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Thomas Fricke: USA vor der Wahl – Stürzt die Welt zurück in die Dreißiger?

5. November 2016

Noch scheint unsere Welt eine andere als zur Zeit früherer Crashs und Kriege. Es gibt aber immer mehr Parallelen. Ein US-Präsident Trump könnte eine neue, globale Katastrophe auslösen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine historische Katastrophe durch etwas relativ Banales ausgelöst wird. Es wäre aber definitiv neu in der Menschheitsgeschichte, dass ein Desaster durch nicht ordnungsgemäß verschickte E-Mails in Gang kommt. Was dann auch das Einzige ist, was daran ein bisschen witzig ist.

Wenn die Amerikaner am Dienstag ihren neuen Präsidenten wählen, könnte Donald Trump gewinnen – ein Präsident mit wirren Einmauerungsideen und hohem Aggressionspotenzial. In normalen Zeiten wäre das verkraftbar, zumal Trump dann nie so weit gekommen wäre. Anno 2016 ist das anders.

Da droht der Wahlausgang die Welt über Nacht ein Stück an ein ziemlich düsteres Szenario heranzubringen: die Wiederholung eines Menschheitsdramas, ähnlich dem der Dreißigerjahre – ein Drama, dessen Ursprünge wie heute in den Auswüchsen der Jahrzehnte zuvor lagen. Natürlich nicht in E-Mails.

Noch scheinen die Unterschiede zu den düstersten Zeiten groß. Nur glitt die Welt auch damals erst allmählich und dann plötzlich rapide ab. Schon jetzt zeigen sich fast unbemerkt stetig mehr Parallelen.

Die Welt war schon mal so globalisiert wie heute

Heute wie damals gingen den düsteren Zeiten ein paar Jahrzehnte scheinbar unbeschwerter Globalisierung voran. Nach Berechnungen von Ökonomen waren Anfang des 20. Jahrhunderts die Grenzen so offen und die Märkte weltweit in etwa so stark integriert wie dann erst wieder nach drei Jahrzehnten erneuter Globalisierung im Jahr 2000. Was viele Vorteile brachte. Die Leute brauchten zum Reisen nicht einmal Pässe.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes beschrieb später einmal, wie bequem ein Londoner damals beim Teetrinken per Telefon rund um den Globus Sachen bestellen konnte, die vor seine Haustür gebracht wurden (wahrscheinlich von DHL). Und dass er von Kriegen bestenfalls in der Tageszeitung las.

Nur, dass das Ganze damals wie heute wirtschaftlich dramatische Kehrseiten hatte. Damals wie heute standen den Gewinnern eine Menge Verlierer gegenüber, die in den großen Umbrüchen ihre Arbeit verloren, wackelige Jobs hatten oder kaum Einkommen dazu gewannen. Was umso dramatischer wirkte, als die Reichen dank Liberalisierung unfassbar reicher wurden.

Ende der Zwanzigerjahre strichen die reichsten zehn Prozent der US-Bevölkerung ein Einkommen in Höhe von fast 50 Prozent des gesamten Nationaleinkommens ein, wie der französische Ökonom Thomas Piketty berechnet hat – ein absurder Höchstwert, der (erst) im erneuten Globalisierungswahn wieder erreicht wurde. Damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entsprachen die Privatvermögen in Europa der Leistung ganzer Volkswirtschaften über sechs bis sieben Jahre. Irre. So ähnlich wie – nach den deutlich sozialeren Nachkriegsjahrzehnten – 2010 wieder.

Je liberaler die Regeln, desto größer der Einfluss von Spekulanten

Je liberaler es zuging, desto größer wurde auch der Einfluss der Finanzjongleure – und die Zahl der spekulationsbedingten Abstürze ganzer Volkswirtschaften. Nach Auswertung von US-Wirtschaftshistorikern nahm die Zahl der Finanzkrisen bereits vor dem Crash 1929 stark zu, ähnlich wie seit der Finanzliberalisierung der Achtzigerjahre bis zum Lehman-Crash 2008, dem größten Crash seit: 1929.

Damals wurden Finanzjongleure so enorm überbezahlt, dass das durchschnittliche Gehalt von Bankern mehr als 50 Prozent über dem Schnitt aller Beschäftigten lag – ein Wert, der nach dem Krieg gegen Null tendierte. Und seit unserer erneuten Finanzglobalisierung wieder da (und noch höher) ist, wo er beim letzten Drama war.

Es spricht einiges dafür, dass in alledem auch der Kern für den wachsenden Unmut im Volk liegt. Je stärker der Einfluss der Finanzsphäre, desto stärker der Eindruck, dass die gewählten Politiker die Kontrolle verlieren. Damals kam es regelmäßig zu Spekulationsattacken gegen einzelne Länder.

Damals wie in der jüngsten Vergangenheit wieder, galt nach herrschender Ökonomie-Lehre, dass jeder halt im Grunde selbst zusehen muss, wie er mit dem Wandel zurechtkommt. Stichwort Eigenverantwortung. Ein irrer Anspruch in einer Welt, in der selbst die Herrschenden die Kontrolle verlieren. Verantwortung kann man ja nur für etwas übernehmen, was man selbst einigermaßen beeinflussen kann.

Wie irre der Anspruch ist, wurde damals wie heute nach den Crashs offenbar – die durch Finanzspekulationen entstanden, deren Folgen aber auch Arbeitnehmer (die ihren Job verloren) und Steuerzahler gleichermaßen zu spüren bekamen.

Dem Crash folgt der Rechtsruck

Danach korrigierte die Politik aber nicht mit kühlem Kopf die unerwünschten Nebenwirkungen der Globalisierung. Stattdessen folgte eine Kaskade fataler Reflexe, die sich mehr oder weniger dumpf gegen alles Internationale richteten. So erließen die USA Gesetze gegen Zuwanderung – aus Sorge vor europäischen „Wirtschaftsmigranten“ und Überforderung durch „zu viele europäische Kulturen“, wie der britische Historiker Harold James erklärt.

Die Konsequenz: Nur noch ausgewählte Nationalitäten durften rein – worauf andere Staaten die Amerikaner nicht mehr reinließen. Heute passiert ähnliches: ständig werden Asylgesetze verschärft – oder gleich Stacheldrahtzäune errichtet und Mauerfantasien gepflegt.

Damals folgte dem Börsen- und Bankencrash politisch fast überall in Europa ein Rechtsruck. Tendenz: wie heute. Kein Zufall, wie systematische Auswertungen von Historikern ergeben haben. Demnach gewinnen rechte Parteien nach Finanzkrisen bei Wahlen im Schnitt 40 Prozent Stimmen hinzu. Die Trumps, Le Pens, Hofers und Petrys danken.

In den Dreißigern stieg wie heute die Zahl der Länder, in denen national-rechte bis autoritäre Politiker die Macht übernahmen. Heute zeigen die Führungsleute in Russland, der Türkei, Ungarn und Polen, dass die Regel auch im 21. Jahrhundert noch zu gelten scheint. Wer weiß, nächste Woche vielleicht auch in den USA. Alarm.

Wirtschaftspolitisch folgten auf die Krise des Liberalismus nicht Versuche, die Fehlentwicklungen einer unkontrollierten Globalisierung zu beheben – sondern mehr oder weniger fatale nationale Reflexe. Andere Zeiten? Naja.

1931 waren es die Briten, zuvor noch große Verfechter des Liberalismus, die als erste den Goldstandard verließen – jenen Währungsverbund, der die Globalisierung lange ermöglichte. Sozusagen ein Ur-Brexit. Jene Briten, die auch diesmal in guten Zeiten noch für möglichst offene Grenzen (auch für polnische Arbeiter) warben, um jetzt als erste die Grenzen (für besagte) zumachen und den EU-Verbund verlassen zu wollen.

Anno 1931 löste der Früh-Brexit eine fatale Kettenreaktion aus. Die Franzosen erhöhten zur Strafe die Zölle, andere werteten ihre Währungen wieder ab. Es folgte ein Wettlauf der Abwertungen und Abschottungen. Und der Kollaps des Welthandels.

Wenn etwas gruseln lässt, dann die Geschwindigkeit, mit der die Schwellen damals fielen und der Absturz an Dynamik gewann. Immerhin war jene Zeit noch nicht so lange her, wo man beim Tee mal eben Waren rund um den Globus bestellte – und die eher an heute erinnert. Irgendwann habe überall die Haltung vorgeherrscht, dass „im Grunde alles gestoppt werden sollte, was sich über Grenzen hinwegbewegt“, so Harold James. Ende der Globalisierung.

Nach Diagnose des französischen Historikers Pierre Milza trug zur politischen Eskalation in den Dreißigern bei, dass sich überall „die Mittelschicht, getrieben von Abstiegsängsten (ins Proletariat), radikalisierte“; das Bürgertum „zurück wollte in eine (verklärte) Welt, in der jeder wieder seinen vorbestimmten Platz hat“; und sich „die Eliten als unfähig erwiesen, auf die tiefe Krise (des Liberalismus) zu reagieren“. Sätze, die auch aus einer deutschen Talkshow anno 2016 stammen könnten. Oder aus dem Wutprogramm der Trumps.

Noch ist Zeit, die Krise dieses Mal besser zu bewältigen

Apropos post-faktisch. In den Dreißigern sei plötzlich auch alles Rationale und Wissenschaftliche beschimpft worden, so Pierre Milza. Die Lügenpresse sowieso. Und es gab ein Comeback der Instinkte und regionalen Traditionen. Katalonien. Schottland. Bayern. Alles wieder im Angebot. Gruselig.

Klar lassen sich immer noch eine Menge Unterschiede finden. Das Internet etwa, das heute eine ganz andere internationale Verständigung ermöglicht – aber auch den Irren nutzt. Auch ein paar Jahrzehnte gelebte europäische Ferien. Für den Historiker James sind die Parallelen mittlerweile aber „erschreckend“.

Noch ist Zeit zu belegen, dass wir die Krise einer entgleisten Globalisierung am Ende diesmal besser bewältigen – und das angehen, was tatsächlich schiefgelaufen ist. Sprich: vor allem die Ursachen von Reichtumsgefälle, Globalisierungsängsten, Bankendominanz und verheerenden Finanzkrisen beheben.

Alles Dinge, für die unsere US-Freunde am besten Bernie Sanders hätten wählen müssen. Statt Grenzen zu schließen, plumpen Nationalismus zu zelebrieren und die Illusion einer heilen alten Zeit zu nähren – und damit nur alte Katastrophen zu wiederholen. Wie es in der Nacht auf Mittwoch bittere Realität werden könnte.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. MKP
    11. November 2016 um 21:54

    Interessanter Artikel aber leider passen die Fakten nicht ganz zur These. Insbesondere die Aussage „In kaum einem anderen Land sind die Nebenwirkungen von drei Jahrzehnten Globalisierung so heftig zu spüren, die realen Einkommen der Mittelschicht seit einem Vierteljahrhundert so deutlich gefallen und die Unterschiede zwischen Superreichen und dem Rest so dramatisch gestiegen, wie just in den liberalen Topprobandenländern der Reagans und Thatchers, die 2016 via Brexit und Trump die größten Schocks fürs etablierte Politsystem erleben“ stimmt schlicht nicht. Während die Aussage hinsichtlich der Einkommensentwicklung in den USA zutrifft sieht die entsprechende Entwicklung in Großbritannien völlig anders aus: Hier stieg das reale Medianeinkommen ab Anfang der 1980er bis Anfang der Weltwirtschaftskrise dramatisch (und um ein vielfaches stärker als in Deutschland, wo jedenfalls seit Anfang der 90er Jahre nur minimaler Wachstum zu verzeichnen ist). Dass die Einkommensungleichheit in UK gleichzeitig auch stieg (stärker als in Deutschland aber auch bei weitem nicht auf ein ähnliches Niveau wie in den USA) stimmt zwar, erfordert aber dennoch eine differenziertere Bewertung als hier angeboten wird. Eine mögliche Lehre ist, dass wachsende Einkommensungleichheit vom Normalverdiener noch so lange toleriert wird, wie auch der eigene materielle Wohlstand spürbar steigt. Sobald dies nicht mehr zutrifft, wird soziale Unruhe wahrscheinlicher. Schlussendlich muss aber auch anerkannt werden, dass die Hintergründe des Brexit trotz aller Versuchung, einfache Parallelen zu ziehen, in einer differenzierten Betrachtung in vielerlei Hinsicht von den Gründen für den Aufstieg Donald Trumps zu unterscheiden sind.

  2. Berl, Nikolaus
    6. November 2016 um 10:14

    Sehr geehrter Herr Fricke,

    Ihr Artikel hat mich sehr beeindruckt, da mir Parallelen zu den dreißiger Jahren überhaupt nicht bewusst waren. Wiederholt sich hier die Geschichte ?

    Auf eine weitere Parallele möchte ich hier in Stichworten hinweisen.
    Vor einiger Zeit habe ich mich für die Geschichte Mesopotamiens interessiert.
    Im Buch des Oriantalisten Prof. Gebhard „Sumerer und Akkader“ gab es um das Jahr 2350 vor Christus einen Herrscher namens Uru-Inimgina, der als Reformator bekannt wurde. In diesem Buch sind auf Seite 62 seine wichtigsten Reformen zusammengefasst.
    Die damalige Gesellschaft kam durch die zunehmende Ungleichheit durch eine sich herausbildende Reiche und Arme Bevölkerungsschicht und einer zunehmenden Korruption aus dem Gleichgewicht.
    Uru-inimgina hat als Massnahme z.B. alle Menschen enteignet, das Eigentum wurde wieder den in den Tempeln (als Statuen) wohnenden Göttern übereignet. So hatte es bei deren Vorväter funktioniert. Die Tempelpriester haben dabei dann das Land einigermassen gerecht verwaltet. Die Maßnahme war sozusagen ein Sinne des Monopoly-Spiels ein „auf Los gehen“ .Das kam einem Neubeginn des Wirtschaftssytems gleich. Danach war in gewissem Sinne alles wieder in Ordnung in dieser Gesellschaft. Einige wesentliche Reformen von damals könnte man auch durchaus auf die heutige Situation -mehr als 4000 Jahre später- Übertragen. Diese negativen Mechanismen der Entwicklung einer polarisierten Gesellschaft in einer Marktwirtschaft scheint diesen Systemen immanent zu sein. …leider 😦
    Noch ein Hinweis: Da damals alle Schriftstücke, Verträge etc. auf Tontafeln festgehalten wurden und mehrere Bibliotheks-Funde mit zehntausenden Tontafeln verfügbar sind, kann die damalige Gesellschaft sehr gut erforscht werden..
    Mit freundlichem Gruss
    Nikolaus Berl

  3. anita heilbrecht
    5. November 2016 um 22:11

    Ich habe aufgehört den Artikel zu lesen, genau an der Stelle als Trump als Präsident Ihrer Meinung nach eine Katastrophe wäre…Herr Fricke, Sie scheinen ein Systemschreiberling zu sein. Clinton ist eine Schwerstkriminelle, die einen Krieg mit Russland befürwortet, eine Massenmörderin ist und durch und durch korrupt ist. Sie gehört meiner Meinung nach für den Rest ihres Lebens in ein Gefängnis (wo sie höchstwahrscheinlich, wenn es mit rechten Dingen zugeht auch landen wird, das hoffe ich…)
    Wollen Sie so eine durchgeknallte Person mit dem höchsten Amt bekleidet sehen ?
    Der atomare Holocaust ist dann vorprogrammiert.

    • Peter Schaaf
      11. November 2016 um 22:32

      Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass mit der Nichtwahl von Clinton ein großer Kelch an uns vorbei gegangen ist. Ob wir mit Trump als Präsident nicht jedoch einen anderen Kelch zu leeren haben, muss sich erst noch zeigen. Und genau darum geht es in dem Artikel.

      Hätten Sie sich die Mühe gemacht, den Artikel zu Ende zu lesen, wären Sie auf dieses Fazit gestoßen:
      „Noch ist Zeit zu belegen, dass wir die Krise einer entgleisten Globalisierung am Ende diesmal besser bewältigen – und das angehen, was tatsächlich schiefgelaufen ist. Sprich: vor allem die Ursachen von Reichtumsgefälle, Globalisierungsängsten, Bankendominanz und verheerenden Finanzkrisen beheben.

      Alles Dinge, für die unsere US-Freunde am besten Bernie Sanders hätten wählen müssen.“

      Absolut korrekt.

      Und dass Sie H. Fricke als Systemschreiberling bezeichnen, ist für mich ein Zeichen, dass Sie noch nicht eine Kolumne von ihm gelesen haben. Meine Empfehlung: Erstmal die Leute ausreden lassen, und erst dann aufregen 😉

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