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Thomas Fricke: Programm der FDP – Warum uns mit Merkels Praktikant die Krise droht

8. September 2017

Die FDP bekommt für die angebliche Eitelkeit ihres Spitzenkandidaten viel Spott ab. Wichtiger wäre es, sich ernsthaft mit dem auseinanderzusetzen, was die Partei im Programm hat. Keine guten Aussichten für unsere Zukunft.

Seit Martin Schulz‘ etwas lustlosem Auftritt im TV-Duell mit Kanzlerin Merkel scheint klar: Wie gut wir durch die nächsten vier Jahre kommen, hängt im Grunde nur noch davon ab, wer bei Frau Merkel künftig Praktikum macht. Harakiri-Martin, die grünen Lalas – oder die Liberalen, formerly known as FDP?

Höchste Zeit, zwei Wochen vor der Bundestagswahl mal deren Programm zu lesen. Was bei den Liberalen ohnehin geboten scheint, da die Partei von Edelbewerber Christian Lindner auf unerfindliche Weise immer wieder auf seine angebliche Eitelkeit reduziert wird. Schändlich.

Jetzt ist das Lesen des Wahlprogramms wahrscheinlich selbst für die Verfasser eine eher überraschende Übung. Sonst stünden bei der FDP nicht so sprachliche Verirrungen drin wie, dass es einen „dauerhaften Einstieg in eine regelmäßige Anpassung“ des Steuertarifs geben soll – versuchen Sie mal, in einen Bus dauerhaft einzusteigen. Da hätte ja zumindest vorher nochmal jemand drüberlesen können. Na gut, wir wissen, was gemeint ist.

Wir wollen auch nicht kleinlich meckern, wenn die Liberalen ihre Wirtschaftskompetenz mit der Gaga-Weisheit darzulegen versuchen, dass man ja „nicht mehr ausgeben kann als man hat“ – und an anderer Stelle im Programm eifrig den Erwerb vom Häusle propagieren, was der gemeine Deutsche in der Regel ja nicht vom Sparbuch zahlt, sondern großteils auf Kredit kauft. Also mit Geld, das er noch nicht (selber erwirtschaftet) hat. Sonst bräuchten wir ja auch keine Banken.

Löblich ist natürlich, dass die FDP nicht mehr so neoliberal sein will, also programmatisch nicht wie früher immer nur auf „den Markt“ setzt. Ok, außer bei der Vermögensbildung, bei der Altersvorsorge, bei Arbeitszeitmodellen, zwischen Krankenkassen, im Handel, bei der Behandlung von Staatsanleihen, überhaupt am Kapitalmarkt, bei der Forschungsförderung, im Emissionshandel, im technologischen Wettbewerb, bei der Versorgung mit Strom, beim Ausloten von CO2-Preisen, bei der Entwicklung von Elektroautos, beim Glasfaserausbau, bei den Mietpreisen, na ja, schon irgendwie überall. Man sagt das halt heute nicht mehr so laut.

Jetzt ist die Idee mit den Marktkräften an sich natürlich in den vielen Fällen toll, in denen es tatsächlich besser klappt, die Leute frei machen zu lassen und staatliches Gedöns abzubauen. Und vor zehn Jahren war das bei Ökonomen ja auch noch ultrahip, für einfach alles den Markt zu lobpreisen.

Das Ding ist, dass auf der Welt seither eine Menge passiert ist, was bei Experten international die Erkenntnis hat reifen lassen, dass die Dinge nicht so einfach sind – und es manchmal, siehe Banken, sogar Katastrophen auslöst, wenn man zu blind dem Markt vertraut.

Vieles klingt mehr nach festgefahrenen Reflexen als nach Analyse

Umso bizarrer wirkt, was im FDP-Programm wie anno dazumal noch zu lesen ist – obwohl es durch die Realität längst überholt ist:

  • Da arbeiten ganze Denkfabriknetzwerke mittlerweile an der Idee, dass neue Technologien, wie etwa bei Elektroautos, doch nicht immer so automatisch am Markt entstehen – und manchmal staatliche Hilfe brauchen. Die FDP – ist dagegen.
  • Da hegen selbst frühere Anhänger Zweifel, ob der Emissionshandel ohne Eingriffe funktioniert. Die FDP fordert: den Ausbau.
  • Da plädieren selbst Konservative wie Wolfgang Schäuble für eine Steuer auf Finanzgeschäfte, weil das viele Turbulenzen verhindern würde. Die FDP: dagegen.
  • Da gibt es zunehmend Indizien dafür, dass Finanzkrisen vor allem von Schuldenwellen bei Privatleuten kommen. Die FDP kämpft lieber (nur) gegen Staatsschulden – und für mehr Immobilienkauf.

Klingt mehr nach festgefahrenen Reflexen als nach Analyse.

Bei keinem anderen Drama raubt einem die Zeitversetzung der Lindner-Liberalen so den Atem wie bei allem, was mit Krise und Zukunft des Euro zu tun hat. Hier liest sich das Programm eher wie bei den D-Mark-Nostalgikern der ersten AfD-Generation.

  • Da haben Spanier, Iren und Portugiesen in den vergangenen Jahren eindrucksvoll gezeigt, dass es besser ist, Staatsdefizitziele pragmatisch zu handhaben, statt die Wirtschaft aus lauter falschem Regeldogma kaputtzusparen – alle drei Länder wachsen seither wieder. Was macht die FDP? Fordert stahlharte Regeltreue – dazu schärfere Sanktionen. Gaga.
  • Da hat sich seit 2008 eindrucksvoll gezeigt, wie dringlich es in akuten Finanzkrisen ist, Ländern beizustehen, um irre Panikspiralen zu stoppen; und dass das auch Job der Notenbank ist. Global Konsens. Lehre der FDP? Die Nichtbeistandsklausel stärken, bloß nicht helfen.
  • Da wird in der Expertenwelt diskutiert, ob und wie Europas Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds verwandelt werden könnte, um künftig in Krisen Notfallpläne schneller aktivieren zu können. Sie ahnen, was die FDP will: den ESM auslaufen lassen und auflösen – das soll der Markt regeln; an Naivität schwer zu überbieten.
  • Und da räumen selbst notorische Kritiker wie Schäuble heute ein, dass es gut war, die Zinsen stark zu senken und zu intervenieren. FDP-Position: Nix Hilfe, Nullzinspolitik beenden – weil diese angeblich nur dazu da ist, das Wachstum in Krisenländern zu stützen.
    Ein Mix aus deutscher Überheblichkeit und Kompetenzmangel. Da scheint selbst das Grundverständnis dafür zu fehlen, was eine Finanzkrise ist; und warum man bei dramatischem Marktversagen nicht einfach den Markt machen lassen kann.

Hätten die Liberalen mit diesem Programm in den vergangenen Jahren regiert (und alle anderen hätten sich mit neuen Logos und so beschäftigt) – die deutsche Wirtschaft steckte heute in einer dramatischen Krise. Dann wäre die Finanzmarktpanik auf alle möglichen anderen Länder übergesprungen und hätte am Ende auch die deutsche (Export-)Wirtschaft ruiniert.

Eine Partei mit einem antiquierten ökonomischen Weltbild

Der Befund ist umso dramatischer, weil es auf die richtigen Lehren aus der Krise in den nächsten Monaten ankommen wird. Mit marktwirtschaftlichem Retro-Eifer würde es eine neue mögliche Merkel-Regierung schwer haben, in Europa schnell vorwärts zu kommen – und mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron dazu beizutragen, dass es künftig solche Krisen nicht mehr gibt: ob über ein größeres gemeinsames Budget oder einen gemeinsamen Finanzminister für die Euro-Zone.

Natürlich gibt es auch im FDP-Programm eine Menge guter Ideen – ob tausend Euro Technikinvestition für jeden Schüler und jede Schülerin, das Wechselmodell für Trennungskinder oder viel mehr Bildung und so. Und man kann auch nicht sagen, dass sich die FDP nicht für Schwächere interessiert (etwa sollen künftig Windräder nur noch in bestimmtem Abstand zu Brutstätten gefährdeter Vogelarten gebaut werden dürfen).

Die Frage ist nur, ob wir am besten durch die nächsten Jahre kommen, wenn eine Partei an der Regierung beteiligt ist, die an einem ökonomischen Weltbild festzukleben scheint, das seine Hochzeit schon eine Weile hinter sich – und das der Welt eine Menge Ärger und Krisen bereitet hat. Auch wenn’s nur ein Praktikum ist.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. Christoph Schomberg
    9. September 2017 um 07:02

    Die naheliegendsten Ideen sind oft die besten: Einfach mal das Parteiprogramm aufschlagen. Danke Ihnen für diesen Kolumnen-Beitrag in Zeiten unerklärlicher Begeisterung für eine überflüssige Partei, von der wir inzwischen wissen, wer sie so wählt: Top-Checker wie Herr Fleischhauer.
    mit bestem Gruß
    C.Schomberg

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