Joe Biden schiebt etliche Milliarden an, um Firmen zu subventionieren, die in neue Klimatechnologien investieren. Robert Habeck hat 2023 gleich zum Jahr der Industriepolitik ausgerufen. Von Staats wegen. Na, so was. Seitdem herrscht Aufregung – vor allem bei denen, die über Jahre gepredigt haben, dass die Politik sich bei so etwas heraushalten sollte. Weil Forscher und Firmen am besten wissen, was sich zu erneuern lohnt – und wo der Trend hingehen soll. Und Regierungsbeamte gar nicht besser wissen können, was gut sei.
So galt es. Und so predigten es auch jene Vertreter im Land noch, die etwa vor gut einem Jahr viel mehr marktwirtschaftliche Klimapolitik und Technologieoffenheit versprachen, weil sich nur im freien Wettbewerb herausstelle, welche Technologie die bessere sei. Und alles andere im Grunde Ökokommunismus wäre.
Dabei gibt es international längst eine Menge renommierte und des Kommunismus nicht verdächtige Ökonomen und Ökonominnen, die genau daran zu zweifeln begonnen haben – und darlegen, warum das vermeintlich freie Forschen auch in die völlig falsche Richtung gehen kann. Gemessen daran, was für Land, Leute und selbst die Wirtschaft auf Dauer gut ist. Dann ist die Frage nicht mehr, ob Regierungen im Zweifel mal die Richtung vorgeben sollten, sondern wie.
Nach langer Zeit vorherrschender Lehre galt, dass Regierungen zwar beim Forschen helfen sollten – weil so eine Erfindung etwa eines Arzneimittels am Ende für die Gesellschaft viel mehr Wert sein kann, als die Grundlagenforschung dazu verspricht. Nur sollte das Geld dann bestenfalls neutral zur Verfügung gestellt werden – also für alle Forschungen, und nicht nur für bestimmte.
Dass das Dogma zu wackeln begonnen hat, dazu hat in den vergangenen Jahren stark die amerikanisch-italienische Ökonomin Mariana Mazzucato beigetragen, die bei Hütern des alten Grals mittlerweile zur Reizfigur geworden ist. Weil sie dargelegt hat, wie oft in der Realität Regierungen etwa über ihren Verteidigungsetat durchaus erfolgreich bestimmte Technologien haben fördern lassen. Und wie viele Innovationen bis hin zum iPhone es womöglich gar nicht gegeben hätte, wenn nicht staatliche Institutionen wichtige Bauteile vorher entwickelt hätten.
Autokonzerne durften erforschen, welche Antriebsart sich durchsetzen würde – ergebnislos
Als eher naiv hat sich umgekehrt auch die Vorstellung vom perfekten Wettbewerb bei großen Innovationen herausgestellt. Etwa in Deutschland, wo über Jahre galt, dass die Autokonzerne sozusagen frei erforschen, welche Antriebsart sich als Alternative zum alten Verbrenner durchsetzen würde. Ergebnis: Fehlanzeige. Die Technologieoffenheit endete damit, dass nichts sich richtig durchsetzte. Dazu kam es erst, als Elektromobile massiv gefördert wurden – in Deutschland ähnlich wie zuvor in Norwegen oder in den Niederlanden. Mit solchen großen Entscheidungen für die Infrastruktur sind einzelne Konzerne offenbar überfordert.
Wie systematisch die freie Forschung danebenliegen kann, hat Daron Acemoglu gerade in seiner Lesung vor der ehrwürdigen Vereinigung der US-Ökonomen dargelegt*. Zwar sei der Markt sicher am besten geeignet, um mit neuen Methoden und Innovationen zu experimentieren, so der renommierte MIT-Professor und Anwärter auf einen der nächsten Nobelpreise im Fach Wirtschaft. Es gebe nur gleich mehrere systemisch relevante Gründe, warum das Forschen in die falsche Richtung gehen und für die Gesellschaft schädlich enden kann.
Dazu kommt es, nicht ganz überraschend, wenn etwa die negativen Langfristfolgen von Forschungen aufs Klima gar nicht ins Kalkül, sagen wir, der Ölindustrie einfließen. Dann erscheinen Investitionen in neue Förderanlagen lohnenswert, obwohl dieselbe Forschung den Klimawandel eher beschleunigt und für die Gesellschaft enorme Kosten mit sich zu bringen droht. Was sich am Markt ergibt, ist für alle (anderen) dann eher ein Desaster, so Acemoglu.
Ähnliches gilt, wenn es um unsere Gesundheit geht. Weil sich mit aufwendigen Methoden zur Behandlung schwerer Krankheiten sehr viel höhere Preise und damit Gewinne erzielen lassen als mit jeder Vorsorge, gebe es einen starken Anreiz, überproportional viel Geld in die Forschung solcher Schadensbehebung zu investieren. Für die Gesellschaft wäre es sehr viel günstiger (und gesünder), viel mehr in die Entwicklung jener Prävention zu stecken, mit der nur am Markt zu wenig Geld zu machen ist.
Wo geforscht wird, hängt nach Acemoglus Auswertungen auch stark davon ab, ob es bereits einen Markt gibt – oder dieser absehbar ist. Was in vielen Fällen auch von politischen Entscheidungen abhängt. Etwa bei Impfstoffen, die eindeutig schneller entwickelt werden, wenn Regierungen bereits für Absatz sorgen. Womit wir bei der Pandemie und Biontech sind. Zu Impfstoffen forschten die Gründer schon lange vor der Pandemie – dank privater Gelder und öffentlicher Grundlagenförderung. Dass sie den Coronaimpfstoff 2020 so enorm schnell produzierten, hatte nur mindestens ebenso sehr damit zu tun, dass die Regierung etliche Millionen dazu gab – und das Versprechen, das Zeug auch millionenfach abzunehmen. Da war der Absatz garantiert.
Gegen die Mär von der unbefleckten Forschung spricht nach Acemoglus Diagnose auch, dass Forschen menschlich sei – und Forscher gelegentlich von Moden und Trends beeindruckt. Wenn es um künstliche Intelligenz gehe, seien Entwickler seit jeher davon getrieben, wann die Algorithmen so weit seien, dass sie so viel können wie der Mensch. Dabei sei die Frage, ob das überhaupt wünschenswert sei. Bei der Automatisierung müsse es ja nicht zwingend nur darum gehen, Arbeit durch Technologien zu ersetzen; bei anderer Steuerung könne sie Beschäftigten auch eher dabei helfen, produktiver zu arbeiten – also mit weniger Aufwand mehr zu leisten. Lasse man die Forschung einfach laufen, gebe es aus kurzfristiger Renditesicht eher einen Hang, Arbeit zu ersetzen. Was wiederum gesellschaftlich gar nicht erste Wahl sein muss – und beides sich auf die Dauer für die Wirtschaft rechnet, so Acemoglu.
Wenn Technologieoffenheit unseren Wohlstand frisst
Jede größere Technologie habe am Ende auch Konsequenzen für den Zusammenhalt von Gesellschaften. Und wenn bei falscher Orientierung politische Verwerfungen drohten, sei auch da legitim zu fragen, in welche Richtung die Forschung gehen solle.
Schließlich gebe es ein Problem, wenn Topforschung wie heute auf ein paar Länder konzentriert sei, so Acemoglu – wenn sich solche Forschung an den Bedürfnissen orientiert, die es in diesen Ländern gibt, statt an denen in stärker agrarisch geprägten Entwicklungsländern im Rest der Welt, wo es öfter Dürren und andere Katastrophen gibt. Neuere Schätzungen ergäben, dass weltweit gut die Hälfte mehr landwirtschaftlich erzeugt werden könnte, wenn die Forschung stärker auf die Bedürfnisse von Ländern im Globalen Süden ausgerichtet würde.
All das sind mehr als nur ein paar Schönheitsfehler ansonsten einzig glorreicher spontaner Technologietrends. Wie Acemoglu erstmals schätzte, liegen die am Markt ohne jeden Einfluss erzielten Ergebnisse in den genannten Problemfällen regelmäßig deutlich schlechter als das, was gesellschaftlich wünschenswert ist. Da frisst Technologieoffenheit unseren Wohlstand.
Und dann liegt der Verdacht nahe, dass es gut sein kann, wenn Regierungen hier und da vorgeben, wohin die Forschung gehen soll. Erst recht, wenn über besser erforschte Prävention eine Menge Krankheiten erst gar nicht entstehen würden. Oder dank gezielter Forschung schneller Leichtbatterien für Elektromobile, Transportwege für Wasserstoff oder CO₂-armer Treibstoff für Flugzeuge entwickelt werden. Es geht ja um etwas.
Die wirklich große Frage ist dann, wie sich künftig besser erkennen lässt, wann Technologien sich in die falsche Richtung entwickeln. Und wer darüber wie entscheidet. Und wie sich vermeiden lässt, dass die Entscheidungen über Trends im Lobbykampf gefällt werden. Für Acemoglu bleibt der Markt da wichtig. Nur dass Regierungen stärker als bisher Richtungen vorgeben sollten. Da hilft dann im Zweifel Demokratie und Sachverstand. Schwierig, klar. Nur allemal besser, als naiv auf die Wunder unkoordinierter Forschung zu setzen; oder Trends laufen zu lassen, die das Klima nicht schnell genug retten helfen, gefährliche gesellschaftliche Brüche verstärken und so Populisten zu Macht verhelfen – oder Arbeit und Menschen überflüssig machen. Ohne dass wir wissen, ob es dazu nicht bei gezielterem Nachdenken eine Alternative gäbe.
Eine Zeitenwende. Diesmal wirklich.
*»Distorted Innovation: Does the Market Get the Direction of Technology Right?«, Daron Acemoglu, NBER Working Paper 30922, Februar 2023.