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Thomas Fricke: Neue SPD-Führung – Wir hätten da ein paar Ideen

6. Dezember 2019

Die Ideen des neuen SPD-Führungsduos gelten als spinnert links. Dabei ist das, was Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vorschlagen, ökonomisch ziemlich vernünftig.

Plötzlich Chef! Und sagen wir so: Richtig souverän kommen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken noch nicht herüber. Das könnte erklären, warum sich mancher Kommentator in den vergangenen Tagen eher kritisch zu der Tatsache geäußert hat, dass die beiden jetzt die SPD führen sollen. Um es nett zu formulieren.

Dabei wirkt bei nüchternerer Einordnung eher der Spott bizarr – zumindest wenn es um das geht, was das vermeintlich so links-verrückte Traumduo wirtschaftspolitisch vorgeschlagen hat. Würde man die Ideenliste einer beliebigen Auswahl international renommierter Ökonomen vorlegen, würde sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine klare Mehrheit bekommen – ökonomisch vernünftig. Und womöglich bei ähnlichem Verfahren auch im Volk.

Könnte nur sein, dass der eine oder andere in Berlin zur Einsicht noch ein bisschen braucht – und es besser ist, die GroKo so lange noch durcharbeiten zu lassen.

Kurzer Check, was so auf der Liste steht.

  • Ein Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde? Wäre auf Anhieb sicher für einige Betriebe schwierig. Ist aber nichts, was Panik vor dem Einzug des Sozialismus auslösen sollte. Zumal das weniger ist, als gerade Boris Johnson für Britannien vorschlägt – und der ist ja zumindest kein linker Spinner. Dass so ein Mindestlohn per se viele Jobs vernichtet, gehört ohnehin zu den unrühmlichen Fehlwarnungen herkömmlicher Ökonomen. (Eine Analyse zu den wirtschaftspolitischen Ideen des neuen Duos lesen Sie hier.)
  • Ein Investitionsprogramm von 500 Milliarden Euro über zehn Jahre? Liegt nur einen Hauch über dem, was der linksradikale Bundesverband der Deutschen Industrie vor gut zwei Wochen vorgeschlagen hat. Und ist in etwa das, was seit Jahren viele Experten fordern.

Wirklich alle wollen weg von der schwarzen Null – bis auf die CDU

An der schwarzen Null festkleben? Macht in konjunkturell schwierigen Zeiten alles nur schlimmer. Räumt mittlerweile selbst der orthodoxe deutsche Sachverständigenrat ein. Ebenso wie die führenden Forschungsinstitute und der Internationale Währungsfonds, der Industrieländerklub OECD, die EU-Kommission, diverse Nobelpreisträger und überhaupt (wahrscheinlich) sämtliche international führenden Experten. Nur die CDU nicht.

Wer gut investiert, also Geld in bessere Schulen oder ein besseres Bahnnetz steckt, und dafür derzeit nicht einmal Zinsen bezahlen muss, kriegt das Geld ja früher oder später eh mit Rendite wieder – weil es dann schlauere Schüler und zuverlässigere Bahndienste im Land gibt. Die Alternative wären dauerhaft mangelhafte Bahnen und Schulen – was die Wirtschaftskraft schmälert und dann auch zu mehr Schulden führt. Davon hat die oft bemühte künftige Generation auch nichts.

  • Höhere Steuern für Topverdiener? Gar eine Steuer für Leute, die große Vermögen haben? Auch das gehört heute zu Standardforderungen von Ökonomen, die sich damit beschäftigen, wie dramatisch Einkommen und Vermögen in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern auseinandergedriftet sind. Mehr noch: Es könnte auch den Nerv vieler im Land eher treffen, als, sagen wir, die Forderung der etwas ideenarmen FDP, jetzt mal wieder Spitzenverdiener zu entlasten. Also diejenigen, die ohnehin schon zu den größten Gewinnern der vergangenen Wachstumsjahre zählen.
  • Die Liste lässt sich fortsetzen. Eine Verschärfung des Klimapakets mit höheren CO2-Preisen bei gleichzeitiger Entlastung der Verbraucher über Klimaprämien? Wird im real existierenden Kommunismus schon praktiziert, also in der Schweiz. Und ist spätestens seit den französischen Gelbwesten-Protesten zur Standardforderung führender Klimaexperten geworden.
  • Und dass der Bund die Kommunen finanziell entlasten sollte? Liest man auch alle Tage.

Die helle Aufregung über das, was da so Furchtbares gefordert wird, wirkt ein bisschen so, als stehe die SPD nach 21 grandiosen Jahren mit Schröder und seiner Verzicht-für-Wohlstand-Agenda in voller Blüte da – und plötzlich kommen zwei, die ohne erkennbaren Grund mit völlig irren Ideen vom Kurs weg wollen. Die Wahrheit ist damit nicht korrekt beschrieben – weder was die Situation der SPD angeht noch die Lage und Stimmung im Land.

Zur Erinnerung: Wir leben im Jahr 2019. Und die SPD hat seit den Agenda-Reformen einen beispiellosen Absturz erlebt – wie fast alle eher sozialdemokratischen Parteien, die in Italien oder Frankreich Ähnliches mal probiert haben. Und wahrscheinlich nicht trotz, sondern wegen der Agenda(-Nebeneffekte).

Wenn in Umfragen heute 80 Prozent der Leute im Land sagen, dass die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen zu einer Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft wird, dann ist es keine linke Spinnerei, sich darüber Gedanken zu machen, wie sich diese Ungleichheit wieder abbauen ließe. Ob über Steuern oder Mindestlöhne – oder darüber, dass der Staat wieder stärker dafür sorgt, dass Tarifverträge eingehalten werden. Was da am besten ist, ist eher noch zu klären. Nicht mehr der Bedarf an sich.

Es fehlt vor allem die überzeugende Erzählung, der Slogan

Wenn heute fast 60 Prozent sagen, dass in Deutschland das Versprechen des sozialen Ausgleichs nicht mehr eingelöst wird, kann man darüber lästern – das ändert aber nichts am Befund einer offenbar tiefen Vertrauenskrise. Was auch eine Spätfolge von Hoppla-Reformen sein könnte wie der, wonach selbst langjährig Beschäftigte seit Agenda-Zeiten schon nach einem Jahr auf Hartz IV abstürzen, wenn sie arbeitslos werden.

Dann ist die Wiederherstellung des Glaubens womöglich auch für die Wirtschaft dringender als alle klassische Wirtschaftspolitik. Und dann sollte man zumindest noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht besser ist, die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld an die Lebensarbeitszeit zu koppeln. Noch so eine nur vermeintlich spinnerte Forderung.

All das heißt nicht, dass jede Forderung der designierten neuen SPD-Führung toll ist. Da ist noch Potenzial. Ebenso beim Personal. Und da fehlt vor allem die überzeugende Erzählung, der Slogan, den eine neue Politik braucht. Nur ist das, was da gefordert wird, näher dran an dem, was in den kommenden Jahren im Land dringend nötig ist, als all das, was Spötter und frühere Kanzler noch an alten Dogmen mit sich tragen.

Was das heißt? Dass es zu früh wäre, mit diesem Duo gleich die große Wende zu wagen. Zumal es ja auch in der GroKo längst Offenheit für eine Abkehr von alten Dogmen gibt. Das spräche dafür, die GroKo als gar nicht so schlechte Übergangshilfe weiterzufahren – und sei es mangels fertiger Alternativen (die es ja nicht nur bei der SPD nicht gibt). Und den Führungskräften in der SPD und anderen noch etwas Zeit zu lassen, um aus ein paar gar nicht so spinnerten Ideen vielleicht noch ein richtig gutes Programm für diese, unsere Zeit zu machen.

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Die Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).