Inflation ist, wenn Brot gestern 1,69 Euro gekostet hat – und heute 2,09 Euro kostet. Oder wenn der Liter Benzin von, sagen wir, 1,30 auf 2,30 Euro steigt. Oder wenn die Rechnung an der Kasse plötzlich höher als sonst ist. Oder wenn die Linie auf der Kontoauszugsgrafik ungewöhnlich früh im Monat schon rot wird. Gelebte Teuerung.
Inflation ist aber auch, wenn amtliche Statistiker verkündigen, wann und um wie viel Prozent die Preise für die Verbraucher im Land gestiegen sind. Und das dann vermeldet wird. Was nirgends mit einem so kuriosen Mix aus Eifer und Hang zu statistischem Autismus praktiziert wird wie bei uns. Und nie so irre wirkt wie zu Jahresanfang, wenn wie diese Woche die neuen Daten zu besagter Inflation fürs vergangene Jahr gemeldet werden. Und am Ende nicht richtig klar wird, was eigentlich die Nachricht ist.
Die doppelte Teuerung
Wer meint, es gäbe einfach eine Inflation, und die würde nacheinander für die Monate des Jahres gemeldet – was irgendwie logisch klänge – folgt einer unterkomplexen Erwartungshaltung. Es gibt bei uns zur Inflation immer Vorabmeldungen, in denen die Statistiker ihre vorläufigen Schätzungen dazu abgeben, wie sich die Preise im repräsentativen Schnitt des ablaufenden Monats so entwickelt haben. Und zwei Wochen darauf die Zweitschätzung, die in der Regel nicht anders ausfällt, aber für Nerds ausbreitet, wie sich die Preise für einzelne Waren und Gruppen von Waren entwickelt haben (dazu eine Inflation gemessen anhand des Warenkorbs nach nationalem und eine nach international harmonisierten Standards).
Anders als bei den meisten anderen Statistiken, die sogar oft noch revidiert werden, wird die Inflation in Deutschland beim zweiten Mal immer genauso eifrig gemeldet wie beim ersten Mal. Als seien die Preise zweimal gestiegen. Und nicht nur einmal.
Zum Jahreswechsel gibt es dann die ganz große Inflation der Inflationsraten – wenn neben den doppelten Dezemberwerten noch die doppelten Werte für das Gesamtjahr berichtet werden. Die eigentlich ja nichts anderes sind als der Durchschnitt der doppelt gemeldeten zwölf Monatsinflationsraten – aber in der Regel auch so gemeldet werden, als wäre das nicht ein Vergangenheitswert, sondern schon wieder eine neue Inflation.
All das fällt in normalen Zeiten nicht so auf, wenn die Inflation nicht sonderlich hoch ist. In einer Ausnahmesituation wie der, in der wir seit 2021 leben, wirkt die Vielfachmeldung der Inflation aber eher heikel. Zumindest wenn man der Sorge vieler Ökonomen nachhängt, wonach die Inflation zum Dauerproblem wird, wenn die Menschen glauben, dass die Teuerung nicht mehr aufhört – und Haushalte wie Firmen dann ihre eigenen Gehälter, Preise und Gewinne entsprechend stark zu erhöhen versuchen. Stichwort: Preisspirale.
Noch bizarrer wird all das, wenn die gängige Inflationsrate immer gleich mehrfach gemeldet wird – diese Rate aber gar nicht ausdrückt, was von Monat zu Monat gerade passiert. So wie in der jüngsten Melderunde diese Woche. Tenor: Die Inflation habe zwar etwas nachgelassen, die Preise stiegen aber nach wie vor stark – was mit Werten von wahlweise 8,6 Prozent (im Dezember gegenüber Vorjahr) und 7,9 Prozent (im Gesamtjahr 2022 gegenüber 2021) gleich doppelt belegt schien. Und in zehn Tagen gleich noch mal gemeldet werden wird.
Von November auf Dezember sind die Preise gesunken
Wenn die Inflation im Vergleich zum Vorjahr derzeit nach wie vor hoch ausfällt, liegt das stark daran, dass die Preise nach Kriegsbeginn 2022 mehrfach drastisch gestiegen sind – und in jedem neuen Monat schon deshalb jetzt deutlich höher liegen als vor einem Jahr (also vor Kriegsbeginn). Ob sich die Inflation von Monat zu Monat verselbstständigt, ist aus diesen Vergleichen mit dem Stand vor einem Jahr nur entsprechend schlecht zu erkennen.
Was das heißt, lassen die jüngsten Zahlen erahnen: Von November auf Dezember sind die Preise im Schnitt gar nicht mehr gestiegen. Die Statistiker haben im Gegenteil einen selten starken Rückgang ermittelt: um gut ein Prozent. Was kein Experte so erwartet hatte – das ist die eigentliche kleine Sensation.
Dieser Rückgang dürfte stark mit dem Aussetzen der Gasabschlagszahlungen im Dezember zu tun haben. Das sagt noch nicht, dass es so weitergeht – wobei ab Januar rückwirkend ja Strom- und Gaspreisbremsen einsetzen. Es zeigt aber, wie gagaesk es im deutschen Inflationsmeldewesen zugehen kann: Wenn die (derzeit eher irreführenden) Vorjahresraten wie besinnungslos zwei- oder dreimal vermeldet werden, die (derzeit entscheidenden) Vormonatsraten zur Inflation aber im Grunde untergehen. Zumal, wenn sie wie im Dezember so eindrucksvoll sinken.
Ab März könnte sich all das verkehren. Ab dann werden beim handelsüblichen Vorjahresvergleich die aktuellen Preise mit den bereits stark gestiegenen verglichen, die es nach dem Kriegsschock von Ende Februar gab. Dann wird durch den Wegfall dieses Basiseffekts die Vorjahresinflation mit einem Mal drastisch sinken – ohne dass die Preise von Monat zu Monat gefallen sein müssen. Im Gegenteil: Die Inflation würde selbst dann von kürzlich zehn auf nur noch fünf Prozent fallen, wenn die Preise von Monat zu Monat wieder einigermaßen stark um, sagen wir, je 0,3 Prozent steigen.
Wer ernsthaft wissen will, ob sich der Inflationstrend im neuen Jahr abschwächt (oder wieder anzieht), sollte dreimal hinschauen, ob nicht die eine oder andere gemeldete Zahl in Wahrheit nur das bestätigt, was früher schon mal geschätzt und gemeldet und berichtet wurde – und dafür genauer hinsehen, wie sich die Preise von Monat zu Monat entwickeln. Oder einfach die eigenen Supermarkt-, Tank- oder Gaskostenrechnungen auswerten.