ist klar, dass die Leitzinsen nicht auf immer und ewig bei 0% verbleiben sollen. Niedrige Zinsen sind schließlich kein Selbstzweck, sondern sollen dazu beitragen, das Inflationsziel der EZB von „mittelfristig unter, aber nahe 2%“ zu erreichen und zu halten. Von diesem Ziel ist die EZB weiterhin deutlich entfernt, noch liegen die Inflationsraten in der Eurozone klar unterhalb des EZB-Ziels. Abgesehen von den teils starken Schwankungen des Ölpreises ist die Entwicklung der Lohnstückkosten die wichtigste Einflussgröße für die Verbraucherpreisinflation. Und die Lohnstückkosten ihrerseits hängen stark von der wirtschaftlichen Entwicklung im Allgemeinen und der Arbeitsmarktsituation im Speziellen ab. Und dort hat sich die Situation in den letzten zwei bis drei Jahren sukzessive verändert.

Nun liegt die Arbeitslosenquote in der Eurozone mit 9,1% zwar weit weg von jedem wünschenswertem Niveau, allerdings lag die niedrigste jemals seit Bestehen der Eurozone erreichte Arbeitslosenquote mit 7,3% nur unwesentlich niedriger und der Vor-Krisen-Durchschnitt von 8,8% wird voraussichtlich in den kommenden Monaten erreicht. Dies ist zudem auch der Wert, den etwa die OECD als sog. NAIRU sieht, d.h. die Arbeitslosenquote, ab der die Inflationsrate steigt, weil bei weniger Arbeitslosigkeit die Löhne wieder kräftiger steigen. Dieses Konzept sowie die Ermittlung dieser Zahl sind nicht unumstritten, in der EZB dürfte es aber eine ganze Reihe von Anhängern geben. Insbesondere alle die Ratsmitglieder, die die Geldpolitik ohnehin für zu expansiv erachten, finden mit der NAIRU Unterstützung für ihre Position.

Bei der letzten Sitzung ließ die EZB zwar den Wortlaut der Erklärung unverändert im Vergleich zur Juli-Sitzung, doch die Erwartung für das Wirtschaftswachstum wurde für das laufende Jahr auf 2,2% erhöht. Dass die Inflationserwartungen für 2018 und 2019 gesenkt wurden, muss nicht irritieren. Dies wurde mit Hinweis auf die „Volatilität“ des Euro – also letztlich die jüngste Aufwertung – vorgenommen, die sich auch sehr schnell ändern kann und zugleich verwies Draghi auf den zuletzt etwas höheren zugrundeliegenden Inflationsdruck. Obwohl Draghi selbst eher Befürworter einer anhaltend expansiven Geldpolitik ist, bereitet er mit derartigen Formulierungen die geldpolitische Wende vor. Während sich Draghi und andere Befürworter dem medialen Druck noch entziehen können, wächst der Einfluss der geldpolitischen Falken innerhalb der EZB. Zudem endet Draghis Amtszeit in recht genau zwei Jahren und bereits jetzt wird Jens Weidmann als klarer Befürworter einer restriktiveren Geldpolitik als Nachfolger positioniert. Auch die Vermeidung eines abrupten Wechsels der Geldpolitik mit dem Wechsel an der EZB-Spitze dürfte ein Argument sein, bereits in den kommenden Monaten vom geldpolitische Gaspedal zu gehen und die Wende einzuleiten.

Noch ist es zwar nicht so weit, es spricht aber viel dafür, dass die geldpolitische Trendwende kurz bevor steht. Im Ergebnis wird dann allerdings die Arbeitslosenquote in der Eurozone auf einem hohen Niveau verfestigt und das Wirtschaftswachstum unnötig gebremst, weil die Inflation sonst bald steigen könnte. Was schon für Deutschland fragwürdig ist, bedeutet für Volkswirtschaften wie Spanien, Italien oder Portugal eine Zementierung der Arbeitslosigkeit auf Niveaus, die vor 2008 historisch gewesen wären. Das verlorene Jahrzehnt Europas würde sich damit fortsetzen.