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Thomas Fricke: Schäubles Bilanz – Hätte das nicht auch der Kassenwart vom Kegelklub hingekriegt?

6. Oktober 2017

Noch wird eifrig geschachert, wer künftig Finanzminister sein soll. Dabei wäre es dringend nötig, vorher aufzuarbeiten, was wir wirklich aus der Schäuble-Ära lernen. Sonst droht uns irgendwann das Geld auszugehen.

Christian Lindner hat getwittert, es brauche jetzt keinen neuen Finanzminister, sondern eine neue Finanzpolitik. Das ist ein bisschen unlogisch, aber egal. Die wichtigere Frage ist ohnehin, ob wir die neue Finanzpolitik wollen sollten, die Christian Lindner will. Und welche wir überhaupt wollen sollten.

Um das vernünftig beantworten zu können, wäre vor allem eins ganz dringend: eine Aufarbeitung der langen Ära Schäuble – jenseits des weinselig-romantisierenden Preisens des Schwarze-Null-Ritters. Nicht als Selbstzweck, sondern um zu prüfen, wie haltbar das Ganze ist. Und um herauszubekommen, was der Neue vom Alten für absehbar schwierigere Zeiten lernen kann.

Richtig ist: Als Wolfgang Schäuble im Herbst 2009 Finanzminister wurde, lagen die laufenden Fehlbeträge der öffentlichen Haushalte zwischen drei und vier Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Und die Staatsschulden insgesamt erreichten rund 80 Prozent. Acht Schäuble-Jahre später gibt es Überschüsse von einem Prozent im jährlichen Haushalt, und die Gesamtschuldenquote ist auf unter 70 Prozent gesunken. Immerhin. Zauberhaft.

Jetzt wäre es etwas kleinlich anzumerken, dass es auch noch besser ginge. Die Frage ist eher, was Schäuble überhaupt für das Erreichte kann. So ein dreistelliger Milliardenhaushalt hängt ja nur zu einem relativ kleinen Teil davon ab, was der Finanzminister will oder nicht, zu einem Gutteil aber von der guten Konjunktur – wenn’s in den mehr als drei Millionen Unternehmen dieses Landes gut läuft, kommen massig Steuern rein, gibt’s ordentlich Sozialbeiträge, weniger Bedarf, Arbeitslosen zu helfen und so weiter. Wenn es ihnen nicht gut geht, fallen rasch die Einnahmen aus und es müssen wohl oder übel erst einmal Schulden gemacht werden. Nach groben Faustformeln lässt ein Punkt mehr Wirtschaftswachstum die Staatsdefizitquote fast automatisch um einen halben Prozentpunkt sinken. Ohne, dass der Finanzminister dafür irgendwas tun muss.

Von dieser Formel hat kein Finanzminister seit ollen Wirtschaftswunderzeiten so profitiert wie Schäuble. Als Schäuble Ende 2009 antrat, war die Schockrezession nach der Finanzkrise gerade vorüber – und es sollten acht Jahre Wachstum folgen, was der Konjunkturgott ebenfalls keinem Vorgänger seit Jahrzehnten mehr beschert hat. Die Arbeitslosigkeit liegt heute bei weniger als 2,5 statt den 3,4 Millionen, als Schäuble antrat. Kein Zufall, dass es seit Jahrzehnten auch keinen so erfolgreich wirkenden Finanzminister mehr gab.

Die Zinsausgaben haben sich gemessen am Steueraufkommen seit 2010 halbiert

Zweiter Glücksfaktor: die Sache mit den Zinsen. Kein Finanzminister der jüngeren Weltgeschichte brauchte über so lange Zeit so wenig Zinsen für Schulden zu zahlen wie Schäuble. Das hatte nicht nur damit zu tun, dass Europas Zentralbank (wie viele andere) ihre Leitzinsen so niedrig setzte, sondern lag vor allem daran, dass es in vielen Euroländern kriselte – und Anleger in deutsche Staatsanleihen flüchteten. Mit dem logischen Ergebnis, dass eben die Zinsen schwanden. Zwischendurch bekam unser Finanzminister von panischen Anlegern sogar Geld geschenkt, wenn er ihnen unsere begehrten Schuldtitel andrehte. Ein Krisengewinn.

Wenn die staatliche Einnahmenquote in Deutschland mit 45 Prozent heute gut zwei Prozentpunkte höher liegt als bei Schäubles Amtsantritt, hat das zu einem Gutteil mit konjunkturbedingt hochgeschnellten Steuereinnahmen zu tun. Weniger mit heroischen Aktionen des Ministeriumsleiters. Die staatlichen Zinsausgaben sind in der Schäuble-Zeit derweil von 2,5 auf nur noch 1,2 Prozent gesunken. Nimmt man beides, Einnahme- und Zins-Effekt, zusammen, erklärt dies rein rechnerisch allein zwei Drittel des Abbaus des Staatsdefizits seit 2010. Dazu kommt, dass Schäuble dank Konjunkturhoch zudem weniger ausgeben musste.

In so einem Umfeld hätte womöglich auch der Kassenwart vom Kegelverein Alle Neune als Bundesfinanzminister noch eine ganz gute Figur gemacht. Und die schwarze Neune hingekriegt.

Den Bundeskassenwart nach Jahren Sonderkonjunktur und Gratisschulden anzuhimmeln, ist – bei allen Verdiensten – ein bisschen so, als wenn der Bauer für die reichhaltige Ernte vom ganzen Dorf zum Kaiser gekrönt wird – obwohl der schöne Ertrag ja eher an der günstigen Witterung als am Bauern lag. Klar muss der dann immer noch dafür sorgen, dass alles ordentlich eingeholt wird und nichts verloren geht. So etwa ist das bei einem Bundesfinanzminister auch. Ein anderer hätte das womöglich noch verprasst.

Umso schwerer ist nur zu beurteilen, ob das, was Wolfgang Schäuble in den vergangenen acht Jahren gemacht hat, als Vorbild für bald auch mal wieder schlechtere Zeiten taugt. Und ob wir darauf gut vorbereitet sind.

Langfristig könnte Schäubles Nachfolger das Geld fehlen

Anders als es das Image vom gnadenlosen Sparer suggeriert, ist Wolfgang Schäuble ja weder alle paar Monate mit neuen Plänen gekommen, den Leuten Geld wegzunehmen, Sozialetats rabiat zu kürzen oder den Staatshaushalt mal richtig umzukrempeln. Jedenfalls nicht bei uns. Gruß nach Athen. Noch gab es richtige Ausgabenschübe, wo es Sinn ergeben hätte – um Investitionen im Inland anzuschieben oder der Konjunktur anderswo zu helfen. Eher Korrekturen bei der Rente und so. Was nötig war, aber auch kein großer Akt für die Zukunft.

Wie die führenden Forschungsinstitute diagnostizieren, ist „die Ausgabenstruktur des Staates in dieser Legislaturperiode nicht zugunsten investiver Ausgaben verschoben“ worden. Die Investitionsquote hat sich so gut wie nicht verändert – trotz aller Beteuerungen aus dem Hause Schäuble. Für Bildung wird gemessen an der Wirtschaftsleistung heute ebenfalls nicht mehr ausgegeben als vor Jahren.

So lässt sich vielleicht für eine Weile noch eine schwarze Null halten. Langfristig droht Schäubles Nachfolger aber das Geld zu fehlen – weil der Wirtschaft ohne Investitionen irgendwann auch mal die Kraft ausgehen könnte, dem Kassenwart immer mehr Steuereinnahmen zu bescheren.

Das alles spricht in der Tat für eine neue Finanzpolitik, in der es weniger um jährliche schwarze Nullen geht – und mehr darum, in die Zukunft zu investieren.

Bliebe die Frage, was aus Schäubles Bilanz in Sachen Euro zu lernen ist. Fortsetzung in Kürze.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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