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Thomas Fricke: Aufstieg der Rechten – Revolte in den deutschen Armenhäusern

28. Oktober 2017

Es wirkt arg naiv: Deutsche Politiker streiten darüber, wo die AfD im Bundestag sitzen soll. Wer den Aufstieg der Rechten stoppen will, braucht eine neue Wirtschaftspolitik – und Regeln für die Globalisierung.

Sollen die jetzt rechts oder Mitte-links sitzen? Darf man nett zu denen sein? Oder besser böse gucken? Oder auch mal über einen Witz von Herrn Gauland lachen? Oder besser gleich ein paar Gesetze gegen Asyl verabschieden, weil dann alle Unzufriedenen Seehofers politischem Swinger-Klub beitreten? Und noch drei Talkshows einführen, in denen noch fünfmal mehr pro Woche über Burkas und Obergrenzen und No-go-Zonen sinniert wird? Damit bloß keiner denkt, die könne man einfach so wählen. Rührend.

Dabei spricht eine Menge dafür, dass kein noch so ausgetüftelter Knigge für den Umgang mit politisch Fremdelnden auf Dauer helfen wird gegen böse Rechte. Ebenso wenig wie der Klau flach-intellektuellen Eigentums. Neuere Studien von Ökonomen lassen etwas ganz anderes vermuten: Wenn es einen stark gewachsenen Hang gibt, rechte Parteien zu wählen, hat das weniger mit der (sicher auch wichtigen) Frage zu tun, wie wir Leute von anderswo bei uns unterkriegen – und viel mit den tiefer liegenden Schäden, die das gelobte Globalisieren im Laufe der Zeit vielerorts im Land hinterlassen hat. Und das eben nicht nur in Trump-Amerika, sondern auch bei den Deutschen, die sich so gern als Globalisierungsversteher und Pauschalgewinner der Aktion loben. Eine Fehleinschätzung, die schon bald noch viel fataler werden könnte.

It’s the economy, stupid!

Um solche tiefer liegenden Gründe zu erkennen, haben die Ökonomen einer Forschergruppe um die beiden Deutschen Stephan Heblich und Robert Gold zusammengetragen, wie stark einzelne Regionen und Landkreise von den beiden großen Wellen der Globalisierung wirtschaftlich getroffen wurden: erst von der Öffnung der Grenzen in den Neunzigerjahren – und später dann von der neuen Konkurrenz aus China, seit das Land 2001 weitgehend freien Zugang zu westlichen Märkten bekam. Dabei verglichen die Forscher, wie stark es seit der Öffnung der Grenzen in den jeweiligen Regionen dazu kam, dass lokale Industrien durch steigende Importe verdrängt wurden.

Das Ergebnis verglichen die Experten mit dem Wählerverhalten in den beiden betreffenden Jahrzehnten. Und siehe da: Genau in den Regionen, wo die Forscher den via Globalisierung größten Druck auf lokale Wirtschaftsstrukturen maßen, bekamen rechte Parteien seit langem schon überdurchschnittlichen Zulauf. Im Westen etwa in der Südwestpfalz, früher stark durch Lederindustrie geprägt, die nach Messung der Ökonomen schon in den Achtzigerjahren zu den am stärksten von Importkonkurrenz getroffenen Zonen zählten; ebenso wie Grenzgebiete in Bayern.

Umgekehrt fiel der Rechtsruck überall dort weitgehend aus, wo die Globalisierung positiv wirkte – also in den Regionen, deren angestammte Industrien dank der Öffnung der Grenzen vor allem mehr exportieren konnten. Fast überall in Baden-Württemberg etwa.

Wie die Forscher vergangenes Wochenende auf der Jahrestagung des Institute for New Economic Thinking (INET) in Edinburgh darlegten, konnten sie mittlerweile auch herausfinden, wie genau die Globalisierung da gewirkt hat: Der Hang, rechts zu wählen, lässt sich den statistischen Auswertungen zufolge vollständig dadurch erklären, wie stark in den betreffenden Regionen die Arbeitslosigkeit gestiegen ist – und zwar als Folge des erhöhten Importdrucks. Nur da, wo der erhöhte Druck zu starkem Jobabbau geführt hat, sind auch die politischen Folgen erkennbar. Und dort machen die negativen Folgen auch jene positiven wett, die bei den Leuten etwa über billigeren Konsum aus China ankommen.

Deutschland, ein Regionaldrama

Auf den ersten Blick passt all das auch zu den Ergebnissen, die bei der Bundestagswahl vor vier Wochen herauskamen – und die Alternative für Deutschland in den Bundestag brachten. Fast überall im Osten, wo die Forscher für die vergangenen Jahre auf durchweg hohe negative Werte in Sachen Importkonkurrenz kamen, lag die AfD über dem Schnitt. Im Westen kam die AfD kaum anderswo auf so gute Ergebnisse wie in den ewig strukturschwachen Teilen Bayerns.

Die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl müssen die Forscher erst noch im Detail auswerten. Schon jetzt scheint durch die langjährigen Auswertungen allerdings ein Ökonomendogma zu wackeln, wonach die Globalisierung (wie gewünscht) auch (blöde) alte Strukturen kaputt macht, per saldo aber toll ist, sprich: den Wohlstand des Landes alles in allem erhöht, weil die Gewinne in den einen Regionen höher sind als die Verluste in den anderen. Das mag rechnerisch sogar stimmen, hilft denen aber wenig, die auf der falschen Seite der Rechnung arbeiten (oder arbeitslos geworden sind) – und dann in mehr oder weniger großer Verzweiflung für rechte Populisten stimmen.

Die Ergebnisse helfen auch, das Dilemma aufzulösen, dass es in Deutschland doch per saldo sehr viel mehr Export als Import gibt – wir also eigentlich tendenziell auch mehr Gewinner als Verlierer haben. Alles prima? Von wegen. Das Ding ist: Die Gewinner sitzen nicht in den gleichen Regionen wie die Verlierer. Und die Zahl derer scheint hoch genug, um rechte Parteien in den Bundestags zu bringen. Ein Regionaldrama.

Klar, es gibt auch AfD-Wähler, die AfD wählen, ohne in und um Pirmasens oder Passau zu leben – und die nicht unmittelbar Opfer von Strukturwandel sind. Die Tendenz scheint aber ziemlich eindeutig. Und wenn stimmt, dass tendenziell vor allem die rechts wählen, die Opfer von Billigkonkurrenz sind, wird es eben auch wenig helfen, die Rechten durch schärfere Asylgesetze niederzuringen oder böse anzugucken. Dann bräuchte es ganz dringend ein ganz neues Verständnis von Globalisierung: eines, bei dem die Verlierer aufgefangen werden – oder, besser noch, die Regierung gleich dafür sorgt, dass es zu gar keinem jener großen Strukturbrüche kommt, die Zyniker unter den Ökonomen als hohe Kunst der Marktwirtschaft immer so gepriesen haben. Hilft ja nichts, wenn wir am Ende alle von rechten Sprücheklopfern und Tyrannen regiert werden.

Wie dramatisch es sonst enden könnte, lässt sich erahnen, wenn man bedenkt, dass die gerade viel zitierte Digitalisierung ziemlich ähnliche Wirkungen haben könnte. Klar, werden auch davon einige profitieren, und vielleicht wird der volkswirtschaftliche Nutzen am Ende auch wieder überwiegen. Nur wird auch das wenig helfen, wenn der große Bruch ganze Regionen wirtschaftlich in die Krise zieht. Spätestens dann sollten wir die Lehren aus den Tücken des Schocks namens Globalisierung gezogen – und eine ganz neue Wirtschaftspolitik erfunden haben. Eine Politik, die viel besser darin werden muss, früh zu erkennen, wenn regionale industrielle Desaster entstehen. Und die nicht nur Almosen an die verteilt, die dann plötzlich arbeitslos sind. Sondern am besten gleich mit Alternativen kommt. Mit den richtigen.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. Jürgen Clausen
    29. Oktober 2017 um 09:47

    Moin. War ja zu erwarten, nun ist es von berufener Seite bestätigt. Danke fürs öffentlich Machen dieser Untersuchung! Ergänzen möchte ich noch: die Regierung Fischer-Schröder hat die für eine Volkswirtschaft so wichtige Schwarzarbeit (bis dahin wirksamer Ausgleich sozialer Ungerechtigkeiten) massiv bekämpft, und ihre Nachfolger führen dies fort. So etwas ist unmenschlich und macht ein arbeitendes Volk höchst unzufrieden. Dies und von Ihnen dargelegten Entwicklungen halte ich für eine Schande und sind einer Regierung nicht würdig, die sich „christlich“ „sozial“ oder ähnlich schimpft. Ich halte sie für das Ergebnis einer gewissen Weltfremdheit, die in der oberen Hälfte unserer Gesellschaft weit verbreitet zu sein scheint, verbunden mit ziemlichem Unverständnis für einfache wirtschaftliche Zusammenhänge.

  2. Heini
    28. Oktober 2017 um 17:37

    Vielen Dank für diesen Artikel und den Verweis auf das interesante Papier von Gold und Co. Mir fehlt allerdings, sowohl von Ihnen, als auch den Autoren des Papiers eine klarere Einordnung der Ergebnisse. Komplett ignoriert werden z.B. Erkenntnisse wie z.B. dass das Durchschnittseinkommen der AfD-Wähler durchaus vergleichbar mit dem Durchschnittseinkommen auf Ebene der Bevölkerung liegt (sieh z.B. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-03/iw-studie-afd-waehler-gehalt-bundesdurchschnitt), ebenso wie z.B. Erkenntnisse aus England im Zusammenhang mit dem Brexit (http://blogs.lse.ac.uk/politicsandpolicy/personal-values-brexit-vote/) und Trump (http://blogs.lse.ac.uk/politicsandpolicy/trump-and-brexit-why-its-again-not-the-economy-stupid/). Diese Ergebnisse müssen denen des erwähnten Papiers nicht komplett widersprechen, auf den ersten Blick ist die Verbindung jedenfalls nicht naheliegend.
    Zudem verstehe ich nicht, wieso Sie ausgerechnet Baden-Würtemberg als Bestätiung dieser Thesen verwenden. Da sitzt die AfD mit 15% im Landtag, prozentual mehr als in Rheinland-Pfalz! Und in Bayern sind die Gebiete in der Oberpfalz oder Oberfranken ähnlich strukturschwach wie in Niederbayern.
    Wohlgemerkt, ich möchte nicht sagen, dass die Globalisierung für alle super duper ist, wie machen Ökonomen es tun. Es ist auf jeden Fall an der Zeit, darüber zu sprechen was daran gut und schlecht läuft (und idealerweise auch, wieso die Ökonomenzunft das bisher noch nicht gemacht hat; wäre instruktiv).

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