An Horrorszenarien hat es in den vergangenen Wochen keinen Mangel gegeben. Die Inflation sei jetzt da, um zu bleiben. Dass sie eher noch zunehmen werde, schien ausgemacht. Galoppieren. Und überhaupt. Umso überraschender wirkt, was die Statistiker für den gerade abgelaufenen Monat Juni diese Woche gemeldet haben: dass die Teuerungsrate in Deutschland nicht weiter gestiegen, sondern sogar gefallen ist.
Dabei könnte dahinter in der Tat schon ein klitzekleiner Hoffnungsschimmer stecken und – viel wichtiger noch – in der Erklärung für den leichten Rückgang ein Indiz dafür, was wirklich gegen die Inflation hilft. Klar ist besagte Rate nach ersten Schätzungen gerade einmal von 7,9 auf 7,6 Prozent gefallen. Immer noch enorm. Und Pessimisten unken schon, dass bald die höheren Gaspreise erst bei den Verbrauchern durchschlagen werden – was die gemessene Inflation dann wieder hochtreiben dürfte. Trotzdem steckt in den jüngsten Daten auch etwas, das Hoffnung macht.
An den Notenbankern kann es kaum liegen
Da die Inflation bei uns üblicherweise als Vergleich der durchschnittlichen Preise heute mit denen vor genau einem Jahr gemessen und vermeldet wird, ist erst einmal nicht verwunderlich, dass sie vorerst noch bei mehr als sieben Prozent liegt. Den großen Schub gab es zu Jahresanfang und mit dem Krieg – seither fällt Monat für Monat der Vergleich zum Vorjahr logischerweise hoch aus. Ganz gleich, ob sich die Preisanstiege seither von Monat zu Monat fortsetzen – was wiederum für die Frage wichtig ist, ob und wie sehr sich das Phänomen verselbständigt.
Genau in diesem Sinne bergen die Juni-Daten etwas Gutes. Gegenüber Mai gab es im Grunde keinen Anstieg mehr. Rechnet man die in dieser Zeit üblichen Preissprünge bei Saisonwaren heraus – also die, die sich später im Jahr ebenso üblich wieder umkehren – lagen die Verbraucherpreise im Schnitt sogar niedriger als im Vormonat. Sprich: Da ist nicht nur die Inflation als Vorjahresrate gefallen, sondern auch das Preisniveau. Auch das macht die vorangegangenen Preisanstiege bei Weitem nicht wett, klar. Im Supermarkt einzukaufen, ist irre teurer geworden. Und es ist keine Garantie dafür, dass das so weitergeht. Trotzdem ist es nicht das, was Skeptiker schon prophezeit hatten: dass der Kaufkraftverlust Monat für Monat schlimmer wird. Und es wirft die Frage auf, was dahintersteckt.
An den viel bemühten Notenbankern kann es kaum liegen. Da hätte in Deutschland die Inflation ja eher noch anziehen müssen – wo doch die zuständige Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zinsen immer noch nicht angehoben hat, wie es Kritiker wehklagen. Kurios, aber wahr: In Großbritannien, wo die Notenbank seit Monaten schon die Kreditkonditionen verschärft, stieg die Inflation im Mai sogar auf 9,1 Prozent – trotz der ach so gelobten Zinserhöhungen besagter Bank of England. Klar ist das noch kein Beleg. Was Notenbanken machen, wirkt nach aller Erfahrung erst mit Verzögerung. Dass die Inflation in Britannien steigt (und bei uns im Juni fiel), bestätigt im aktuellen Fall nur tendenziell womöglich doch ein wenig die Zweifel an der Wirkungsmacht der Zinsen.
Hinter der vorläufigen deutschen Mini-Entspannung dürften ganz andere und bemerkenswerte Gründe stecken. Die amtlichen Statistiker halten sich in der ersten Schätzung noch zurück, deuten es aber an: Wenn die Preise in Deutschland saisonbereinigt gefallen sind, könnte das auch mit zwei Zeitphänomenen dieses deutschen Frühsommers zu tun haben – dem bösen Tankrabatt und dem Chaos-9-Euro-Ticket.
Ein Bonus ändert nichts daran, dass die Lebenshaltung teuer geworden ist
Egal, wie viel die Ölkonzerne jetzt weitergegeben haben oder nicht – die Preise liegen mittlerweile niedriger als zuvor. Bei voller Weitergabe würde dies die Inflationsrate bis August jeden Monat sogar um einen halben Prozentpunkt niedriger ausfallen lassen, als es sonst der Fall gewesen wäre, so die Experten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Gemessen am normalen Preisniveau fürs Fahren im Nahverkehr kommt das Neun-Euro-Ticket einer regelrechten Kaufkraftgebung gleich. Was es ja auch sein sollte. Das dürfte die Gesamtteuerung wiederum für drei Monate um 0,4 Punkte senken.
Wenn das stimmt, haben beide Maßnahmen das erreicht, was sie erreichen sollten – und dadurch besser zur Verlangsamung der Inflation beigetragen als so manch anderes Mittel. Das wiederum kann wichtig sein, weil Meldungen über nachlassende (gemessene) Inflation auch die Erwartung weiterer Inflationsschübe mäßigen helfen kann. Von Juli an wird dazu noch die Abschaffung der EEG-Umlage dämpfend wirken – rein rechnerisch um 0,3 Punkte im zweiten Halbjahr, so die Kieler Forscher.
Noch einmal: Das ist alles andere als das Ende aller Inflationssorgen. Und der Rückgang gleicht die bisherigen Verluste auch nicht aus. Es ist nur ein Signal, wie es gehen kann – und dass es lohnt, die Preisschübe gezielt anzugehen und umzukehren, und zwar eben nicht über weitflächige Zinserhöhungen, die auch jene Investitionen bremsen, die gerade dringend gebraucht werden. Dann wäre auch nicht so schlau, was der Kanzler gerade für das anstehende Treffen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften am Montag vorgeschlagen hat: einen Einmalbonus zum Ausgleich für Kaufkraftverluste zahlen zu lassen . Das würde – anders als bei Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket – die Preise ja nicht senken helfen, und den Kaufkraftverlust definitionsgemäß auch nicht dauerhaft ausgleichen. Der Bonus ändert ja nichts daran, dass die Lebenshaltung teuer geworden ist.
Der kleine Hoffnungswert von Juni lässt vermuten, dass es in Notlagen schon lohnt, genau da gezielt anzusetzen, wo die Preise steigen – ob über besagte Rabatte, subventionierte Tickets oder sonst wie begrenzte Preissteigerungen, etwa über Obergrenzen für spekulativ hochgetriebene Gaspreise. Und auch ansonsten alles zu tun, dass die Ursachen steigender Preise behoben werden – etwa Engpässe gelöst werden, die durch den Mangel an Fachkräften gerade entstehen, ob an Flughäfen und über ausländische Hilfen oder anderes. Oder Firmen verbraucherfreundlich Druck zu machen, die ganz offenbar die Krise nutzen, um gerade Preise und Gewinne auszuweiten. So wie Unternehmen auch öffentlichen Druck bekommen, wenn sie, sagen wir, nicht nachhaltig wirtschaften.
Dann kann auch helfen, wenn sich am Montag die Regierung mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zur konzertierten Aktion trifft. Je mehr die Regierung dann bieten kann, die Inflation wie im Juni direkt zu bremsen, desto eher ließe sich auch von Arbeitgebern und Gewerkschaften freundlich erbitten, sich jetzt nicht in ein gegenseitiges Hochschaukeln von Preisen, Gewinnen und Löhnen zu steigern. Ein Beitrag unter anderen.