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Thomas Fricke: Präsidentschaftswahl – Frankreich droht der Populisten-Schock – und Macron kann von Deutschland lernen

8. April 2022

In unserem Nachbarland will fast jeder Zweite an diesem Wochenende Populisten und Radikale wählen – ein Alarmsignal, auf dessen Gründe man auch hierzulande ganz genau schauen sollte.

Vorbild Deutschland?

Kurioserweise könnten gerade die Deutschen dazu den Gegenbeleg liefern – wo die alten Sozis wieder regieren und das Höchste an Populismus das Freedom-Gedöns der FDP ist, ausgewiesene Populisten bei der Wahl im September dagegen verloren haben. Immerhin kann das nur bedingt daran liegen, dass nicht auch Deutschland mitunter an Strukturbrüchen und Kontrollverlust leidet. Dort, wo es diese Phänomene gibt, bekommt die AfD ja tatsächlich auch hierzulande den tendenziell größten Zulauf.

Der wichtigere Grund, warum Deutschland bisher vergleichsweise resistent gegen die Populisten ist, liegt womöglich in der konkreten Politik, die in den vergangenen Jahren de facto eine andere war. Die Regierenden arbeiten hierzulande schon länger daran, jene Reformen und sozialen Schieflagen eher wieder zurückzudrehen, auf die Macron nach alt-orthodoxen Ökonomenart immer noch setzt.

Bei Macron gab es weniger soziale Unterstützung – bei uns mehr. Macron ließ die Vermögensteuer abschaffen, bei uns stand nur die kleine FDP einer Wiedereinführung entgegen. Den Macron-Untertanen wurde nahegelegt, länger zu arbeiten – bei uns gibt es jetzt Rente für Langzeitschaffende schon früher. Und während bei Macron die prekäre Beschäftigung kaum abnimmt, hat bei uns der zuständige Minister schon etliches beschließen lassen, um den Trend umzukehren – und ungeschützte Jobs stärker zu regulieren. Die Löhne steigen. Die Realeinkommen auch.

Für all das mag es in dieser oder jener Ökonomielehre Gründe geben – oder nicht: Es spricht vieles dafür, dass der eine Kurs in Frankreich zu einem neuen Schub für die Populisten beigetragen hat, statt das Gegenteil zu erreichen; und der umgekehrte wirtschaftspolitische Kurs die Deutschen genau davor bisher bewahrt hat. Was auch das Getöne unserer Sofa-Ökonomen in neues Licht rückt, wonach die Große Koalition in den vergangenen Jahren angeblich sinnlos Geld für »konsumptive« Zwecke ausgegeben habe, statt zu investieren.

Zufall oder nicht: Bei uns wird das Potenzial für Populisten eher auf 20 als auf 50 Prozent geschätzt, wie es in Frankreich diesen Sonntag sehr real der Fall sein wird. Manche vermeintlich kosumptive Ausgabe, die den Leuten im Land zugutekommt, ist halt auch eine Investition in die demokratische Zukunft und Stabilität. Wäre auch für uns nicht schlecht, wenn es in Frankreich nicht in Kürze Anschauung dafür gibt, wie teuer so etwas werden kann.