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Wirtschaftsdienst exklusiv – Statt Grundeinkommen – Lebenschancenkredit!

14. Juli 2017

Das bedingungslose Grundeinkommen wird als ideale Lösung für das Problem des technologischen Wandels angesehen, wenn Roboter immer mehr Arbeitsplätze überflüssig machen sollten. Befürworter halten es für egalitär, liberal, individualistisch und wirtschaftlich sinnvoll. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), widerlegt in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienst diese Argumente und plädiert stattdessen für ein individuelles Erwerbskonto oder den Lebenschancenkredit.

Der technologische Wandel, die Globalisierung, die Informationsgesellschaft – all diese Phänomene bedrohen die Zufriedenheit der Mehrheit der Arbeitnehmer. Die Folgen dieser Entwicklungen: eine größere soziale Ungleichheit sowie das Schwinden des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Solidarität. Sie können offenbar von der Politik nicht bewältigt werden. Als „Deus ex machina“ bietet sich das Bedingungslose Grundeinkommen an, über dessen Höhe und Ausgestaltung die unterschiedlichsten Vorschläge in Umlauf sind. Das Konzept wird angepriesen als egalitär, liberal, individualistisch und wirtschaftlich sinnvoll. Wird das Bedingungslose Grundeinkommen diesen Anforderungen gerecht?

Marcel Fratzscher meint „Nein“ – und dies aus mehreren Gründen:

  • Das Bedingungslose Grundeinkommen „unterscheidet nicht zwischen Chancen-, Verteilungs-, und Leistungsgerechtigkeit“. Entsprechend ist es auch nicht klar, ob das Konzept besser als die gegenwärtigen Sozialsysteme für Verteilungsgerechtigkeit sorgen kann. Es ist also nicht egalitär.
  • Auch liberal ist es nicht, denn die Hemmnisse, die sich den Menschen bei der Ausübung ihrer persönlichen Freiheit in den Weg stellen, können individuell sehr unterschiedlich sein. Staat und Gesellschaft kommt die Verantwortung zu, diese Hemmnisse aus dem Weg zu räumen.
  • Mit dem Konzept einher geht ein Verzicht des Staates auf das „Fordern“. Aus der Glücksforschung ist bekannt, dass die Zufriedenheit weniger mit dem Einkommen, vielmehr aber mit Anerkennung und Respekt zusammenhängt, die man als arbeitendes Mitglied der Gesellschaft erhält. Das Label „individualistisch“ kann auch dafür sprechen, dass der Staat meint, sich aus der Verantwortung für den Einzelnen zurückziehen zu dürfen.
  • Wirtschaftlich neutral ist das Bedingungslose Grundeinkommen dann nicht, wenn sich potenziell Berufstätige aus dem Arbeitsleben zurückziehen. Das kann zu einem erheblichen Rückgang der Wirtschaftsleistung führen.

Es wird von den Befürwortern immer wieder behauptet, dass der Rückgang des Arbeitsangebots die Löhne steigen lässt. Bei rückläufiger Wirtschaftsleistung ist dieses Argument allerdings erheblich anzuzweifeln. Marcel Fratzscher fürchtet, dass die Diskussion über das Bedingungslose Grundeinkommen von einem großen Technologiepessimismus geprägt ist. Demgegenüber habe doch der technologische Wandel „fast immer dazu geführt, dass bessere, humanere und höher bezahlte Jobs entstanden sind.“

Für eine bessere Lösung entstehender Probleme hält er die Schaffung individueller Erwerbskonten, aus denen flexible Ansprüche auf soziale Leistungen wie Bildung und Qualifikation, auch während der Familien- oder Rentenzeit erwachsen können. Ebenso geeignet wäre ein Lebenschancenkredit, ein Modell, das von Steffen Mau entwickelt wurde. Verbunden mit der Diskussion über das Modell „Bedingungsloses Grundeinkommen“ fordert Fratzscher: „Die Diskussion in Deutschland über die Zukunft der Sozialpolitik sollte sich zu neuen Modellen öffnen, die der veränderten Arbeitswelt und Gesellschaft wieder gerechter werden.“

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