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Wirtschaftsdienst exklusiv – Ökonomische Wurzeln des Populismus

17. September 2018

Die liberale Demokratie westlicher Prägung steht unter Beschuss. Populisten in Europa und den USA haben es auf eine Veränderung der bestehenden Ordnung abgesehen. Für Thieß Petersen hat der Aufschwung populistischer Strömungen auch ökonomische Wurzeln. Die Globalisierung und der technische Fortschritt setzen bestimmten Teilen der Bevölkerung der Industriestaaten massiv zu: Stagnierende Einkommen und Arbeitsplatzverluste erhöhen die Empfänglichkeit für populistische Parolen. In der September-Ausgabe des Wirtschaftsdienst analysiert Thieß Petersen (Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung) die ökonomischen Ursachen des Populismus genauer.

Populisten setzen auf Abschattung, Ausgrenzung und eine Begrenzung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Mit dieser Politik sprechen sie Personengruppen an, die sich durch Globalisierung und technischen Fortschritt bedroht fühlen oder davon tatsächlich bedroht sind. So belegen Studien, dass zunehmende ökonomische Unsicherheit zu geringerem Vertrauen in politischen Parteien führt und die Haltung gegenüber Zuwanderern ablehnender wird. In den Industriestaaten wurde diese Unsicherheit durch die Auswirkungen von Globalisierung und technischem Fortschritt für bestimmte Personengruppen erhöht, sodass Petersen die ökonomischen Ursachen des Populismus für mitentscheidend hält. Dennoch stellt er klar: „Populismus hat zahlreiche Ursachen und lässt sich keinesfalls monokausal durch wirtschaftliche Entwicklungen erklären.“

Ökonomische Globalisierung beschreibt einen komplexen weltweiten Prozess, der durch die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung aller Länder gekennzeichnet ist. „Zentraler Treiber der so verstandenen Globalisierung ist die Reduzierung bzw. der komplette Abbau von Hindernissen, die einen weltweiten Austausch von Produktionsfaktoren und Produkten erschweren.“, führt Petersen aus. Kurz gesagt: Es geht um weltweit vollständig integrierte Märkte. Am ehesten ist dieses „Ideal“ heute auf den Finanzmärkten realisiert, aber auch Gütermärkte sind deutlich enger zusammengewachsen. Dadurch näheren sich die Preise auf den Faktor- und Gütermärkten weltweit an.

Thieß Petersen identifiziert drei Mechanismen der Globalisierung, die in den Industriestaaten tendenziell zu sinkenden Löhnen und Jobverlusten führt:

  1. „Ein erster Wirkungskanal besteht aus der Zuwanderung von Arbeitskräften aus weniger entwickelten Volkswirtschaften. In entwickelten Volkswirtschaften sind die Löhne wesentlich höher als in weniger entwickelten Ländern. Dies stellt für Arbeitskräfte aus Ländern mit niedrigen Löhnen einen Anreiz dar, in die entwickelten Volkswirtschaften auszuwandern.“
  2. „Der Import von Gütern aus Niedriglohnländern hat die gleichen Arbeitsmarkteffekte, denn im Zuge der internationalen Arbeitsteilung erfolgt der globale Lohnausgleich auch über eine Spezialisierung der einzelnen Volkswirtschaften auf bestimmte Produkte und den anschließenden Handel dieser Produkte zwischen den Ländern.“
  3. „Die hohe internationale Kapitalmobilität ist zu berücksichtigen. Die Möglichkeit einer Verlagerung von Investitionen ins Ausland kann das Beschäftigungsniveau im eigenen Land verringern[.]“

Neben diesen durch die Globalisierung getriebenen Mechanismen trägt der technologische Fortschritt in Industriestaaten zum Verlust von Arbeitsplätzen bei. In einer Marktwirtschaft versuchen Unternehmen stetig ihre Kosten zu senken, um im Wettbewerb zu bestehen. Moderne Technologien können dazu einen Beitrag leisten und dadurch Arbeitsplätze verschwinden lassen. Es findet also die Substitution des Produktionsfaktors Arbeit durch den Produktionsfaktor Kapital statt. Dadurch reduziert sich das Beschäftigungsniveau und der Lohndruck steigt.

„Theoretische volkswirtschaftliche Überlegungen führen zu der Einschätzung, dass das Zusammenspiel aus voranschreitender ökonomischer Globalisierung und technologischem Fortschritt negative Einkommenseffekte für Arbeitnehmer in entwickelten Volkswirtschaften hat. Und tatsächlich gibt es eine Vielzahl empirischer Untersuchungen, die zeigen, dass die skizzierten ökonomischen Überlegungen in der Realität anzutreffen sind. Vor allem Importe aus Niedriglohnländern – insbesondere aus China und Osteuropa – haben einen beschäftigungs­ und lohnsenkenden Effekt in Industrienationen wie Deutschland und den USA.“, weiß Thieß Petersen. Insbesondere die Einkommens- und Beschäftigungschancen wenig qualifizierter Personen verschlechtern sich. Besonders betroffen sind Beschäftigte des verarbeitenden Gewerbes, da dort besonders viele manuelle Routinetätigkeiten automatisiert werden können. Hinzu kommt die direkte Konkurrenz von Unternehmen aus Niedriglohnländern. Demgegenüber stehen die steigenden Einkommen von Kapital- und Technologieeigentümern, die vom verstärkten Einsatz von Kapital und Technologie profitieren.

Für Petersen stellt „[e]ine nachlassende […] Akzeptanz des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems […] eine objektive Gefährdung der langfristigen Funktionsfähigkeit dieses Systems dar.“ Es drohen soziale Spannungen, Streiks und Proteste. Ein Rückgang der Akzeptanz ist hier nicht nur von den tatsächlichen „Verlieren“ zu befürchten, sondern auch von denen, die negative Auswirkungen fürchten. Die Antworten der Populisten auf diese Ängste lauten Abschottung und Abschwächung des technologischen Fortschritts. Thieß Petersen hält aber die Kompensation der Betroffenen für die wesentlich besser geeignete Antwort auf diese Ängste, da so der höhere materielle Wohlstand des bestehenden Systems gewahrt bleibt. Daher fordert er abschließend: „Damit die gesellschaftliche Akzeptanz nicht verloren geht, müssen die Zugewinne aus Globalisierung und technologischem Fortschritt breit gestreut werden. Viele Politikbereiche sind daher aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Es braucht eine Stärkung der sozialen Sicherungssysteme, die Anpassung der Struktur­ und Regionalpolitik sowie des Bildungssystems und einen Ausgleich von Einkommensungleichheiten durch das Steuer­ und Transfersystem. Im Ergebnis stellt dieser Weg eine inklusive Lösung dar, weil er darauf abzielt, alle Gesellschaftsmitglieder an den Vorteilen der internationalen Arbeitsteilung und des technologischen Fortschritts zu beteiligen.“

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  1. dante@gmx,it
    21. September 2018 um 14:27

    Theoretisch klare Sache – praktisch von der Umsetzung weit entfernt. Auf Italienisch sagt man so schön: „Tra volere e fare c’é il mezzo del mare!“

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