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Wirtschaftsdienst exklusiv – Ungleichheit in der sozialen Marktwirtschaft

8. August 2016

In Deutschland sind die Einkommen vor Steuern und Transfers ungleichmäßiger verteilt als im OECD-Durchschnitt. Erst durch die staatliche Umverteilung stellt sich die Verteilungssituation besser dar. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW Berlin, schreibt in der Jubiläumsausgabe des Wirtschaftsdienst, dass dies ein Armutszeugnis für die soziale Marktwirtschaft sei, die ihre Bürger doch in die Lage versetzen sollte, sich mit der eigenen Hände Arbeit zu versorgen.

Fratzscher setzt sich anhand von sieben Thesen mit der Diskussion zum Thema Ungleichheit auseinander:

  1. Seine Analyse hat ergeben, dass die Ungleichheit in Deutschland zugenommen hat. Dies wird von einigen anderen Wirtschaftswissenschaftlern bezweifelt. Diese betrachten allerdings sehr selektive Gruppen: die sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten und die Arbeitslosen für den Zeitraum 2005 bis 2013. Eine langfristige Untersuchung aller Markteinkommen zeigt dagegen, dass die Ungleichheit nicht gesunken ist.
  2. Es sollte seiner Auffassung nach keine Rolle spielen, ob es „gute“ Gründe für eine zunehmende Ungleichheit gibt. Als „guter“ Grund sehen viele an, dass niedrige Einkommen mehr Beschäftigung möglich gemacht hätten. Doch benachteiligt wurden bei der Einkommensentwicklung vor allem Frauen und Ältere. Dies sei nicht zu akzeptieren, findet Fratzscher: „Es muss der Anspruch einer dynamischen, sozialen Marktwirtschaft sein, den Anteil der Jobs in prekären Verhältnissen – das gilt auch für Tätigkeiten von Männern – im Vergleich zu dem, was in Deutschland Normalität geworden ist, zu senken.“ Wichtig ist also, dass es „gute“ Arbeit gibt.
  3. Eine realistische Betrachtung der Einkommensverteilung ist nur dann möglich, wenn auch Kapitaleinkommen einbezogen werden – und gerade hier klafft die Entwicklung weit auseinander: Seit 2000 sind Arbeitseinkommen nur um 5% gestiegen, Kapitaleinkommen jedoch um 30%.
  4. Am ausgeprägtesten sichtbar werden die großen Einkommensunterschiede, wenn man die Markteinkommen betrachtet, während die verfügbaren Einkommen – also das, was nach Abzug von Steuern und Zugang an Transfereinkommen herauskommt – weitaus weniger ungleich verteilt sind. Der Staat gleicht also in erheblichem Maße aus.
  5. Die monetäre Ungleichheit wurzelt in einer ungleichen Verteilung der Chancen. Auch die soziale Mobilität ist in Deutschland im EU-Vergleich gering.
  6. Und dies gilt vor allem für die Bildung. Mehr Chancengleichheit wäre vor allem möglich, wenn die frühkindliche Bildung gestärkt würde. Aber auf diesem Gebiet steht Deutschland vergleichsweise schlecht da.
  7. Zuletzt haben Einkommensunterschiede auch Wirkungen auf die Vermögensverteilung. Deutschland hat die höchste Vermögensungleichheit im Euroraum. Natürlich gibt es Unterschiede in den Rentenversicherungssystemen – die Rentenansprüche können als Vermögen betrachtet werden. Aber dies berücksichtigt nicht, wie niedrig die Renten für Menschen mit geringen Einkommen sind.

Was hilft zur Besserung dieser Lage? Fratzscher meint: „Um die Ungleichheit in Deutschland zu begrenzen und eine funktionierende soziale Marktwirtschaft zu sichern, sind grundlegende Reformen in fünf Bereichen notwendig: in der Bildungspolitik, der Familien- und Genderpolitik, im Steuersystem, auf dem Arbeitsmarkt und bei der privaten Vorsorge.“ Vor allem eine bessere Chancengleichheit muss erreicht werde. Dafür hat es schon viele Vorschläge gegeben. Fratzscher vermisst aber den politischen Willen, diese durchzusetzen.

zum Gespräch

  1. Hans
    9. August 2016 um 09:48

    „Genderpolitik“ – dass die Arbeitsplätze schafft glaube ich sofort. Für Gleichstellungsbeauftrage.

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