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David Milleker: Rückkehr der globalen Ungleichgewichte?

9. Januar 2018

Sie waren das große Thema der frühen 2000er Jahre – die globalen Ungleichgewichte, festgemacht an sich ausweitenden Leistungsbilanzdefiziten in den USA, Großbritannien und der europäischen Peripherie einerseits sowie spiegelbildlichen Überschüssen in Deutschland, China und einer Vielzahl kleinerer asiatischer Volkswirtschaften. Bekanntlich entluden sich diese dann in verschiedenen Krisen wie der US-Immobilienkrise oder der Euro-Krise. Seither sind sie im volkswirtschaftlichen wie öffentlichen Diskurs in den Hintergrund getreten.

Das dürfte vor allem daran liegen, dass sie bei Weitem nicht mehr so ausgeprägt vorhanden sind. So weisen etwa die USA zwar immer noch ein Defizit aus, allerdings pendelt dieses seit 2009 recht stabil zwischen 2 und 3% der Wirtschaftsleistung – statt wie zuvor bei 6%. Als Beispiel für die Euro-Peripherie kann Spanien dienen, das vor der Finanz- und Euro-Krise Defizite in Höhe von 10% der Wirtschaftsleistung aufwies, inzwischen aber deutliche Überschüsse von fast 2% realisiert.

Aus unserer Sicht sollte man das Thema allerdings wieder enger unter Beobachtung nehmen. Grund hierfür ist die US-Steuerreform, deren Wirkungen insbesondere mit Blick auf die Änderungen in der internationalen Besteuerung nicht ganz klar sind.

Beginnen wir die Diskussion darüber mit einer gesamtwirtschaftlichen Standardanalyse: Die Steuerreform führt in einer spätzyklischen Phase in den nächsten beiden Jahren zu einem nachfrageseitigen Schub, der sich negativ auf das Verhältnis von Ersparnis zu Investitionen auswirken dürfte. Allein daraus ergeben sich in der Tendenz höhere außenwirtschaftliche Defizite, die überdies umso höher ausfallen, je stärker die steuerliche Entlastung der Unternehmen zur erhofften Beschleunigung der Investitionstätigkeit führt. Ebenfalls in diese Richtung weist ein potenzieller Überhitzungseffekt über die nachfrageseitige Komponente der Steuerreform. Denn in einer Welt offener Grenzen würde sich eine potenzielle Überhitzung der Inlandskonjunktur nicht zwingend in höheren Inflationsraten äußern, sondern vielmehr in einem Importsog. Dies liegt daran, dass verhältnismäßig teure Inlands- durch Auslandsgüter ersetzt werden.

Allerdings gilt es hier auch einen vielleicht ungewöhnlichen buchhalterischen Effekt zu berücksichtigen. Das neue US-Unternehmenssteuerrecht beinhaltet auf der internationalen Ebene klare Anreize gegen eine Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer. Ein klassisches Beispiel hierfür ist etwa, wenn ein US-Unternehmen seine Patente an eine Auslandstochter überträgt und anschließend dieser entsprechende Lizenzgebühren zahlt. Steuerlich fallen dann entsprechende Kosten in den USA bzw. Gewinne bei der Auslandstochter an. In den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden solche Lizenzgebühren dann als Dienstleistungsimport verbucht, was die ausgewiesene Wirtschaftsleistung mindert und gleichzeitig das außenwirtschaftliche Defizit erhöht. Im Rahmen einer Base Erosion Anti-Abuse Tax (BEAT) werden solche Verlagerungsmöglichkeiten beschränkt, indem derartige Importe unter bestimmten Voraussetzungen besteuert werden. Die Regelung ist so kompliziert gestaltet, dass wir hier auf eine genauere Darstellung verzichten müssen. Interessant ist für unsere Zwecke ausschließlich der Fall, dass die Unternehmen wahlweise ihre konzerninternen Importe reduzieren (durch geringere ausgewiesene Lizenzzahlungen) oder die Patente gleich in die USA zurückverlagern. In beiden Fällen würde sich die außenwirtschaftliche Position der USA statistisch verbessern. Allerdings wäre dieser Effekt vermutlich zu einem erheblichen Teil ein statistisches Artefakt mit extrem begrenzter Wirkung auf realwirtschaftliche Prozesse.

Die große Frage wird sein, wie sich die Wirkungen der oben skizzierten Standard-Makroanalyse und der buchhalterische Effekt zueinander verhalten. Wir gehen davon aus, dass es zu einer merklichen Ausweitung der US-Leistungsbilanzdefizite kommt. Und mit dieser kommen dann eben auch die globalen Ungleichgewichte wieder auf die Tagesordnung.