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Thomas Fricke: Wut auf die Deutschen – Keiner mag uns – warum nur?

3. Juni 2018

Ob Trump oder die Populisten in Italien – alle schimpfen auf Deutschland. Überzogen? Mag sein. Aber helfen wird uns das nicht mehr. Denn wir haben mehr Schuld daran, als viele sich eingestehen.

Donald Trump schimpft auf Deutschlands Exporte und verhängt Strafzölle. Italiens Populisten schimpfen, dass die Deutschen den Italienern diktieren, was sie zu machen haben. Ähnliches ist von Griechen und Franzosen zu hören, die uns früher mal total nett fanden. Ja, sind wir denn an allem schuld? Berechtigte Frage.

Klar, in all dem Geschimpfe steckt ein gutes Stück Sündenbock-Lust. Und irgendwie würde es unseren Einfluss auch überschätzen, für alles auf der Welt verantwortlich zu sein. Das Ding ist nur, dass es uns nichts mehr helfen wird, jetzt (noch plumper) auf unpässliche Völker zurückzuschimpfen – oder den US-Präsidenten über die, hüstel, allgemeinen Vorzüge des freien Welthandels zu informieren.

Erstens steckt dann doch zu viel Wahrheit in dem Verdacht, dass deutsche Politiker seit Jahren einen fatalen Mix aus Tante-Schäuble-Ökonomie und deplatzierter Lehrmeisterei praktizieren – und dass die Schäden, die das angerichtet hat, zu Recht anderswo für Wut sorgen. Zweitens droht sich jetzt zu rächen, dass nach wie vor ein viel zu großer Teil unseres Wohlstands daran hängt, dem Rest der Welt all unseren Kram zu verkaufen – was, wie sich nun zeigt, nur solange geht, wie die anderen brav mitmachen.

Natürlich exportieren wir viel, auch weil wir gute Produkte anbieten. Und natürlich gibt es politisch Argumente dafür, dass deutsche Politiker darauf achten, was mit den Geldern aus Deutschland gemacht wird, die zur Abwendung einer Staatspleite ausgeliehen wurden. Und natürlich kann nicht jeder machen, was er will, wenn man eine gemeinsame Währung teilt. Alles richtig. Trotzdem ist es eine Katastrophe, was deutsche Politverantwortliche in beiden Angelegenheiten seit Jahren getan haben – und wie wenig das hierzulande als Katastrophe wahrgenommen wird.

Schlechte Politik aufzwingen – das kann nicht funktionieren

Es kann auf Dauer einfach nicht gut gehen, wenn ein Land so unfassbar viel mehr Geld damit verdient, dass Leute in anderen Ländern schöne deutsche Autos oder Maschinen kaufen, als das Land selbst Waren aus dem Ausland kauft. Deutschlands entsprechender Leistungsbilanzüberschuss liegt mittlerweile bei atemberaubenden fast 300 Milliarden Euro – so viel Geld muss im Rest der Welt de facto an Kredit aufgenommen werden, um deutsche Waren zu kaufen; weil wir nicht genauso viel im Ausland kaufen.

Selbst wenn es keinen Donald Strafzoll Trump gäbe: So etwas führt früher oder später zur nächsten Schuldenkrise. Und da hilft es auch nicht, zum x-ten Mal darauf zu verweisen, dass die Deutschen halt alle alt werden und zur Vorsorge sparen müssen. Das müssen andere auch. Das ändert nichts daran, dass durch den einseitigen Exporteifer international gefährliche finanzielle Schieflagen entstehen.

Es ist auf Dauer auch absurd zu glauben, dass es gut geht, wenn deutsche Geld- und Lehrmeister in anderen Ländern darauf pochen, dass diese oder jene Regierung nun bitte hier und da ordentlich zu kürzen oder Steuern anzuheben habe – oder der Deutsche Bundestag mit all seiner himmlischen ökonomischen Kompetenz darüber entscheidet, ob die Griechen jetzt genug getan haben, um Geld zu kriegen oder nicht.

All das ließe sich noch ertragen, wenn es ökonomisch wenigstens als gesichert gälte, dass das Kürzen die Wirtschaft stärkt und am Ende wieder alle etwas davon haben – das glauben aber nur noch deutsche Altökonomen und politische Ökonomieamateure.

Unter führenden Experten ist Konsens, dass allzu harsche Austerität kontraproduktiv wirkt – weil der Wirtschaft dabei die Leute abhanden kommen, die genug Geld verdienen, um Waren zu kaufen. Wenn das stimmt, heißt das nichts anderes, als dass frühere deutsche Finanzminister wie Wolfgang Schäuble demokratisch gewählten Kollegen anderer Ländern über Jahre schlechte Politik aufgepresst haben, die alles nur schlimmer macht (und die übrigens die Deutschen selbst auch nicht praktiziert haben – gegen die Sparpakete Griechenlands und Italiens war die Agenda 2010 ein Paradies).

Alles nach dem Motto: Ihr kriegt Geld, nur wenn ihr unsere (schlechte) Politik macht. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Empfänger deutscher, nun ja, Ratschläge uns anschließend nicht innig herzen. Und dass Populisten sich freuen. Wenn es Spaniern und Portugiesen mittlerweile besser geht, dann auch deshalb, weil sie seit Jahren keine Austerität mehr durchziehen.

Es gibt etliche Studien, die vermuten lassen, dass derlei Austerität fast regelmäßig zu schweren politischen Krisen führt (und maßgeblich sogar die einstige Machtübernahme der Nazis in Deutschland erklärt). Wahrscheinlich auch wegen eines Denkfehlers, den die professoralen Verteidiger der Masochismus-Politik zu machen neigen: Es mag im abstrakt-makroökonomischen Luftraum richtig erscheinen, wenn eine Regierung bei hohem Staatsdefizit Renten oder Sozialausgaben kürzt. Für die Menschen, die das im Einzelnen praktisch trifft, ist das abstrakt und schwer nachvollziehbar, zumal wenn sie, sagen wir, infolge einer schweren Banken- oder Immobilienkrise plötzlich weniger Geld bekommen – nur weil der Staat „sparen muss“. Und wenn dann gelegentlich gemeldet wird, dass dieser oder jener arme Top-Manager den Bonus erhöht bekommt, damit er nicht den Spaß an der Arbeit verliert.

So etwas lässt sich einem entsprechend Masochismus-geneigten Volk sicher mal eine Zeitlang vermitteln. Auf Dauer passiert dann aber das, was gerade in Italien passiert: Die Wut wächst. Zu einem Gutteil könnte das erklären, warum in vielen Ländern, die von der Finanzkrise getroffen wurden, heute die Populisten Zulauf bekommen. Und warum sie in diesen Ländern wiederum gerade in jenen Regionen am stärksten sind, wo den Leuten die größten Kürzungen zugemutet wurden.

Da hat der Volkswirt die Rechnung ohne das Volk gemacht. Und Deutschland zur aktuellen Krise womöglich zwar weniger beigetragen, als es der eine oder andere italienische Populist oder US-amerikanische Präsident nahelegt, aber viel mehr, als es hierzulande bislang wahrgenommen wird.

Höchste Zeit aufzuwachen – und auch in Deutschland ernster zu nehmen, was da gerade in anderen Teilen der Welt passiert. Nicht weil das komische Länder mit kurioser Folklore, einem strafwütigen Staatschef oder vermeintlich unterentwickeltem ökonomischem Verstand sind – oder der Süden einfach nicht zum Norden passt, wie der eine oder andere Quacksalber palavert. Wir können immerhin auch gut betrügen, wie eine größere Wolfsburger Firma seit Kurzem zu belegen sich bemüht. Sondern weil hiesige Verantwortungsträger über Jahre eine Politik gepriesen haben, die einen Teil des Desasters erklärt. Und die jetzt auf uns zurückfällt.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).