Startseite > Chefökonom > Thomas Fricke: Fetisch um die schwarze Null – Deutschlands gefährliche Haushalts-Folklore

Thomas Fricke: Fetisch um die schwarze Null – Deutschlands gefährliche Haushalts-Folklore

27. April 2018

Werden neben Kreuzen bald auch schwarze Nullen in deutschen Amtsstuben hängen? Bloß nicht. Das alte Schäuble-Mantra könnte für Nachfolger Scholz im Desaster enden.

Wir haben in Deutschland einen sehr eigenen Brauch, uns viele Wochen über eine große Bekundung zu erregen – ob etwa der Islam nun zu Deutschland gehört. Oder Hartz IV. Oder nicht. Oder wohl. Doch. Nein. Wohl. Was dann meist nur zu relativ wenig konkreten Ergebnissen führt – außer natürlich bei Markus Söder, der daraufhin schon einmal Kreuze aufhängen lässt. Islam erledigt. Fertig.

Eine ähnlich erregende Formel ist die schwarze Null, wie sie unser neuer Wolfgang Schäuble nach seinem Amtsantritt zur Mutter aller finanzpolitischen Motive fortzuschreiben deklariert hat. Gehört zu Deutschland. Was für die einen höchster Ausweis eiserner Enthaltsamkeit des nach Überlieferung sozialdemokratischen Finanzministers ist. Und für andere das Ende von Sozialstaat und Sozialdemokratie.

Dabei scheint wie beim Islam schleierhaft, was eine schwarze Null überhaupt ist und heißt – und warum die weder im Grundgesetz steht, noch ökonomisch viel Sinn zu ergeben scheint. Höchste Zeit aufzuklären, bevor Olaf Scholz in allen Amtsstuben schwarze Nullen aufhängen lässt. Und die SPD plötzlich fertig ist.

Die schwarze Null unbekümmert zum Mantra zu erklären, könnte für den geübten Bürgermeister Hamburgs auch bald schon im Desaster enden – finanziell wie für die eigene Glaubwürdigkeit. Wenn einmal die bitter-süßen Sonderumstände vorbei sind, unter denen Vorgänger Schäuble wie zauberhaft zum Verkünder ausgeglichener Haushalte wurde.

Wenn bei uns mittlerweile im fünften Jahr der Staat mehr einnimmt als ausgibt, liegt das ja nicht daran, dass Schäuble den Deutschen ständig höhere Steuern oder gekürzte Leistungen zugemutet hat. Weil die deutsche Wirtschaft seit 2010 rekordverdächtig stetig wächst und das wie so oft überproportional viele Einnahmen einbringt, ist der Anteil der Steuern an der Wirtschaftsleistung seit 2010 um gut zwei Prozentpunkte gestiegen.

Das erklärt einen Großteil der Verbesserung des Etatsaldos hin zur schwarzen Null. Dazu kam, dass durch die Finanzkrise die Zinsen gerade auf sichere deutsche Staatsanleihen dramatisch fielen, die der Finanzminister auf seine Schulden zahlen muss. Ergebnis: Die Zinsausgaben sind von 2,5 auf nur noch gut ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts gefallen. Die Zinszahlungen machen damit heute weniger als fünf Prozent der Steuereinnahmen aus – gegenüber fast zwölf Prozent vor acht Jahren. So kuschelig hatte es schon lange kein Finanzminister in Deutschland mehr.

Keine schwarze Null ohne die Krise bei den anderen

Wie die Bundesbank mit neuen Rechnungen bestätigt, musste Schäuble in den vergangenen Jahren alles in allem fast 300 Milliarden Euro weniger für Zinsen ausgeben, als es ohne Finanzkrise und bei normalen Zinsen der Fall gewesen wäre. Hätte es die gruselige Krise bei den anderen nicht gegeben, hätte Deutschland heute auch keine schwarze Null. So viel zur deutschen Sparsamkeit. Zumal so ein ausgeglichener Haushalt ohnehin auch kein finanzpolitischer Selbstzweck ist. Die Kunst ist vielmehr, Geld möglichst so auszugeben, dass es für heute 14-Jährige eine tolle Zukunft gibt – und das dann möglichst finanziell tragbar zu gestalten. Nicht umgekehrt, den Ausgleich zum Dogma zu erklären – und sich dann zu wundern, dass kein Geld da ist, um für eine gute Zukunft zu sorgen.

Nach Schätzung der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute reichen die staatlichen Investitionen selbst jetzt gerade nur, um die verfallende Substanz öffentlicher Einrichtungen zu ersetzen.

Was tun, wenn das Pendel wieder umschlägt?

Was, bitte schön, soll Scholz denn von seinem Vorgänger jetzt lernen und übernehmen? Außer Schwarze-Null-Sprüche aufzusagen.

Man braucht keinen Hang zu düsteren Prophezeiungen, um zu ahnen, dass es in den nächsten Jahren auch wieder eine konjunkturelle Krise geben wird. Wahrscheinlich auch noch unter dem aktuellen Finanzminister. Dann wird sich die schäublesche Sonnenlogik umkehren, wie das in Abschwüngen automatisch ist: Dann fehlen plötzlich Steuereinnahmen, und es steigt der Bedarf, Arbeitslosengeld und anderes auszuzahlen. Dann schnellen die Ausgaben konjunkturbedingt schneller hoch als die Einnahmen. Dann rutscht der Etat rapide ins Rote. Als 2001 die deutsche Wirtschaft in die Rezession geriet, stieg das Staatsdefizit noch im selben Jahr auf mehr als drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Nicht weil plötzlich der Schlendrian ausbrach, sondern weil das Budget rein konjunkturbedingt kippte. So etwas droht beim nächsten Mal auch.

Und dann? Dann bleibt dem Kassenwart nur die Wahl, entweder schnell Steuern anzuheben und überall Ausgaben zu kürzen, um die Ausfälle auszugleichen – was nach aller Erfahrung mitten im Abschwung nur alles noch schlimmer macht. Dann wird der Abschwung noch tiefer – und es fehlen erst recht wieder Steuereinnahmen. Was einst selbst Ex-SPD-Finanzminister Hans Eichel zu der Erkenntnis brachte, dass man dem Abschwung nicht hinterhersparen dürfe.

Es hat schon seinen Grund, warum es keine starren Vorschriften gibt

Oder der Finanzwart gibt das Schwarze-Null-Ziel mit Verweis auf die schwierigen Zeiten auf – was ökonomisch vernünftig wäre. Dann fragt man sich halt nur, warum man es überhaupt zum Mantra erhoben hat, um es in kritischen Zeiten gleich wieder aufzugeben. Glaubwürdigkeit dahin. Das wäre dann so wie beim Wetterminister, der im Juli deklariert, stets für Temperaturen von mehr als 20 Grad zu sorgen – bis im Spätsommer doch erste Zweifel aufkommen.

Wenn die Konjunktur zu Ausfällen führt, ist es sinnvoll, auch einmal Defizite hinzunehmen. Und im Boom umgekehrt auch mal Überschüsse einzufahren. Alles andere führt nur zu mehr Schulden, nicht zu weniger.

Es hätte etwas Groteskes, wenn der neue Finanzminister gleich zum Start jene ökonomisch zweifelhafte schwarze Null derart zum Fetisch erklärte, die nirgendwo festgeschrieben ist – nur weil es in schönen Zeiten so gut funktioniert zu haben scheint. Und damit Erwartungen bestärkt, die in schlechteren Zeiten gar nicht zu erfüllen sind. Bräuche hin oder her.

_______________________
Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. Du hast noch keine Kommentare.
  1. 30. April 2018 um 11:16
Kommentare sind geschlossen.