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Fabian Fritzsche: Boom! Welcher Boom?

20. Juni 2017

Zumindest in den etablierten Medien und bei den meisten Volkswirten gibt es keine Zweifel, dass sich die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren recht positiv entwickelt hat. Seit Q2 2009 wächst das reale BIP nahezu ohne Unterbrechung, lediglich in drei der 32 Quartale seitdem gab es eine sinkende Wirtschaftsleistung. Ein solcher lang anhaltender Aufschwung scheint nun allerdings einigen Beobachtern geradezu Angst zu machen. Da ist nun in jüngster Zeit immer öfter von einem gefährlichen Boom, von Überhitzung und einem dadurch drohenden Crash die Rede.

Vermutlich hat jeder Ökonom seine eigene Definition von einem Boom und ein Wirtschaftswachstum von X Prozent in einem hoch entwickelten Industrieland wie Deutschland sind etwas anderes als X Prozent in einem Schwellenland. Es dürfte für Deutschland allerdings schwierig sein, eine auf dem realen BIP-Wachstum basierende Definition zu erfinden, bei der Deutschland tatsächlich gefährlich boomt.

Reales BIP-Wachstum, Jahreswachstumsrate

Im Jahresvergleich wuchs die deutsche Wirtschaft die letzten drei Jahre in keinem einzigen Quartal um 2% oder mehr und Q1 2014 war mit +2,4% auch eher ein Ausreißer, dem sehr schwache Wachstumsraten vorausgingen und eher niedrige nachfolgten. Wachstumsraten von 3% und mehr gab es zuletzt und eher kurzzeitig 2010/11 – als sich die Wirtschaft von der größten Krise der Nachkriegszeit erholte.

Nun wäre es natürlich zumindest denkbar, dass das BIP zwar eher verhalten um 1% bis 2% pro Jahr wächst, aber viele andere Indikatoren auf eine Überhitzung hindeuten. So sollen etwa die Produktionskapazitäten über Normalniveau ausgelastet sein.

Kapazitätsauslastung

Mit 86% sind die Kapazitäten tatsächlich vergleichsweise gut ausgelastet, aber keineswegs ungewöhnlich gut für eine Wachstumsphase. Auch hier ist schon eine sehr eigene, pessimistische Definition notwendig, um beim aktuellen Wert bereits eine Überhitzung zu sehen.

Als besonders herausragender Indikator, der eine Überhitzung der deutschen Wirtschaft anzeigt, wird oft der Immobilienmarkt herausgegriffen. Diese Behauptung scheint mittlerweile so sehr Allgemeingut zu sein, dass Belege überflüssig sind. Auch hier scheint das Gefühl einer langen Aufschwungphase eine Übertreibung einfach nahezulegen. Tatsächlich ist die Neubautätigkeit seit 2009/10 kräftig gestiegen – das war damals allerdings ein historischer Tiefstand. Über mehr als ein Jahrzehnt ist die Neubautätigkeit gesunken, ausgehend von der Spitze um 75%. Noch immer liegt das Niveau deutlich unter den Werten der 1990er Jahre und praktisch alle Studien zu dem Thema kommen zum Ergebnis, dass in Deutschland mindestens 100.000 Wohnungen pro Jahr zu wenig gebaut werden. Von Übertreibung kann hier also keine Rede sein, ganz im Gegenteil.

Wohnungsbau – Auftragseingänge

Allenfalls bei den Wohnungspreisen und -mieten kann in einzelnen Ballungsgebieten eine Überhitzung festgestellt werden. Diese ist jedoch gerade das Ergebnis der zu geringen Bautätigkeit. Forderungen, die angeblich so heiß gelaufene Wirtschaft mit Zinserhöhungen und Ausgabensenkungen zu bremsen, würden hier geradezu kontraproduktiv wirken und die Knappheit am Wohnungsmarkt erhöhen.

Der wohl wichtigste Indikator, der eine gefährliche Überhitzung anzeigen könnte, ist die Reallohnentwicklung. Seit 2009 steigen die Reallöhne an und bei einem Wachstum von durchschnittlich 2,4% pro Jahr sieht der Anstieg im Diagramm dramatischer aus als sich die Zahlen tatsächlich darstellen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Reallöhne über nahezu zwei Jahrzehnte praktisch gar nicht gestiegen sind.

Reallohnindex (Q1 1992=100)

Kaum gibt es nun seit wenigen Jahren eine positive Tendenz, soll diese beendet werden? Natürlich liegt eine überhitzte Wirtschaft, was dann unweigerlich in eine Rezession führt, nicht im Interesse der Politik. Auf Basis der vorliegenden Daten ist es aber schwer, eine solche Überhitzung zu identifizieren. Vielmehr läuft die deutsche Wirtschaft nun endlich in einem absolut wünschenswerten Tempo, in einigen Bereichen wie etwa dem Wohnungsbau sogar noch zu schwach. Ziel der Politik sollte es daher auf keinen Fall sein, diesen Aufschwung zu bremsen, sondern das gegenwärtige Tempo möglichst lange zu erhalten.

Quelle Grafiken: Bloomberg

  1. Peter
    26. Juni 2017 um 11:05

    Wenn man die stark stimulierenden Faktoren der letzten Jahre, sehr niedriger Ölpreis, niedriger Außenwert des Euro und sehr expansive Geldpolitik, berücksichtigt, so überrascht mich eher, dass der Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktion so gering ist (nur einige zehntel %-Punkte über Potenzialwachstum).

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